Fallen Angels - Der Rebell - Fallen Angels 3

von: J. R. Ward

Heyne, 2012

ISBN: 9783641075453 , 560 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 2,99 EUR

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Fallen Angels - Der Rebell - Fallen Angels 3


 

Eins

Es war Frühling, an einem dunklen Aprilabend, als Detective Thomas DelVecchio jr. erlebte, dass Albträume tatsächlich den Sprung aus dem Kopf in die reale Welt schaffen konnten.

Leider war das für ihn keine neue Erkenntnis.

Überall war Blut. Glänzend und im Mondlicht schimmernd, als hätte jemand einen Farbeimer geöffnet und nicht nur wild über den Waldboden verspritzt … sondern auch über den Mann, der zerfetzt und reglos auf einem Bett aus verrottendem Laub lag.

Genau vor Vecks Füßen.

Das Zeug war allerdings keine Premium-Wandfarbe. Kein wasserlöslicher Lack und auch kein robuster Fassadenanstrich. Man konnte es weder im Baumarkt kaufen noch mit Terpentin entfernen und auch nicht in einem B-Movie verwenden.

Das hier war das echte Leben. Floss in alle Richtungen davon.

Was hatte er getan? Großer Gott …

Er riss sich die Lederjacke vom Leib, knüllte sie zusammen, kniete sich hin und drückte sie auf den freiliegenden Brustkorb des Mannes. Gurgelgeräusche vermischten sich mit den harten Stößen von Vecks eigenem Atem, während er in Augen blickte, die rapide trüb wurden.

»Hab ich dich umgebracht? Habe ich das getan?«

Keine Antwort. Wahrscheinlich hing der Kehlkopf des Burschen da irgendwo an einem Ast.

Scheiße … oh Scheiße … es war wie in der Nacht, als seine Mutter getötet wurde.

Nur dass er dieses Mal gekommen war, um tatsächlich jemanden aufzuschlitzen.

Veck erinnerte sich noch genau: Er hatte sich auf sein Motorrad gesetzt, war hierhergefahren und hatte im Wald gewartet, bis dieses psychotische Dreckschwein aufgetaucht war – wobei er sich die ganze Zeit die Lüge eingeredet hatte, er wolle den »Verdächtigen« nur in Gewahrsam nehmen.

Seine Handfläche hatte die Wahrheit verraten. Als seine Beute endlich erschienen war, hatte das Messer plötzlich in seiner Hand gelegen, und er hatte sich in seinen absichtlich komplett schwarzen Klamotten wie ein Schatten genähert …

Das Monroe Motel & Suites lag nur fünfzehn Meter entfernt, jenseits des dichten Kieferngebüschs. Es war ein zwielichtiges, von pissgelben Laternen beleuchtetes Stundenhotel und der Grund, warum er selbst wie auch der geschredderte Mörder dort auf dem Waldboden heute Nacht hergekommen waren.

Serienkiller bewahrten oft Trophäen von ihren Opfern auf. Wegen ihrer Unfähigkeit zu normalen emotionalen Bindungen und ihrem Bedürfnis nach greifbaren Symbolen der flüchtigen Macht, die sie über ihre Beute genossen hatten, übertrugen sie Gefühle auf Gegenstände oder Überreste der Menschen, die sie abgeschlachtet hatten.

David Kroner war seine Andenkensammlung vor zwei Tagen abhandengekommen. Als seine Arbeit hier gestört worden und die Polizei angerückt war.

Deshalb würde er selbstverständlich an den Ort zurückkehren, an dem er zuletzt Macht empfunden hatte. Hier wäre er all dem, was er einst besessen hatte, am nächsten.

»Ich habe einen Krankenwagen gerufen«, hörte Veck sich sagen, ohne genau zu wissen, mit wem er sprach.

Sein Blick wanderte zum hintersten Zimmer des Motels, dem von der Rezeption am weitesten entfernten. Ein amtliches Polizeisiegel des Caldwell Police Departments klebte über Tür und Rahmen. Vor Vecks geistigem Auge blitzte auf, was er und seine Kollegen dort vorgestern gefunden hatten: Eine weitere junge Frau, die eben erst getötet und von ihrem Mörder nach fleischlichen Souvenirs untersucht worden war.

Wieder Gegurgel.

Veck senkte den Kopf. Der Mann, der da vor ihm verblutete, war drahtig und dünn, aber David Kroners Opfer waren ja auch junge Frauen zwischen sechzehn und vierundzwanzig gewesen, daher brauchte der Kerl auch kein Türsteherformat zu haben. Er hatte rötlich blondes Haar, das sich auf dem Kopf bereits lichtete. Die einst blassweiße Haut wurde allmählich grau – zumindest an den Stellen, die nicht mit Blut beschmiert waren.

Veck wühlte in seiner internen Datenbank und versuchte, sich zu erinnern, was zum Henker eigentlich gerade passiert war. Nach gefühlt tagelanger Warterei hatte ihn das Knacken von Zweigen aufgeschreckt, und er hatte Kroner entdeckt, der auf Zehenspitzen durch die Bäume schlich.

Sobald er den Mann sah, hatte er nach dem Messer gegriffen, sich geduckt, und dann hatte er …

»Verfluchte …«

Der Kopfschmerz setzte abrupt und heftig ein, als hätte ihm jemand einen Zimmermannsnagel in den Stirnlappen getrieben. Er hob die Hand, lauschte nach links zum Parkplatz hin und dachte: Na super! Wenn der Krankenwagen käme, könnte er ihn gleich wegen eines Aneurysmas behandeln.

Dann hätten sie wenigstens etwas zu tun – denn Kroner wäre hinüber, bis sie einträfen.

Als der brüllende Schmerz etwas nachließ, unternahm Veck einen erneuten Anlauf, sich zu erinnern … nur um mit der Schläfe voran gleich noch mal gegen die Mauer von Migräne und Ohnmacht zu prallen. In seinem Kopf wurde alles leuchtend rot, er schloss die Augen und spielte mit dem Gedanken, sich zu übergeben – und während die Reihern-oder-nicht-Reihern-Debatte in seinen Eingeweiden tobte, kam er zu dem Schluss, dass es Zeit wurde, ehrlich zu sich selbst zu sein. Denn auch wenn in seinem Kurzzeitgedächtnis ein gähnendes Loch klaffte, gab es an einem nichts zu deuteln: Er war hierhergekommen, um diesen perversen Wichser zu töten, der – nach derzeitiger Zählung – im vergangenen Jahr mindestens elf junge Frauen zwischen Chicago und Caldwell umgebracht hatte.

Grauenhaft, natürlich. Allerdings amateurhaft im Vergleich zu Vecks eigenem Vater, der das im Zeitraum von drei Monaten vollbracht hatte: Thomas DelVecchio sr. war das große Vorbild von Kerlen wie Kroner.

Und genau diese Abstammung hatte ihn in eine Zwickmühle nicht nur in Bezug auf den Krankenwagen, sondern auch auf seinen Partner bei der Mordkommission gebracht.

Sosehr es ihm widerstrebte, es sich einzugestehen – er war seines Vaters Sohn. Er war gekommen, um zu töten. Punkt. Und dass sein Opfer ein so brutales Arschloch war, stellte letztendlich nur einen gesellschaftlich akzeptablen Filter über dem realen Bild dar.

Im Kern war es nicht darum gegangen, die toten Frauen zu rächen.

Und er hatte verflucht noch mal gewusst, dass diese Nacht unausweichlich kommen würde. Sein ganzes Leben lang hatte der Schatten hinter ihm gelauert, ihn geleitet, verführt, hin zu diesem Schauplatz der Zerstörung gezogen. Deshalb leuchtete auch ein, dass er sich an nichts erinnerte; seine andere Hälfte hatte die Kontrolle übernommen und sie erst wieder abgetreten, als die Gewalt begangen war. Der Beweis dafür? Irgendwo in seinem Hinterkopf hallte Gelächter, wahnsinnig und befriedigt.

Ja, ja, freu dich nur, solange du kannst, dachte er. Denn er würde sich selbst nicht weiter in die Fußstapfen seines Vaters treten lassen.

Das Heulen von Sirenen drang von Osten her zu ihm vor und wurde rasch lauter.

Offenbar war er nicht der Einzige, der es hörte. Ein Mann stürzte aus einem der Motelzimmer und rannte um die Motorhaube einer zehn Jahre alten Schrottkarre herum, die statt Seitenfenstern Gitter besaß. Er kämpfte damit, den Schlüssel aus der Tasche zu fummeln, da er gleichzeitig noch seine Hose hochziehen musste.

Die Nächste in der Fluchtparade war eine grobschlächtig wirkende Frau, die in einen alten Honda Civic kletterte, während sie noch hektisch ihren Minirock herunterzog.

Ihre Abreise mit quietschenden Reifen sorgte dafür, dass der Parkplatz leer war, als der Krankenwagen von der Straße einbog und vor der Rezeption anhielt.

Der Sanitäter stieg aus, und ein Motelmitarbeiter öffnete die Glastür, woraufhin Veck laut vernehmlich pfiff. »Hier drüben!«

Offenbar hatte der Motelangestellte nicht die Absicht, sich einzumischen, und verdrückte sich gleich wieder ins Gebäude. Der Sanitäter hingegen setzte sich in Trab, und der Krankenwagen rollte quer über den Parkplatz. Während sie ihn einkreisten, wurde Veck vollkommen ruhig. So unantastbar wie der kalte, weit entfernte Mond, der über die pechschwarze Nacht wachte.

Scheiß auf seine dunkle Seite. Er hatte das hier getan. Und er würde persönlich dafür sorgen, dass er dafür auch zur Rechenschaft gezogen wurde.

Sophia Reilly, Mitarbeiterin des Dezernats für Interne Ermittlungen, raste in einem Affenzahn mit ihrem zivilen Dienstwagen durch das Hinterland von Caldwells verwahrlosten Randbezirken. Allerdings hatte ihr mörderisches Tempo nur wenig damit zu tun, dass sie auf dem Weg zu einem Tatort war: Sie fuhr stets schnell. Aß hastig. Hasste es, in Schlangen zu stehen, auf Leute zu warten, auf Information zu warten.

Solange ihr kein Reh vors Auto lief, bevor sie das Monroe Motel & Suites erreicht hatte …

Als ihr Handy klingelte, hielt sie es noch vor dem zweiten Klingeln ans Ohr. »Reilly.«

»De la Cruz.«

»Hallo. Raten Sie mal, wohin ich gerade fahre.«

»Wer hat Sie angerufen?«

»Die Zentrale. Ihr Partner steht auf meiner To-do-Liste – wenn er also mitten in der Nacht einen Krankenwagen sowie Verstärkung ruft und sagt, er wisse nicht, was mit dem Opfer passiert sei, erhalte ich einen Anruf.«

Leider...