Die Segel von Tau Ceti - Roman

von: Michael McCollum

Heyne, 2012

ISBN: 9783641081416 , 432 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Die Segel von Tau Ceti - Roman


 

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Die rötliche Kugel des Mars füllte einen ganzen Quadranten des sternenübersäten Himmels aus und flutete die transparente Kuppel mit rubinrotem Licht. Doch so schön der Anblick auch war, Victoria Bronson hatte nur Augen für das pyramidenförmige Ensemble aus Brennstofftanks und Rohrleitungen, die sich als Silhouetten gegen den Planeten abzeichneten. Nach einer zwanzigjährigen Planungs- und dreijährigen Bauphase war Starhopper nun fast fertig. Bald würden Tanker hunderttausend Tonnen Flüssigsauerstoff in die großen Brennstofftanks des Schiffs pumpen. Zehn Tage später – vorausgesetzt, dass beim komplexen Countdown keine Pannen auftraten – würde der erste Besucher der Menschheit bei einem anderen Stern zu seiner langen Reise in die tiefe Schwärze aufbrechen.

Die Menschen hatten fast die ganze Zeit von Reisen zu den Sternen geträumt, seit sie wussten, dass es sich bei den kleinen Lichtpunkten um ferne Sonnen handelte. Während Schriftsteller Oden an den Raumflug komponierten, stöhnten die Ingenieure über die enormen Energien, die hierfür erforderlich waren. Eskapistisch orientierte Science-Fiction-Autoren ersannen fantastische Pläne für den blitzschnellen Flug zwischen Sternsystemen, während Physiker das Problem nicht minder fantasievoll angingen. Wissenschaftler spekulierten über die Existenz von Wurmlöchern, Dimensionen außerhalb der normalen Raumzeit oder eine verzerrte Raumzeit als Breschen in der Mauer der Einstein-Barriere. Leider erwiesen die Anstrengungen der Wissenschaftler sich als genauso wirkungslos wie die Bemühungen der Dichter und Schriftsteller. Trotz aller Versuche entzogen die Sterne sich auch weiterhin dem Zugriff der Menschheit.

Das heißt, bis zum Jahr 2217. In diesem Jahr verkündete nämlich ein junger marsianischer Physiker namens Dardan Pierce, dass die Zeit für die Erforschung der näheren Sterne gekommen sei. In einer im System Journal for Astrophysics veröffentlichen Studie skizzierte Pierce die Parameter für einen erfolgreichen interstellaren Raumflug. Dabei war Pierces Sternenschiff gar nicht mal ein futuristisches überlichtschnelles Gerät, sondern ein Raumschiff, das fast ein ganzes Menschenalter für seine Reise benötigen würde. Er schloss seine Studie mit der Anregung für seine Kollegen, einen Prototypen in Form einer mit Instrumenten bestückten Raumsonde zu bauen und dieses Gerät auf eine Forschungsmission zu den Welten zu senden, von denen man wusste, dass sie Alpha Centauri umkreisten: den nächsten Nachbarn der Sonne am Firmament.

Die Triebwerke, die die erste interstellare Raumsonde der Menschheit antrieben, sollten mit Antimaterie befeuert werden, einer Technologie, die in der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts entwickelt worden war. Die frühesten Raumschiffe mit Antimaterie-Antrieb hatten Mikrogramme des flüchtigen Materials benutzt, um Wasserstoff zu erhitzen, das dann durch konventionelle Raketendüsen ausgestoßen wurde. Moderne Raumschiffe verbrauchten dagegen mehrere Kilogramm Antiprotonen, die Wasserstoff in ein relativistisches Plasma umwandelten, das anschließend durch eine Reihe magnetischer Düsen im Heck des Raumschiffs ausgestoßen wurde.

Die Boosterrakete von Starhopper würde das Instrumentenpaket auf ein Zehntel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Und wenn die Reaktionsmasse eines Tages aufgebraucht war, würde der Booster abgestoßen. Am Ende der Beschleunigungsphase würden die mächtigen Triebwerke abgeschaltet, und Starhopper würde im freien Fall Kurs auf Alpha Centauri nehmen und eine Trümmerspur in ihrem »Kielwasser« hinterlassen, die bis zum Mars zurückreichte. Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Start würde das Instrumentenpaket den Booster anweisen, eine Hundertachtzig-Grad-Drehung zu beschreiben und das Bremsmanöver einzuleiten. Auch hier würden die leeren Brennstofftanks mitsamt den Aufhängungen abgeworfen. Sogar die Triebwerke würden abgestoßen, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, das Instrumentenpaket auf Intrasystem-Geschwindigkeit abzubremsen.

Die Starhopper, die in das Centauri-System einflog, hätte kaum noch eine Ähnlichkeit mit der Version, die vom Mars gestartet war. Das Instrumentenpaket machte zwar nur ein Promille der ursprünglichen Masse des Raumfahrzeugs aus, war mit seinen hundertzehn Tonnen aber immer noch so schwer wie ein kleines Raumschiff. Der Instrumentenblock enthielt Steuertriebwerke, Antimaterie, Reaktionsmasse, einen Atomreaktor, Kommunikationsgeräte und Instrumente, die dem halben Dutzend Welten, die bekanntermaßen die Sonnen von Centauri umkreisten, ihre Geheimnisse zu entreißen vermochten.

Tory Bronson lag rücklings auf dem mit Teppichboden ausgelegten Deck einer Oberflächenkuppel auf Phobos und schaute zu dem Punkt hinauf, wo der interstellare Booster eine Station auf dem größeren der zwei Marsmonde unterhielt. Sie dachte an alle Probleme und Krisen, die das Programm seit seiner Einführung heimgesucht hatten. Zumal es manchmal den Anschein gehabt hatte, wie Dard Pierce ihr des Öfteren gesagt hatte, als ob die Raumsonde überhaupt nicht gebaut werden würde. Und selbst jetzt schien die Koalition aus Regierungen, Hochschulen und Unternehmen, die sich als Sponsoren für Starhopper engagiert hatten, ihre Großzügigkeit noch zu bereuen.

Tory war drei Jahre alt gewesen, als Pierce seine ursprüngliche Studie veröffentlicht hatte. Und als er genügend Rückhalt hatte, um mit einer ernsthaften Planung zu beginnen, hatte Tory sich in die University of Olympus auf dem Mars eingeschrieben. Ihr Berufswunsch war Rechtsanwältin. Von diesem Projekt hörte sie zum ersten Mal bei einer von Pierces Vorlesungen, die sie eigentlich nur deshalb besucht hatte, weil sie einen zusätzlichen Schein für ein naturwissenschaftliches Seminar brauchte. Das wäre vielleicht ihr einziger Kontakt mit Starhopper gewesen – wenn ihre Karrierepläne sich nicht mit Beginn des dritten Semesters grundlegend geändert hätten, als sie ihr erstes Computer-Implantat erhielt.

Wie der Antimaterie-Antrieb waren auch die Implantate eine alte Technologie, die in einer über hundertjährigen Praxis stetig verbessert worden war. Die ersten Implantate waren simple akustische Geräte gewesen, kaum mehr als diese Kehlkopfmikrofone, die dem Benutzer eine lautlose Befehlsübertragung ermöglichten und die Reaktion des Computers dann direkt ins Innenohr übertrugen. Damals waren Implantate im Grunde nur Statussymbole für die Reichen gewesen – Subminiatur-Mobiltelefone für Geschäftsgespräche unter dem Deckmantel einer anderen Beschäftigung. Erst mit der Entwicklung einer Methode für die direkte Stimulierung des Gehirns wurde auch das moderne Computer-Implantat möglich. Das Herzstück eines solchen Implantats war ein molekularer Computer und ein direkter Reiz-/Reaktions-Mikroschaltkreis. Nach der Implantierung hinterm linken Ohr – oder dem rechten Ohr für Linkshänder – registrierte es den komplexen elektrischen Rhythmus des Gehirns und übertrug Gedanken in elektrische Impulse, die wiederum an einen Remote-Computer übertragen wurden. Die Reaktion des Computers wurde dann in Hirnströme zurück übertragen, und die erforderlichen Muster wurden in den sensorischen Zentren des Gehirns induziert.

Das Konzept unterlag fast zwangsläufig gewissen Beschränkungen. So musste der Träger beispielsweise lernen, auf eine Art zu denken, die das Implantat auch als einen Befehl interpretierte und nicht etwa als das Hintergrundrauschen, das Gedanken eigentlich waren. Als ob man lernen wollte, mit den Ohren zu wackeln; niemand wusste genau, wie es ging, aber wenn man den Bogen erst einmal raushatte, verlernte man es auch nicht mehr. Genauso wenig, wie die Implantate eine Intelligenzsteigerung beim Träger bewirkten. Was sie aber ermöglichten, war ein phänomenales Gedächtnis – bis zu dem Punkt, wo die Träger sich an Dinge »erinnerten«, die sie vorher überhaupt nicht gewusst hatten.

Die Benutzung eines solchen Implantats unterlag noch weiteren praktischen Einschränkungen. Die meisten Leute gelangten nämlich schnell an einen Punkt, wo weitere Daten sie nur verwirrten. Das in der Wissenschaft schon seit langem bekannte Problem wurde als »Lawineneffekt« bezeichnet, weil man das Gefühl hatte, von einer Lawine von Daten überschüttet zu werden. Die Symptome, die jemand bei einer allzu intensiven Beschäftigung mit einem Thema zeigte, waren Desorientierung und Konfusion.

Komischerweise schienen jedoch ein paar Leute immun gegen das Problem zu sein. Ganz egal, wie komplex die Aufgabe auch war, diese seltene Spezies vermochte das Ziel im Blick zu behalten, ohne sich in Details zu verlieren. Eine solche »klare Sicht« war ein angeborenes Talent. Man vermochte es weder zu lehren noch zu lernen. Die mit dieser Gabe Gesegneten waren als Manager, Organisatoren komplexer Projekte und vor allem als hoch spezialisierte Computer-Synergisten sehr gefragt.

Ein Synergist war nicht etwa ein schnöder Computerprogrammierer, denn die Computer besaßen schon seit langer Zeit die Fähigkeit, sich selbst zu programmieren. Vielmehr überwachten Synergisten den Fluss der automatisierten Skript-Programme und wiesen ihnen die richtige Richtung. Denn wie die große Mehrheit der Menschen, so neigten auch Computer dazu, sich in Details zu verlieren.

Nachdem sie entdeckt hatte, dass sie gegenüber dem Lawineneffekt immun war, wechselte Tory Bronson von der juristischen zur synergistischen Fakultät. Dort machte sie die Bekanntschaft von Ben Tallen, einem anderen Synergismus-Kandidaten. Nachdem sie sich in ihrem zweiten Studienjahr regelmäßig verabredet hatten, beschlossen sie schließlich, zusammenzuziehen. Irgendwann sprachen sie dann darüber, sich gut dotierte Jobs bei einem...