Hauptsache gesund? - Ethische Fragen der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik - Zur aktuellen Debatte

von: Hille Haker

Kösel, 2011

ISBN: 9783641072247 , 272 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 18,99 EUR

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Hauptsache gesund? - Ethische Fragen der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik - Zur aktuellen Debatte


 

5 Ethik der Elternschaft II: Das »gewählte« Kind? – Eine abschließende Reflexion (S. 191-192)

Von der Verantwortung der Eltern

Die ethische Beurteilung der Elternschaft unter den Bedingungen der modernen Medizin muss, so habe ich in diesem Buch argumentiert, sehr genau die unterschiedlichen Kontexte zur Kenntnis nehmen. Wir interpretieren notwendige soziale Praktiken auf der Grundlage dieser Kontexte, die auch die sich verändernden Werte und Normen umfassen. Die beiden großen Kontexte, die ich genauer betrachtet habe – die Schwangerschaft mit den Entscheidungskonflikten, die sich durch die Pränataldiagnostik ergeben können, und die Präimplantationsdiagnostik, die sich aus den Möglichkeiten der assistierten Fortpflanzung ergibt –, haben in der Tat den Kontext radikal verändert, in dem Elternschaft heute beginnt.

Eine Ethik der Elternschaft wird jedoch auch unter den neuen Bedingungen in erster Linie als eine Ethik dieser Beziehung zu formulieren sein. In diesem Kapitel möchte ich aber noch einmal genauer die normativen Ansprüche (die Rechte und Pflichten), die mit Elternschaft einhergehen, betrachten. Bestenfalls, so haben wir gesehen, werden sich die Handlungsmodalitäten des Wollens, Könnens und Sollens gegenseitig beeinflussen und auch korrigieren: Sollensansprüche, die weder das Wollen noch das Können angemessen einbeziehen, laufen ins Leere und führen zu einer »Überdeterminierung« des Handelns durch das Sollen. Aber umgekehrt sind auch die Wünsche und Handlungsmöglichkeiten mit den Sollensansprüchen abzugleichen, die in der Handlung bzw. Praxis zur Geltung kommen.

Handeln ohne normative ethische Reflexion wird dem Anspruch an die Verantwortung des Handelns nicht gerecht. Wenn Paare beschließen, Eltern zu werden, dann bedeutet diese Entscheidung, dass sie sich für immer binden wollen: Auch wenn sie sich als Paar trennen, auch wenn sie vielleicht einmal später nicht (mehr) für ihr Kind sorgen wollen oder können – ihr Kind wird immer ihr Kind bleiben. Umgekehrt heißt dies für ihr Kind: Es gehört zu ihnen, ist für einen gewissen Zeitraum von ihnen abhängig und es wird zu einem womöglich geringeren Teil von ihrer genetisch-biologischen Ausstattung, viel mehr aber von ihrem Handeln und ihrer Lebensweise beeinflusst werden.

Im besten Fall werden Eltern ihr Kind lieben. Diese Liebe meint nicht nur das Gefühl der überbordenden Zuneigung, die durch kein Handeln oder Verfehlen erschüttert werden kann, sondern es meint auch die aktive Liebe, die wir als Sorge und Versorgung verstehen. In der Eltern-Kind-Beziehung werden, wie vielleicht nirgendwo sonst, die Abhängigkeit und die Freiheit, die Kontingenz der Beziehung und die Notwendigkeit der Zugehörigkeit, die Gleichheit durch die Leiblichkeit und Verwandtschaft und die Differenz durch die personale Unterschiedenheit verhandelt.

Während die Biologie die Gleichheit und Zugehörigkeit des Eltern-Kind-Verhältnisses betont, beschreiben die Geisteswissenschaften, wie die Asymmetrie der Beziehung durch die Verantwortungsübernahme vonseiten der Eltern kompensiert wird. Elternschaft als asymmetrische Beziehung Beginnen wir aber am Punkt der Zuneigung und Differenzerfahrung. In der Ethikgeschichte ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Überlegungen, wie Respekt und Wohlwollen zwischen Personen zum Tragen kommen kann, die Freundschaft.

Freundschaften sind symmetrische Beziehungen, die deshalb die Freiheit und die Gleichheit in der Anerkennung der Differenz gut beschreiben können. Das Modell der Freundschaft als Ausgangspunkt der ethischen Reflexion ist allerdings in den letzten zwei Jahrhunderten ergänzt – zuweilen sogar ersetzt – worden durch ein zweites Modell: das der Vertragsbeziehung zwischen freien und gleichen Individuen. Auch in diesem Modell geht es um symmetrische Beziehungen und die wechselseitige Anerkennung von Interessen. Beide Modelle sind sozusagen Hintergrundfolien für die ethische Beschreibung der Eltern-Kind-Beziehung – aber es wäre falsch, sie einfach übertragen zu wollen.