Nimue Alban: Haus der Lügen - Bd. 8. Roman

von: David Weber

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2011

ISBN: 9783838711065 , 432 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Nimue Alban: Haus der Lügen - Bd. 8. Roman


 

.I.

HMS Dancer, vor der Thairmahn-Halbinsel, Südozean

Trotz des gleißenden Sonnenlichts war es kühl an Deck von HMS Dancer. Ein frischer Ostwind trug sie unaufhörlich nach Westen. Man hörte den Wind in der Takelage singen und die Wellen gegen den Rumpf schlagen, das Rauschen des Wassers, wenn der Bug hineintauchte. Die Galeone fuhr fast mit Höchstgeschwindigkeit. Der Wind kam von Steuerbord achteraus. Da alle Segel gesetzt waren, einschließlich der Oberbram, machte die Dancer fast zehn Knoten. Das war eine beachtliche Geschwindigkeit für eine Galeone, selbst für eine, die vor noch nicht einmal zwei Monaten die Werft verlassen hatte. Wie bei jeder Galeone der Imperial Charisian Navy war auch der Rumpf der Dancer unter der Wasserlinie mit Kupfer beschlagen. Das schützte den Rumpf vor dem Befall durch Bohrer. Diese Muschelart zerfraß nur allzu oft die Planken eines Schiffes, ohne dass es aufgefallen wäre (jedenfalls nicht, bis dem Schiff förmlich der Rumpf wegbrach). Zugleich verhinderte der Kupferbeschlag auch übermäßigen Algenbewuchs, der ein Schiff erschreckend viel Geschwindigkeit kosten konnte. Natürlich vermochte nichts die Alterung des Rumpfes zu verhindern. Doch das Kupfer verlieh der Dancer auch in dieser Hinsicht einen beachtlichen Vorteil. Daher war sie schneller als die meisten Schiffe, auf die sie stoßen mochte. Das galt auch so weit von der Heimat entfernt wie eben jetzt, im Golf von Dohlar.

Trotzdem könnte sie noch mehr Fahrt aufnehmen, wäre sie allein unterwegs, dachte Admiral Sir Gwylym Manthyr. Er ging gerade auf der Galerie auf und ab, die sich über die gesamte Breite des Hecks erstreckte. Schiffe, die im Konvoi fuhren, waren immer langsamer als bei Einzelfahrt. Denn jedes Schiff besaß nun einmal seine Eigenheiten, und so besaß jedes Schiff auch seinen eigenen idealen Kurs zum Wind. Selbst Schwesterschiffe aus ein und derselben Werft, für das Auge nicht zu unterscheiden, verhielten sich Wind und Wellen gegenüber immer ein wenig unterschiedlich. Sie benötigten immer etwas anders geartete Bedingungen, um Höchstgeschwindigkeit zu erreichen. Ein Kapitän, der sein Schiff so gut kannte, wie das für Captain Raif Mahgail galt, wusste genau, wie man die Dancer dazu bringen konnte, ihr Bestes zu geben. Doch wenn Schiffe gemeinsam fuhren, dann musste man sich unabhängig von Wind- und Wetterbedingungen immer an die Geschwindigkeit des langsamsten Begleiters anpassen.

Solange Manthyr das Kommando über HMS Dreadnought innegehabt hatte, das Flaggschiff des damaligen Kronprinzen Cayleb, waren solche Überlegungen für ihn nur hypothetischer Natur gewesen. Es hatte nicht zu den Aufgaben eines einzelnen Captains gehört, auch nicht des Flaggschiff-Kommandeurs, über die nächste Aufgabe der ganzen Flotte zu entscheiden. Oder sich darum zu kümmern, wie lange es dauerte, um sämtliche Schiffe einer Flotte von einem Punkt zum nächsten zu bringen.

Aber Manthyr war jetzt nicht mehr nur Kommandeur des Flaggschiffs.

Die Dreadnought hatte er im Darcos-Sund verloren. Diese Erinnerung schmerzte immer noch. Er hatte das Schiff geliebt, und dennoch hatte er sie gezielt in eine corisandianische Galeere hineingesteuert. Unter allen Segeln, die man nur setzen konnte, hatte er das gegnerische Schiff gerammt. Obwohl er genau mit dem Bug getroffen hatte, war die Dreadnought doch zu schnell gewesen. Die Wucht des Aufpralls hatte fast alle Fugen aufplatzen lassen. Zudem war ihr Bug gute zwanzig Fuß tief in den Rumpf des gegnerischen Schiffes eingedrungen. Sie hatte auch unter der Wasserlinie zu viel Schaden genommen, um noch gerettet werden zu können, allen Bemühungen der Mannschaft zum Trotz. Manthyr hatte gewusst, dass ihm dieses Ramm-Manöver sein Schiff kosten könnte. Doch nichts von alledem war der Grund, warum die Erinnerung an den Verlust der Dreadnought so schmerzlich war. Manthyr quälte, dass er zu spät gekommen war. Seine Mannschaft und er hatten alles Menschenmögliche getan. Dennoch waren sie zehn Minuten zu spät gekommen. Zehn Minuten. Wären sie nur diese zehn Minuten früher da gewesen, hätten sie das Leben ihres Königs noch retten können.

Gwylym Manthyr wäre bereit gewesen, ein ganzes Dutzend Galeonen auf den Meeresgrund zu schicken, hätte er sich damit die zehn fehlenden Minuten erkaufen können.

Ohne es zu bemerken, war er stehen geblieben. Die Hände an der Reling der Heckgalerie, starrte er ins Kielwasser der Dancer. Er hob den Blick, sah hinaus auf die unermessliche Weite des Südozeans und riss sich zusammen. Der Einzige, der ihm vorwarf, zu spät gekommen zu sein, war er selbst. Das wusste er genau. Seine Erhebung in den Ritterstand, seine Beförderung vom Captain zum Admiral sprachen für sich. Seines derzeitigen Auftrags als Vertrauensbeweis in seine Fähigkeiten hätte es also nicht bedurft.

Sein Geschwader operierte am weitesten von Charis entfernt: Um die große Flottenbasis auf Lock Island zu erreichen, wäre Manthyr zwei Monate unterwegs. Das Geschwader bestand aus achtzehn Kriegsgaleonen, sechs Schonern und nicht weniger als dreißig Transportern. Bislang hatten Wind und Wetter sich in unberechenbarem Maße freundlich gezeigt. Manthyr war seinem Zeitplan um beinahe zwei Fünftage voraus und befand sich nun einige Hundert Meilen südlich der Thairmahn-Halbinsel. Das Geschwader umrundete die Südspitze des Kontinents Howard und steuerte die Gosset-Passage zwischen der Westbreak-Insel und der Westspitze der ungleich größeren Insel an, die überall nur das ›Ödland‹ hieß. Von dort aus sollte es dann in die Harthianische See weitergehen. Damit wäre Manthyr dann neuntausend Meilen weit von Lock Island entfernt – Luftlinie. Nun, kein Schiff vermochte durch die Luft zu fliegen! Um diesen Punkt zu erreichen, hatte Manthyrs Geschwader mehr als fünfzehntausend Meilen zurücklegen müssen, und vor ihnen lagen noch fünftausend weitere. Derart weit von seinen Vorgesetzten entfernt, war Manthyr ganz auf sich allein gestellt. Deutlicher ließ sich nicht zeigen, dass besagte Vorgesetzte immenses Vertrauen in ihn setzten und auch auf sein Urteilsvermögen bauten, egal, wie er selbst über sein Scheitern im Darcos-Sund denken mochte. Schließlich verfügte Manchyr hier nur über die Ressourcen, die er an Bord seiner eigenen Schiffe mit sich führte – und die, die er sich zu ›organisieren‹ verstand. Aber Anleitung oder Empfehlungen fand er hier nirgendwo.

Damit unterschied er sich keineswegs von allen anderen Kapitänen, die sich mit ihrem Kriegsschiff im eigenständigen Einsatz befanden. Letztendlich war jeder Kapitän in einer solchen Situation ganz auf sich allein gestellt. Jede Entscheidung wollte allein getroffen und verantwortet sein. Im Nachhinein gäbe es wahrscheinlich auch immer jemanden, der zu dem Schluss käme, die getroffene Entscheidung sei falsch, und es auch lauthals verkündete. Das aber war der Preis, den ein jeder zu zahlen hatte, der ein Schiff Seiner Majestät des Königs (oder jetzt eben des Kaisers) befehligte.

Trotzdem, dachte Manthyr und ließ den Blick über die gewaltigen, dunkelblauen Weiten schweifen, muss ich zugeben, dass ich, als ich noch einfacher Captain war, nie richtig eingeschätzt habe, um wie viel ... komplizierter alles wird, wenn man erst einmal Flaggoffizier ist.

Er verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. Schon vor langer Zeit hatte er gelernt, dass Standpunkte veränderlich waren. Als Midshipman hatte er gedacht, ein Captain wäre Gott und die Lieutenants Erzengel. Als Lieutenant hatte er allmählich begriffen, dass ein Captain nur unmittelbar nach Gott kam, aber in Autorität und Macht den Erzengeln relativ gleichgestellt war. Als Manthyr selbst zum Captain aufgestiegen war, verstand er schließlich – dieses Mal richtig –, welche Verantwortung ein Captain als Gegenleistung für seine allmächtige Autorität auf See zu schultern hatte. Doch nun, da er Admiral war, begriff er, dass es von allen Offizieren ein Flaggoffizier am schlechtesten hatte. Ja, sie hatten viel Macht: Sie befehligten Geschwader und Flotten, nicht bloß Schiffe. Sie wiesen an, sie verwalteten, sie entwickelten Strategien. Das ganze Gewicht der Verantwortung für Sieg oder Niederlage lastete auf ihnen. Dennoch waren sie dabei auf andere angewiesen: Sie mussten sich darauf verlassen, dass andere ihre Pläne in die Tat umsetzten und ihren Befehlen Folge leisteten. Nur bis es zur Schlacht kam, waren sie die Götter der Flotte. Aber in der Schlacht waren Admiräle plötzlich nur noch unbeteiligte Zuschauer. Passagiere. In ihrer Macht stand es zwar, viele Schiffe zu befehligen, ja. Aber sie selbst würden nie wieder ein eigenes Schiff haben. Erst langsam begann Manthyr zu begreifen, wie schmerzlich das war.

Ach, jetzt hör aber auf, Gwylym! Rau lachte er in sich hinein. Wenn du das wirklich so siehst, kannst du ja immer noch darum bitten, dass man dir diesen hübschen Admiralswimpel wieder abnimmt! Oder hättest ihn gleich ablehnen können! Alles hat seinen Preis, und das wusstest du schon lange, bevor du dein Patent erhalten hast. Glaubst du wirklich, irgendjemand nimmt dir ab, dass du in Wirklichkeit gar nicht tun willst, was du gerade jetzt hier draußen treibst? Das glaubst du doch selbst nicht!

Nein, wahrscheinlich nicht, ging es ihm durch den Kopf. Auf ein unmissverständliches Knurren seines Magens hin zog Manthyr seine Taschenuhr hervor.

Kein Wunder, dass er allmählich Hunger bekam! Schon vor zehn Minuten hätte er beim Essen sein sollen. Er zweifelte keinen Moment daran, dass Captain Mahgail und der Rest seiner Offiziere bereits in der Messe auf ihn warteten.

Noch ein Beweis für die Privilegien, die mit dem Rang...