The Fourth Monkey - Das Mädchen im Eis - Thriller

von: J.D. Barker

Blanvalet, 2019

ISBN: 9783641206987 , 688 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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The Fourth Monkey - Das Mädchen im Eis - Thriller


 

1

Porter

Tag 1, 20.23 Uhr

Dunkelheit.

Schwarz und zäh waberte sie um ihn herum, schluckte alles Licht und ließ lediglich tintige Leere übrig. Nebel erstickte seine Gedanken – Worte, die entstehen wollten, die einen vollständigen Satz bilden und Sinn ergeben wollten; aber bevor es dazu kam, lösten sie sich auf, waren verschwunden, verdrängt von zunehmender Furcht, von Schwere, als versänke sein Körper in den trüben Tiefen eines vergessenen Gewässers …

Modriger Geruch.

Schimmel.

Feuchtigkeit.

Sam Porter wollte die Augen aufschlagen.

Musste die Augen aufschlagen.

Aber es ging nicht, sie blieben fest geschlossen.

In seinem Kopf hämmerte es.

Ein pulsierender Schmerz hinter dem rechten Ohr – und in der Schläfe.

»Versuchen Sie, sich nicht zu bewegen, Sam … wollen doch nicht, dass Sie kotzen müssen.«

Die Stimme kam aus weiter Ferne, war gedämpft, klang bekannt.

Porter lag auf dem Rücken.

Unter den Fingerspitzen kalter Stahl.

Erst jetzt fiel ihm die Injektion wieder ein. Eine Nadel im unteren Nacken, ein Stich, die kalte Flüssigkeit, die unter seiner Haut in den Muskel einschoss, und dann …

Er zwang seine Augen auf, auch wenn die schweren Lider sich wehrten. Trocken. Brennend.

Er versuchte, sich über die Augen zu reiben, doch sowie er die rechte Hand hob, spannte sich die Fessel um sein Handgelenk und riss die Hand zurück.

Er atmete tief ein und versuchte, sich hochzustemmen. Das Blut rauschte aus seinem Kopf, ihm wurde schwindlig, und fast wäre er rückwärtsgekippt.

»Heee, schön langsam, Sam. Jetzt da Sie wach sind, bauen Sie das Etorphin schneller ab, warten Sie einfach noch kurz.«

Ein Licht ging an, eine gleißende Halogenlampe, die auf sein Gesicht gerichtet war. Porter kniff die Augen zusammen, weigerte sich jedoch wegzusehen, sondern suchte mit dem Blick die fahle, schattenhafte Silhouette, den Mann neben der Lampe.

»Bishop?« Er erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Sie klang wie trockener Kies.

»Wie ist es Ihnen ergangen, Sam?« Der Schatten machte einen Schritt nach rechts, drehte einen leeren Farbeimer um und ließ sich darauf nieder.

»Nimm das Licht aus meinem Gesicht.« Porter zerrte an der Kette, die um sein Handgelenk lag – das andere Ende ratterte über eine dicke Rohrleitung, Wasser, vielleicht auch Gas. »Was soll der Scheiß?«

Anson Bishop streckte sich nach der Lampe und drehte sie leicht nach links. Eine Industrielampe auf einer Art Ständer. Das Licht fiel jetzt auf eine Betonziegelwand, an der ein Stück weiter hinten ein Warmwasserboiler hing. An der Rückwand standen eine alte Waschmaschine und ein Wäschetrockner.

»So besser?«

Porter zerrte an der Kette.

Bishop grinste schief und zuckte mit den Schultern.

Als Porter ihn zuletzt gesehen hatte, war sein dunkles Haar kurz geschoren. Inzwischen war es länger, heller und zerzaust. Außerdem war er unrasiert und trug keinen Anzug mehr, sondern Jeans und einen dunkelgrauen Hoodie.

»Du siehst verlottert aus«, stellte Porter fest.

»Schlechte Zeiten.«

Die Augen hatten sich kein bisschen verändert. Immer noch dieselbe Kälte im Blick.

Augen veränderten sich nie.

Bishop angelte einen kleinen Löffel aus der Gesäßtasche, einen Grapefruit-Löffel, und drehte ihn gedankenverloren zwischen den Fingern, sodass das Licht auf die gezähnte Kante fiel.

Porter sah darüber hinweg. Stattdessen blickte er nach unten und tippte mit dem Zeigefinger auf die Stahlfläche, auf der er saß. »Ist das dieselbe Art Rollbahre, an die du auch Emory gekettet hast?«

»Mehr oder weniger.«

»Konntest wohl kein Feldbett auftreiben?«

»Feldbetten gehen kaputt.«

Unter der Rollbahre sickerte eine dunkelrote Lache hervor, ein Schandfleck auf dem ohnehin schmutzigen Betonboden. Porter kommentierte ihn nicht. Seine Fingerspitzen waren klebrig, seit er die Unterseite der Stahlauflage berührt hatte. Doch auch darüber verlor er kein Wort. An der Wand zu seiner Linken hingen ein paar Regalbretter mit Malerbedarf – Dosen, Pinsel, Abdeckfolie. Über die Decke zogen sich im Abstand von je gut vierzig Zentimetern Holzbalken, die vielleicht fünf Zentimeter breit und fünfzehn Zentimeter tief waren. Dahinter verliefen elektrische Leitungen und Wasserrohre, dazwischen die obligatorischen Lüftungskanäle. »Das hier ist der Keller eines Wohnhauses, nicht groß, schon etwas älter. Da gleich über dir, das ist ein altes Asbestrohr, insofern würde ich dir empfehlen, es nicht anzuknabbern. Ich nehme an, hier wohnt niemand mehr, weil deine Lampe an einem Verlängerungskabel hängt, das nach oben führt … wahrscheinlich zu irgendeinem Akkupack oder so. Kein Generator – der wäre zu hören. Du hast die Lampe in keine der Steckdosen hier gesteckt, was darauf hindeutet, dass der Strom abgestellt wurde. Außerdem ist es arschkalt. Ich kann meinen Atem sehen, hier wird also wohl kaum geheizt. Auch das lässt auf ein unbewohntes Haus schließen. Riskiert doch niemand, dass ihm die Rohre einfrieren.«

Bishop schien angetan zu sein. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen.

»Von einer Wand zur anderen ist dieses Haus recht schmal«, fuhr Porter fort. »Ich tippe auf ein Shotgun-Haus. Und weil ich schwören könnte, dass du dich von den In-Vierteln fernhältst, wo sie Starbucks haben und Internet und gesuchte Straftäter bei der Polizei melden, sobald sie welche sichten, würde ich jetzt mal vermuten, wir sind hier in der West Side, womöglich irgendwo an der Wood Street. An der Wood stehen jede Menge Häuser leer.«

Mit der freien Hand griff Porter nach der Waffe unter seiner Winterjacke, aber das Holster war leer. Sein Handy war ebenfalls weg.

»Durch und durch Cop.«

Wenn nichts los war, waren es gute fünfzehn Autominuten von der Wood Street zu seiner Wohnung an der Wabash. Porter war nur noch einen Block von zu Hause weg gewesen, als er den Stich im Nacken gespürt hatte. Natürlich war all das reine Spekulation, aber er wollte, dass Bishop sich mit ihm unterhielt. Je mehr er sagte, umso weniger würde er über den Scheißlöffel nachdenken.

Das Hämmern in Porters Schädel hatte sich inzwischen hinter seinem rechten Auge festgesetzt.

»Wollen Sie mir gar nicht erzählen, dass ich mich stellen muss? Und dass Sie mir die Todesstrafe ersparen könnten, wenn ich kooperiere?«

»Nein.«

Bishop lächelte. »He, wollen Sie mal was sehen?«

Am liebsten hätte Porter Nein gesagt, aber es spielte im Grunde keine Rolle, was er sagte. Dieser Mann hatte einen Plan, ein Ziel; ohne verdammt guten Grund ging man das Risiko nicht ein und entführte auf offener Straße einen Ermittler der Chicago Metro.

Sein Schlüsselbund steckte immer noch in seiner rechten Hosentasche. Bishop hatte ihn dort gelassen, als er ihm Waffe und Handy weggenommen hatte. An diesem Schlüsselbund steckte ein Handschellenschlüssel; mit dem konnte man die meisten Handschellen öffnen. Als Porter neu im Polizeidienst gewesen war, hatten sie ihm erklärt, dass derjenige, der einem Tatverdächtigen Handschellen anlege, womöglich nicht derselbe sei, der sie ihm später abnehme. Im Lauf einer Festnahme könne ein Tatverdächtiger durchaus durch zwei, drei Paar Polizistenhände gehen. Daher hatten sie ihnen auch eingebläut, dem Verdächtigen immer die Schlüssel abzunehmen, und zwar sämtliche Schlüssel, wenn sie ihn abtasteten. Jeder Kriminelle, der etwas auf sich hielt, besaß einen eigenen Handschellenschlüssel, gerade für den Fall, dass irgendein Polizeifrischling unachtsam war. Irgendwie musste Porter mit der linken Hand den Schlüsselbund in seiner rechten Hosentasche zu fassen kriegen, um die Handschellen aufzuschließen, und das, noch ehe Bishop die fünf Schritte auf ihn zumachen könnte, die sie beide trennten.

Der Mann schien keine Waffe zu tragen, hatte nur den Löffel in der Hand.

»Blick nach vorn, Sam«, sagte er.

Porter drehte sich wieder zu ihm um.

Bishop stand auf und marschierte auf einen Beistelltisch zu, der neben der Waschmaschine stand. Dann kehrte er mit einem Holzkästchen in der Hand, auf dem Porters Glock lag, an seinen Platz zurück. Er legte die Glock neben sich auf den Boden, schnippte mit dem Daumen den Verschluss des Kästchens auf und hob den Deckel an.

Von dem roten Samtfutter starrten sechs Augäpfel zu Porter hoch.

Bishops frühere Opfer.

Porter sah hinunter auf die Pistole.

»Blick nach vorn«, wiederholte Bishop und gluckste leise in sich hinein.

Das hier konnte nicht stimmen. Bishop ging immer nach ein und demselben Muster vor. Er entfernte das Ohr seines Opfers, dann die Augen und anschließend die Zunge und schickte mitsamt einem Briefchen eins nach dem anderen in einer weißen Schachtel mit schwarzer Paketschnur an die Angehörigen. Ohne Ausnahme. Von diesem Muster wich er nicht ab. Er sammelte keine Trophäen. Er war fest davon überzeugt, dass er auf diese Weise die Familie für etwas bestrafte. Eine verquere Art von Selbstjustiz. Er hatte die Augen nicht behalten, er hatte nie …

»Wir fangen besser an.« Beinahe zärtlich fuhr Bishop mit der Hand über den Deckel des Kästchens. Dann stellte er es auf dem Boden neben der Pistole ab und hielt den Löffel ins Licht.

Porter rollte sich von der Bahre und schrie kurz auf, als der Stahl der Handschellen, die ihn unerbittlich an die Rohrleitung fesselten, ihm ins Handgelenk schnitt. Er versuchte, den Schmerz zu ignorieren, schob ungelenk die linke Hand in die rechte Tasche, um an die Schlüssel zu kommen, und kickte gleichzeitig die Bahre in Bishops Richtung. Der wich der Bahre aus und trat, als Porters Fingerkuppen gerade die...