Ein Tag im Dezember - Roman

von: Josie Silver

Heyne, 2018

ISBN: 9783641229931 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Ein Tag im Dezember - Roman


 

18. DEZEMBER

Laurie

»Versprich mir, heute Abend nicht voreilig über David zu urteilen. Wahrscheinlich denkst du im ersten Moment, er ist nicht dein Typ, aber glaube mir, er ist höchst amüsant. Und er ist nett, Laurie. Ich meine, neulich hat er mir in einem Meeting seinen Stuhl überlassen. Wie viele Männer kennst du, die das tun würden?« Während Sarah mir diesen Vortrag hält, kniet sie auf dem Boden vor dem Küchenschrank, um nach und nach alle verstaubten Weingläser hervorzuholen.

Fieberhaft suche ich nach einer guten Antwort, doch die Ausbeute ist mager. »Der Typ aus der Erdgeschosswohnung hat heute Morgen sein Fahrrad aus dem Weg geräumt, um mich aus der Haustür zu lassen. Zählt das?«

»Du meinst, derselbe, der unsere Post öffnet und jedes Wochenende Spuren von Kebab auf dem Flurboden hinterlässt?«

Grinsend weiche ich die Weingläser in heißem Spülwasser ein. Heute Abend findet unsere traditionelle Weihnachtsfeier statt. Seit wir zusammen in die Delancey Street gezogen sind, haben wir jedes Jahr vor Weihnachten eine Party veranstaltet. Hauptsächlich kommen Studenten und ein paar Kollegen, die wir noch nicht so lange kennen. Obwohl wir uns einreden, dass es jetzt, nachdem wir mit der Uni fertig sind, viel erwachsener zugehen wird, werden wir billigen Wein trinken und über Dinge diskutieren, von denen wir eigentlich keine Ahnung haben. Was mich angeht, so soll ich mich mit einem Mann namens David amüsieren, von dem Sarah meint, er würde großartig zu mir passen.

Das ist nicht das erste Mal. Meine beste Freundin hält sich für eine geniale Kupplerin und hat während des Studiums schon ein paar Treffen für mich arrangiert. Der Erste, Mark oder vielleicht hieß er auch Mike, erschien mitten im Winter in Laufshorts. Während des gesamten Abendessens versuchte er, mich davon abzubringen, etwas von der Speisekarte zu wählen, das man nicht in weniger als einer Stunde im Fitnessstudio wieder abtrainieren konnte. Ich bin mehr der Dessert-Typ. Für mich war der wichtigste Gang des Menüs Mike. Oder Mark. Egal. Zu Sarahs Verteidigung muss ich sagen, dass er entfernte Ähnlichkeit mit Brad Pitt hatte, vorausgesetzt, man befand sich in einem dunklen Zimmer und betrachtete ihn blinzelnd aus dem Augenwinkel. Was ich getan habe. Normalerweise schlafe ich nicht gleich beim ersten Date mit einem Mann, aber ich hatte das Gefühl, ich müsse der Sache Sarah zuliebe eine Chance geben.

Ihre zweite Wahl, Fraser, war nur unwesentlich besser. Immerhin kann ich mich noch an seinen Namen erinnern. Er war der mit Abstand schottischste Schotte, dem ich je begegnet bin. So schottisch, dass ich nur die Hälfte von dem verstand, was er sagte. Es hätte mich auch nicht überrascht, wenn er einen Dudelsack unter der Jacke versteckt gehabt hätte. Seine karierte Fliege war peinlich, doch sein eigentlicher Untergang erfolgte am Ende unserer Verabredung. Er begleitete mich nach Hause in die Delancey Street und küsste mich zum Abschied, als wollte er mich wiederbeleben – und das mit viel zu viel Spucke. Kaum war ich in der Wohnung, raste ich ins Bad, wo mein Spiegelbild mir bestätigte, dass ich aussah, als habe mich eine Deutsche Dogge abgeknutscht – im Regen.

Nicht, dass ich auf größere Erfolge bei der Wahl eines Freundes verweisen könnte. Mit Ausnahme von Lewis, meinem langjährigen Freund damals zu Hause, scheine ich irgendwie immer danebenzugreifen. Drei Dates vergehen, vier, manchmal auch fünf bis zur unvermeidlichen Pleite. Allmählich frage ich mich, ob es vielleicht nicht auch problematisch ist, eine so strahlende Schönheit wie Sarah zur besten Freundin zu haben. Bei Männern weckt sie eindeutig unrealistische Erwartungen an Frauen. Wenn ich sie nicht über alles lieben würde, würde ich ihr wahrscheinlich die Augen ausstechen wollen.

Egal, vielleicht ist es dumm von mir, aber ich weiß, dass keiner dieser Männer der richtige war. Ich bin eine Romantikerin. In meiner Fantasie ist der unbekannte Gast auf der Party einer dieser romantischen Männer aus »Schlaflos in Seattle« oder »E-Mail für dich«. Ich hoffe also, dass sich unter all den Fröschen eines Tages doch noch ein Prinz findet. Oder zumindest so etwas in der Art.

Wer weiß, wie David ist, vielleicht habe ich ja beim dritten Mal Glück. Ich werde nicht zu viel erwarten. Vielleicht ist er die Liebe meines Lebens, vielleicht ist er furchtbar. Wie dem auch sei, ich bin gespannt und ganz und gar offen für Neues. Das war im Laufe des letzten Jahres nicht oft der Fall. Sarah und ich hatten beide mit dem Übergang vom behüteten Unileben in den harten Arbeitsalltag zu kämpfen, wobei Sarah jedoch erfolgreicher war als ich. Sie hat quasi mir nichts, dir nichts eine Nachwuchsposition bei einem regionalen Fernsehsender bekommen, während ich immer noch an dieser Hotelrezeption hocke. Ja, trotz meiner guten Vorsätze für das neue Jahr arbeite ich noch immer nicht in meinem Traumjob. Entweder versuche ich weiterhin, einen Job zu finden, oder ich gehe zurück nach Birmingham, doch ich fürchte, wenn ich London einmal verlasse, komme ich nie wieder zurück. Durch ihre kommunikative Art fällt Sarah insgesamt alles leichter. Ich hingegen bin im zwischenmenschlichen Kontakt meist schüchtern und gehemmt, was bedeutet, dass Vorstellungsgespräche in der Regel nicht allzu glücklich verlaufen. Doch davon will ich heute nichts wissen. Ich bin wild entschlossen, mich so zu betrinken, dass es ganz unmöglich ist, schüchtern oder gehemmt zu sein.

Heute Abend lerne ich endlich auch Sarahs neuen Freund kennen. Sie ist schon seit ein paar Wochen mit ihm zusammen, aber aus irgendeinem Grund treffe ich diesen offenbar unglaublich scharfen Typen erst heute persönlich. Allerdings habe ich schon so viel von ihm gehört, dass ich ein Buch über ihn schreiben könnte. Ich weiß, dass er göttlich im Bett ist und dass Sarah ihn heiraten und mit ihm Kinder haben möchte, sobald er ein wahnsinnig erfolgreicher Medienstar ist, worauf er offenbar zusteuert. Fast tut er mir leid, weil seine Zukunft mit vierundzwanzig bereits verplant ist. Aber hey, wir sprechen hier von Sarah. Egal, wie cool er ist, er hat auf jeden Fall Glück.

Sarah kann einfach nicht aufhören, von ihm zu reden. Jetzt schon wieder. Detailliert berichtet sie mir von ihrem Sexleben, obwohl ich das alles gar nicht so genau wissen möchte.

Ich hebe meine Hände, um ihren Redefluss zu stoppen. Mit meinen Spülfingern verteile ich Seifenblasen in der Luft wie ein Kind, das einen Zauberstab schwingt. »Okay, okay, bitte hör auf. Ich versuche, nicht auf der Stelle einen Orgasmus zu bekommen, wenn ich deinen künftigen Ehemann endlich zu Gesicht bekomme.«

»Sag ihm das ja nicht.« Sie grinst. »Die Sache mit dem künftigen Ehemann, meine ich. Das weiß er nämlich noch nicht, und es könnte ihm Angst machen.«

»Ach, meinst du wirklich?«, frage ich todernst.

»Es ist viel besser, wenn er in ein paar Jahren denkt, er sei von alleine auf diese glorreiche Idee gekommen.« Sie steht auf und wischt sich den Staub von den Knien ihrer Jeans.

Ich nicke. So, wie ich Sarah kenne, wird sie ihn um den kleinen Finger wickeln. Wann immer sie den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält, wird er liebend gern um ihre Hand anhalten. Kennt ihr diese Leute, zu denen sich jeder hingezogen fühlt? Diese seltenen schillernden Vögel, die jeden Menschen in ihren Bann ziehen? Sarah ist so ein Mensch. Aber wenn ihr jetzt denkt, sie sei unausstehlich, habt ihr euch getäuscht.

Ich lernte sie in unserem ersten Jahr auf der Uni kennen, und zwar genau hier. Ich wollte ungern ins Wohnheim ziehen und lieber in einer der Uniwohnungen leben. Meine erste Wahl fiel auf diese Wohnung. Sie liegt in einem hohen alten Stadthaus mit drei Parteien. Unten befinden sich zwei größere Wohnungen, wir haben die Dachgeschosswohnung, die wirkt, als hätte man sie nachträglich oben auf das Haus gesetzt. Die rosa Brille fest auf der Nase, war ich sofort hin und weg, als ich sie zum ersten Mal besichtigte. Kennt ihr die kleine Wohnung, in der Bridget Jones wohnt? Daran erinnerte sie mich, nur dass sie etwas schäbiger und weniger schick ist. Um mir die Miete leisten zu können, musste ich sie mir außerdem mit einer völlig Fremden teilen. Doch das hielt mich nicht davon ab, den Mietvertrag zu unterschreiben. Eine Wohnung mit einer Fremden konnte ich mir eher vorstellen als ein lautes Wohnheim mit vielen Fremden. Ich erinnere mich noch, wie ich beim Einzug mein Zeug die Treppen hinaufschleppte und die ganze Zeit hoffte, dass meine neue Mitbewohnerin nicht meine Bridget-Jones-Fantasie zerstören würde.

Zur Begrüßung hatte sie einen Zettel an die Tür geheftet. Auf der Rückseite eines benutzten Umschlags stand in großen, geschwungenen roten Buchstaben:

Liebe neue Mitbewohnerin,

besorge eben billiges Pritzelwasser, damit wir auf unser neues Heim anstoßen können. Wenn du willst, nimm ruhig das größere Zimmer. Ich wohne sowieso lieber nah am Klo!

S.

Und schon war es passiert. Noch bevor ich sie überhaupt das erste Mal gesehen hatte, war ich ihr verfallen. In vielerlei Hinsicht ist sie ganz anders als ich, aber wir haben auch so viele Gemeinsamkeiten, dass wir uns blendend verstehen. Mit ihrem feuerroten gewellten Haar, das ihr fast bis zum Po reicht, und ihrer tollen Figur ist Sarah auffallend hübsch. Und doch ist es ihr vollkommen schnuppe, wie sie aussieht.

Normalerweise käme ich mir neben einer so schönen Frau vor wie die hässliche Schwester, doch neben Sarah fühlt man sich gut. Das Erste, was sie zu mir sagte, als sie an jenem Tag vom Laden an der Ecke zurückkam, war: »Himmel! Du bist ja eine Doppelgängerin von...