Dunkle Träume - Wächterschwingen 2

von: Inka Loreen Minden

Inka Loreen Minden, 2018

ISBN: 9783963700408 , 490 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 3,99 EUR

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Dunkle Träume - Wächterschwingen 2


 

Kapitel 2 – Nicolas Tremante


 

Nicolas schlich durch den dunklen Flur des Wohntraktes, die Schwingen dicht an den Körper gepresst. Seine nackten Füße hinterließen kein Geräusch auf dem Teppichboden, nur das raue Leder seiner langen Hose raschelte leise. Nick fühlte, dass der Kerl, den er verfolgte, etwas ausheckte. Bewegungslos verharrte der große Mann im Dunkeln und wartete offensichtlich, bis Noir ihr Büro verließ. Es war spät, sie würde es in dieser Nacht nicht mehr betreten. Seit sie schwanger war, achtete sie auf ausreichend Schlaf.

Schon ging die Bürotür auf, Noir trat heraus und Licht flammte auf. Nick kniff die Lider zusammen. Als Dämon-Gargoyle-Hybrid sah er in der Finsternis ausgezeichnet. Noir drehte ihnen den Rücken zu und ging in Richtung ihrer Wohnung. Sie hatte ihn beauftragt, ein Auge auf ihren Bruder zu haben. Sie wusste immer noch nicht, ob sie Jamie vertrauen konnte, solange er den Zash in sich nicht beherrschte.

Zu recht, denn als sie um die Ecke bog, huschte Jamie über den Teppich und steckte etwas, das aussah wie eine Karte, in den Rahmen, bevor die Tür zufiel. Dann blieb er im Flur stehen und lauschte. Noirs Schritte entfernten sich. Nick hörte, wie sie ihre Wohnung betrat. Sofort drückte Jamie die Tür auf und verschwand im Büro. Nick zögerte keine Sekunde und lief lautlos hinter ihm her. Schade, dass er in dieser Etage kein Dämonenportal erzeugen konnte, ansonsten hätte er sich jetzt ins Büro schmuggeln können. Doch Noir hatte vorgesorgt, also musste er Jamie auf konventionelle Art verfolgen, bevor die Tür zufiel. Er durfte nur nicht vergessen, den Kopf einzuziehen. Da er von allen Goyles der größte war, hatte er mit menschlichen Behausungen seine Probleme. Dennoch war er froh, hier zu sein, und dass die Hexe ihm den Job anvertraut hatte. So hatte er wenigstens einen Grund, dem Jungen nahe zu sein. Okay, ein Junge war Jamie nicht mehr, sondern ein Mann von fünfundzwanzig Jahren, mit allem, was dazugehörte. Trotz zwei dicker Narben an einer Wange sah er verdammt gut aus. Er hatte nur einen Makel, einen enormen sogar: Sein Körper war von einem Zash, einem Lenkerdämon, besetzt. Man konnte ihn zwar austreiben, jedoch würde das Jamies Tod bedeuten. Ein Höllenfürst hatte ihm vor vielen Jahren die Seele genommen und seitdem hielt ihn der Zash namens Zorell am Leben. Nick verabscheute diesen Widerling zutiefst.

Die Hexe vertraute ihm, Nicolas, mehr als ihrem Bruder, obwohl Nick selbst ein halber Dämon, ein jahrhundertealter Inkubus war. Aber er hatte Noir mehr als ein Mal seine Loyalität bewiesen, schon, als er noch gar nicht Vincents Klan angehörte. Nick gefiel es, einer Gemeinschaft anzugehören. Die wenigsten Wesen waren gern allein. Er mochte die Aufgaben, die Noir ihm zuwies, und er mochte London. Falls es ihn ab und zu woandershin zog, konnte er in seiner Freizeit mittels Portalen überallhin reisen. Nur jetzt durfte er nicht an Urlaub denken – den er zu gern mit Jamie verbringen wollte, zumal der Junge dringend auf andere Gedanken gebracht werden musste –, denn der Kleine durchwühlte Noirs Schreibtisch. Porca vacca!

Nicks langes blondes Haar, das er meist zu Zöpfchen geflochten trug, war auffällig. Jamie sollte ihn nicht schon entdecken, denn Mondlicht drang durch die Panoramascheiben der Dachterrasse. Daher verbarg er sich, so gut er es bei seiner Größe vermochte, zwischen zwei Aktenschränken, die Schwingen um den Körper gelegt, und verfolgte gebannt, was Jamie suchte. Die Daten der Klienten schienen ihn nicht zu interessieren, vielmehr hatte er es auf persönlichere Dinge abgesehen. Er förderte eine Quietscheente zutage, mit der Räuber gern spielte, ein Notizbuch, das er hastig durchblätterte, und ein kleines Fotoalbum. Dann warf er alles zurück in die Schublade.

»Verdammt«, zischte Jamie, doch es war nicht seine Stimme. Der Zash in ihm – Zorell – hatte sich nach vorn gedrängt. Nick hasste diesen Dämon, das konnte er nicht oft genug betonen.

Jamie schloss die Schubladen und kickte gegen den Schreibtisch. »Sie muss es in ihrer Wohnung aufbewahren.«

Schnell trat Nick vor, sodass er den Ausgang blockierte. Da er hier nicht befürchten musste, von Zorell auf dämonische Art angegriffen zu werden, verschränkte er die Arme vor der Brust. »Was muss sie in ihrer Wohnung haben?«

»Verdammter Schwanzlutscher!« Zorells pechschwarze Augen blitzten, und er wollte sich an Nick vorbeidrängen. »Geh mir aus dem Weg!«

Schwanzlutscher? Wie kam der Widerling darauf, dass er sich bloß für Männer interessierte? Ihm war es völlig egal, mit wem er schlief. Als halber Inkubus kam es ihm nur auf die Energie an, die er aus dem Beischlaf bezog. Diese Kraft brauchte er, um Portale zu erschaffen und sein dämonisches Leben zu verlängern. Er hatte es bereits auf 387 Jahre gebracht, obwohl er optisch nicht älter als die anderen Goyles aussah. Alles Weitere, das er zum Leben brauchte, erhielt er von gewöhnlichen Nahrungsmitteln.

Nick widerstand dem Drang, Zorell windelweich zu prügeln. Immerhin steckte er in Jamies Körper. »Was hast du hier zu suchen?« Erst als seine Knöchel knackten, bemerkte er, dass er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Mit Worten kam er bei dem Zash ohnehin nicht weit, also packte er Jamie so vorsichtig er konnte an seinem kurzen Haar, und drängte ihn gegen die Wand. »Ich will Antworten!«

»Fick dich«, knurrte Zorell, sah zu ihm auf und spuckte ihm ins Gesicht.

Das ist Jamies Speichel, sagte er sich, ließ die Zunge lasziv um den Mund kreisen und säuselte: »Nein, ich ficke dich.« Dann küsste er ihn hart, weil das der einzige Weg war, an den Kleinen heranzukommen. Normalerweise waren Nicks Bekannte und Freunde für ihn tabu, besonders für den Inkubus in ihm, doch hier musste er eine Ausnahme machen. Der Dämon hasste Jamies Homosexualität.

Zorell leistete erst Widerstand, aber bald entspannte er sich, wobei Nick nie den Blick von ihm abwendete. Die schwarze Flüssigkeit, die sein Augenweiß komplett bedeckt hatte, verschwand. Zorell zog sich zurück und Jamie erwiderte den Kuss.

Nick war überrascht. Seine Hand lockerte sich, ihre Küsse wurden intensiver. Zum ersten Mal schmeckte er den Mund des Mannes, den er glaubte, seinen Freund nennen zu dürfen. Mit dem Daumen fuhr er über Jamies vernarbte Wange, wo der Dämonenfürst Ceros ihn einst verbrannt hatte. Nicks Finger wanderten in Jamies Nacken, um ihn näher zu sich zu ziehen, ihn intensiver zu genießen. Seine Erektion drückte sich an Jamies Bauch. Jamies Augen blieben klar, die grünen Pupillen leuchteten regelrecht im hereinfallenden Mondlicht. Seine Lider flatterten, ansonsten blieb er reglos stehen, lediglich Mund und Zunge bewegten sich. Nick atmete schwer, sein Schwanz pochte im wilden Stakkato seines Herzens. Abrupt ließ er Jamie los. Es hatte ihn erregt, ihn zu küssen. Porca puttana!

Jamie starrte ihn nur an.

»Es tut mir leid, dass ich dich …« Nick räusperte sich und versuchte, seine zitternden Schwingen unter Kontrolle zu bringen. »Es war der einzige Weg, den Bastard zu vertreiben.« Mittlerweile kannte er Jamie gut, nur leider nicht so gut, wie er wollte.

»Wenn du ihn doch für immer verschwinden lassen könntest«, flüsterte Jamie und stieß sich von der Wand ab.

Nick spannte den Körper an. Was meinte er genau? Er wunderte sich über sich selbst. Machte er sich etwa Hoffnungen, dem Jungen zu gefallen?

»Was hatte Zorell hier zu suchen?« Er folgte Jamie durch die gläserne Tür auf die geräumige Dachterrasse, die das obere Stockwerk umgab. Geräusche der Stadt drangen von weit unten herauf. Das Haus war das höchste in der Umgebung.

»Er weiß es«, sagte Jamie und sah so verzweifelt aus, dass sich in Nicks Magen ein Knoten bildete.

Der laue Sommerwind, der um das Hochhaus wehte, wirbelte Jamies kurzes braunes Haar durcheinander, das er meist mit Gel im Zaum hielt. Wie gern wollte Nick noch einmal seine Finger darin vergraben.

»Was weiß wer? Sprichst du von Zorell?« Nicolas packte ihn am Arm, aber der Kleine riss sich von ihm los. Schnellen Schrittes ging er über die Terrasse.

»Ich muss mit Ash sprechen.« Jamie blickte sich um. »Ash, bist du hier?«

Der Engel tauchte jedoch nicht auf. Ash wachte über Vincents Klan und über diesen Stadtteil. Bis letztes Jahr war er ein Dämon gewesen und hatte mit Jamie in der Unterwelt gelebt, um dem Höllenfürsten Ceros zu dienen. Der Kleine hatte eine Menge durchgemacht, musste im Alter von dreizehn Jahren mit ansehen, wie seine Eltern vor seinen Augen von Ceros abgeschlachtet wurden. Ash hatte ihm in der finstersten Zeit seines Lebens Halt und ein wenig Geborgenheit gegeben.

Nick lief hinter Jamie her; seine Schwingen flatterten im Wind. »Du kannst auch mit mir sprechen!« Wie oft hatte er versucht, zu Jamie vorzudringen, nur ließ er keinen richtig an sich heran. Längst hatte Nicolas erkannt, wie sensibel und verstört er war. Über ein Jahrzehnt hatte er in der Unterwelt gelebt, war dort vom Jungen zum Mann herangereift. Das hatte ihn geprägt. Er kam in der Menschenwelt nicht zurecht, flüchtete sich in Dämonenbars, betrank sich und suchte Ablenkung, indem er mit Männern schlief. Besonders zu einem jungen Mann, sein Name war Al, ging Jamie oft. Er war ein Sklave, der in der Dämonenbar Desiderio die Gäste bespaßen musste. Nick sah den beiden oft zu, wobei er jedes Mal einen Stich in der Brust spürte. Bereits vor Wochen hatte er sich in den Kleinen, wie er ihn liebevoll nannte, verguckt. Er durfte sich nicht in ihn verlieben, nicht in den Bruder der Hexe, verdammt! Er musste einen klaren Kopf behalten.

»Jamie«, rief er erneut, »was hat...