Jesus + Nichts = Alles

von: Tullian Tchividjian

Grace today Verlag, 2017

ISBN: 9783959330596 , 249 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Jesus + Nichts = Alles


 

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GOTTES BARMHERZIGKEIT IN MEINEM ELEND
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Noch nie hatte ich so etwas Heftiges erlebt. Ich konnte kaum essen, hatte Schwierigkeiten mit dem Einschlafen und kämpfte ständig gegen Übelkeit. Ich fühlte mich völlig am Ende.

Gott, was in aller Welt tust du?

Ich brauchte Wiederbelebung.

Es war der Sommer 2009, der Tiefpunkt in dem herausforderndsten und schwersten Jahr meines Lebens. Glücklicherweise fuhren meine Familie und ich Ende Juni, wie jedes Jahr, ein paar Wochen lang in den Urlaub. Noch nie hatte ich das so nötig gehabt.

So anders

Der Gegensatz zu meinem Leben vor nur zwölf Monaten hätte nicht krasser sein können. Im Jahr davor war ich Pastor der New City Church, einer florierenden, fünf Jahre alten Gemeinde gewesen, die ich nördlich von Fort Lauderdale in Florida aufgebaut hatte. Mehrere hundert Menschen besuchten am Sonntagmorgen unsere zwei Gottesdienste in New City, für die wir Räumlichkeiten von der örtlichen Highschool angemietet hatten, und wir spürten, wie sehr wir in unserer Hingabe, einander und unserer bedürftigen Stadt die befreiende Kraft des Evangeliums zu bringen, zusammenwuchsen. Selbstverständlich hatten wir jede Menge zuversichtliche Erwartungen an unsere gemeinsame Zukunft.

Es war aber auch verständlich, dass eine andere Gemeinde ein paar Meilen weiter südlich von uns ihrer Zukunft voller Unsicherheit und mit weitaus mehr Fragen entgegensah als wir. Die presbyterianische Coral Ridge-Gemeinde in Fort Lauderdale hatte meine Familie während eines Teils meiner Kindheit besucht, als wir in den 70er-Jahren nach Südflorida gezogen waren. Die Gemeinde war vor einem halben Jahrhundert von Dr. D. James Kennedy gegründet worden und erlangte durch ihre Fernsehgottesdienste (die wöchentlich um die 3,5 Millionen Zuschauer erreichten) und die von Dr. Kennedy ins Leben gerufene Bewegung Evangelism Explosion landesweite Bekanntheit.

Die vielversprechenden Gemeinderäume – gekrönt von einer 90 Meter hohen Kirchturmspitze und einer Orgel mit 6.600 Orgelpfeifen – waren im Februar 1974 von meinem Großvater Billy Graham eingeweiht worden. Damals war ich 19 Monate alt. Doch im einundzwanzigsten Jahrhundert gingen die Besucherzahlen zurück, und mit Dr. Kennedys Tod im Jahr 2007 erlebte die Gemeinde einen weiteren harten Schlag.

Als Coral Ridge sich schließlich auf die Suche nach einem Nachfolger für den einzigen Pastor begab, den die Gemeinde je gekannt hatte, tauchte in der Diskussion mein Name auf. Innerhalb von ein paar Wochen kontaktierten mich mehrere Menschen aus der Gemeindeleitung von Coral Ridge und baten mich, darüber nachzudenken, für dieses Amt zu kandidieren. Das war einerseits eine Ehre, doch andererseits war es überwältigend. Aber nachdem ich und auch andere darüber gebetet hatten, wurde mir klar, dass ich daran kein Interesse hatte. Ich wusste, dass ich bereits auf dem Posten war, an den Gott mich gestellt hatte und wo er ein bedeutendes Werk tat. Ich konnte mir nicht vorstellen wegzugehen.

Als die Monate ins Land zogen, kam mir eine neue und faszinierende Idee. Was wäre, wenn Coral Ridge und New City sich zusammenschließen würden? Durch einige überraschende Entwicklungen und Gespräche Ende 2008 hatten Gruppen aus beiden Gemeinden den Eindruck, dass diese Idee Gottes Fingerabdruck trug. Schon bald empfanden die Teams aus beiden Gemeinden, dass es richtig wäre, einen solchen Zusammenschluss aufmerksam vor Gott zu prüfen.

An einem Sonntag Mitte Januar 2009 wurde beiden Gemeinden öffentlich angekündigt, dass es möglicherweise einen Zusammenschluss geben würde. Danach würde ich leitender Pastor der neuen vereinten Gemeinde werden. Damals berichtete Fort Lauderdales führende Zeitung, dass die Coral Ridge-Gemeinde »erst nach Luft schnappte und dann Beifall spendete«, als sie die Ankündigung hörte. Aber in New City gab es Tränen. Ich betonte ihnen gegenüber meine Überzeugung, dass Gott uns bat, unser Liebstes auf den Altar zu legen.

In den kommenden Wochen fragten sich viele Menschen innerhalb und außerhalb der beiden Gemeinden, ob ein solcher Zusammenschluss jemals wirklich gelingen könnte. Selbst die Zeitung in Fort Lauderdale wies auf offensichtliche Gegensätze hin, beschrieb mich als Pastor mit »ungepflegtem Gesicht«, »sonnengebräunter Haut«, dem »Surfen und Mainstream-Musik gefielen« – nicht gerade das Bild eines Pastors, das eine etablierte Gemeinde wie Coral Ridge während der vergangenen fünf Jahrzehnte entwickelt hatte.

Die Zeitung zitierte mich mit den Worten, dass Coral Ridge über einen Zusammenschluss nachzudenken bereit sei, sei ein positives Zeichen ihrer Flexibilität: »Allen, die denken, Coral Ridge könne sich nicht verändern, zeigt dieser unkonventionelle Schritt, dass sie es können und auch dazu bereit sind.«

Und doch hatte ich genauso viele Fragen wie alle anderen.

»Schnallt euch an«

Ich musste zugeben, dass ich in New City manchmal den Wunsch verspürt hatte, schneller, höher und weiter zu kommen, als wir bisher in unserer Gemeinde gekommen waren. Ich hatte persönliche Träume und war ehrgeizig, was unsere Entwicklung anbelangte. Aber ein großer Teil von mir hoffte, dass die Tür eines möglichen Zusammenschlusses mit Coral Ridge fest verschlossen bliebe, vor allem angesichts der Tatsache, wie sehr sich die beiden Gemeinden in Kultur, Denkweise und Erwartungen voneinander zu unterscheiden schienen.

Als ich mich mit meinem Großvater darüber unterhielt, sagte er: »Das alles macht mir Angst, aber ich vertraue Gott, dass er handelt.«

Und Gott handelte wirklich. Ich spürte deutlich, dass er die Sache vorantrieb. Den Ältesten beider Gemeinden ging es genauso. Im März stimmten sie einstimmig für den Zusammenschluss, den ein gemeinsames Team aus beiden Gemeinden geplant hatte. Im selben Monat predigte ich das erste Mal in Coral Ridge. Im Anschluss fand eine Abstimmung der Gemeinde statt. Mehr als 90 Prozent der Gemeinde von Coral Ridge stimmte für den Zusammenschluss. Am Ostersonntag versammelten sich die beiden Gemeinden das erste Mal gemeinsam. Einen Monat später, am 10. Mai 2009, wurde ich offiziell als leitender Pastor der vereinten Gemeinde eingesetzt.

Am darauffolgenden Tag lieferte ich der Gemeinde durch meinen Blog eine schriftliche Botschaft mit dem Titel »Komm und stirb mit mir«. Zunächst rief ich mir die Eindrücke des vergangenen Abends ins Gedächtnis:

Als eine neue Gemeinde feierten wir Gottes Verheißung, seine Gemeinde zu bauen. Durch das Gebet, den Lobpreis, die Predigt und die Gelübde kam Gott uns nahe und erinnerte uns daran, dass es nur um ihn und seine Ehre, seinen Ruhm und sein Ansehen geht. Gottes Gegenwart war sehr stark und unverkennbar.

Ich wiederholte die Hauptaussage der ernüchternden Botschaft, die mein Freund John Wood, ein presbyterianischer Pastor aus Tennessee, uns an jenem Abend weitergegeben hatte:

Mit dem Feuer Gottes in den Augen erinnerte er uns alle daran, dass wir sterben müssen, um Frucht zu bringen. Jesus sagte, wir müssen sterben, um zu leben. Das tägliche Leben eines Christen ist sein tägliches Sterben: Wir sterben unseren belanglosen Annehmlichkeiten, unseren Bequemlichkeiten, unseren überheblichen Vorlieben und selbstbezogenen Ansprüchen und leben für etwas viel Größeres als unsere Bequemlichkeit und Sicherheit. Gott tut alles durch Menschen, die begreifen, dass sie nichts sind. Und Gott tut nichts durch die, die denken, sie seien alles.

Dann knüpfte ich an Johns Aussage an und brachte meine Erwartung zum Ausdruck, dass Gott in unserer gemeinsamen Zukunft in Coral Ridge Großes tun würde. Und ich sprach eine Einladung aus:

Ich glaube, dass diese neue Gemeinde über all das hinaus wachsen wird, was wir erbitten oder uns vorstellen können, wenn sie voll ist mit Menschen, die sich am Evangelium berauscht haben: Menschen, die verstehen, dass wir unser Leben für einander niederlegen müssen, weil Christus sein Leben für uns niedergelegt hat. … Eine Gemeinde, die gesättigt ist mit dem Evangelium, ist eine Gemeinde, die voller Menschen ist, die alles geben, was sie haben, weil sie verstehen, dass sie in Christus bereits alles haben, was sie brauchen

Nachdem ich also rechtmäßig eingesetzt und beauftragt wurde, lade ich euch alle dazu ein, euer Leben lang mit mir zu sterben.

Diese neue Gemeinde soll der Welt zeigen, wie das menschliche Leben und die Gemeinschaft aussehen können, wenn eine Meute auf Gott fokussierter Missionare ihr Leben dafür einsetzt, zu dienen, anstatt sich dienen zu lassen.

Meine Abschlussworte waren: »Schnallt euch an.«

All das – einschließlich meiner abschließenden Ermahnung – waren Worte, an die ich in den kommenden Wochen und Monaten zwangsläufig denken würde. Auch wenn ich erwartet hatte, dass harte Zeiten anbrechen, wenn sich zwei sehr unterschiedliche Gemeinden zusammenschließen, hatte ich keine Ahnung, wie hässlich und chaotisch es werden würde.

Schmerzhaftes Crescendo

Mit dem Zusammenschluss und dem Leitungswechsel begann eine kleine, aber sehr lautstarke Gruppe von Langzeitmitgliedern aus Coral Ridge, praktisch jeder Veränderung, die wir in der Gemeinde einleiteten oder andachten, Widerstand entgegenzusetzen. Es wurden (teilweise anonyme) Blogs veröffentlicht, Nachrichten und Briefe mit falschen Anschuldigungen über mich in Umlauf gebracht. Nur drei Monate nach meiner Ankunft wurde ein heftiger Feldzug gestartet, um mich wieder loszuwerden, und er erhielt immer mehr Auftrieb. Einige begannen zu beklagen, sie hätten einen großen Fehler gemacht, als sie dem...