Blood Destiny - Bloodfire

von: Helen Harper

LYX, 2018

ISBN: 9783736307230 , 246 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Blood Destiny - Bloodfire


 

Erstes Kapitel


Ich lief den Strand knapp unterhalb des Spülsaums entlang. Über mir kreischten Möwen, der Himmel war blau und wolkenlos, die Morgensonne war eben aufgegangen. Meine Füße hinterließen schwache Abdrücke im Sand, die das Meer bald wegspülen würde. Allein mit den Elementen! Vom Hochgefühl des Augenblicks überwältigt, spurtete ich los, bis ich zu fliegen glaubte. Mein Herz schlug rasch und gleichmäßig, ich sog die Salzluft tief ein und atmete vernehmlich aus.

Mack.

Lass mich in Ruhe.

Mack.

Halt den Mund.

MACKENZIE!

Ich drosselte das Tempo. Was gibt’s?

Ich will die Ostgrenze kontrollieren. Im Dorf heißt es, dort sind seltsame Geräusche zu hören. Kommst du mit?

Ich überlegte, ob ich John abwimmeln sollte. In letzter Zeit war es ruhig gewesen, und die wenigen Vorfälle, denen wir nachgegangen waren, hatten sich als harmlos erwiesen: nur Wildtiere aus unserer Gegend. Kurz überlegte ich, am Strand zu bleiben und mein Laufpensum zu absolvieren. Dann lächelte ich reumütig. Wem wollte ich etwas vormachen?

Mackenzie?

Auf Johns leicht verärgerte Nachfrage knurrte ich etwas wenig Überzeugendes.

§ 22, Mack.

Wohl eher Befehl, gab ich zurück. Ich komme.

Das Wort des Rudelführers ist Gesetz. In seinem Satz lag eine gehörige Portion Selbstironie. Dann unterbrach er unsere mentale Verbindung.

John hat Glück, dass ich mich immer an die Regeln halte, dachte ich mir – an einige jedenfalls. Ich verließ den Strand und joggte durch den Wald. Trockene Kiefernnadeln knirschten unter den Sohlen. Ich sprang über moosbewachsene Felsen und hielt mich Richtung Osten. Obwohl das Grundstück offiziell nur vierzigtausend Quadratmeter maß, betrachteten wir ganz Cornwall als unsere Spielwiese, jedenfalls bis an die Grenze von Devon, wo ein anderes Rudel herrschte. Die Ostgrenze, von der John gesprochen hatte, verlief allerdings gleich jenseits des Bodminmoors. Einige Jahre zuvor hatten wir dort Probleme gehabt, weil irgendein schlaues Kerlchen mit Digitalkamera Alexander in seiner Tiergestalt geknipst hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen, hatte also zum Glück noch nicht seine volle Größe gehabt, und das Foto war zudem so unscharf, dass es bei den Betrachtern Zweifel und Debatten auslöste, doch die Sensationspresse hatte einen großen Tag, als sie die Aufnahme drucken und Exklusivgeschichten über das »Untier« verbreiten konnte.

Im benachbarten Exmoor gab es seit den achtziger Jahren ein ähnliches Problem. Als Elitesoldaten entsandt worden waren, um ihm auf die Spur zu kommen, hatte der befehlshabende Offizier, der das, was er für ein Tier hielt, nie hatte dingfest machen können, von der »fast menschlichen Intelligenz« des Wesens gesprochen. Ha! Bei Alexander jedoch hatten wir Glück, da es in London zeitgleich ein äußerst kniffliges Problem gegeben hatte, Wasserwichte nämlich, die die Vergnügungsdampfer auf der Themse heimsuchten – sonst hätte man uns wohl die Bruderschaft auf den Hals gehetzt, also das Gestaltwandler-Pendant zur Königlichen Familie und der gesamten Regierung Ihrer Majestät. Stattdessen kamen nur ein paar Magier, die tagelang mit Stöcken wedelten und alle warnten, es würden Köpfe in Cornwall rollen, wenn die in aller Öffentlichkeit diskutierten Gerüchte nicht verstummten. Das jedenfalls hatte man mir erzählt. John hatte mich nämlich dazu verdonnert, mich die ganze Zeit im Keller zu verstecken, aber zum Glück war die Magier-Episode bald vorbei. Cornwall galt der Bruderschaft vermutlich als zu provinziell, um sich damit zu befassen – trotz des bestürzenden Vorfalls. Doch den Gestaltwandler im Exmoor hatten sie, wie es hieß, nach den ersten Sichtungen zerrissen und als Warnung seine Körperteile in ganz Großbritannien verstreut.

Ich lief einen Bach entlang, bis er sich in die Hügel wand, sprang ans andere Ufer, begab mich dorthin zum vereinbarten Treffpunkt und fand John in der Nähe des Moors auf einer Lichtung kauernd.

»Du klingst wie ein Elefant im Unterholz«, murrte er.

Ich stemmte die Hände in die Hüften und hob eine Braue. »So dankst du mir, dass ich mein Lauftraining unterbrochen habe, um dir zu helfen, ein paar hyperaktive Karnickel aufzuspüren?«

»Das war mal.« Er richtete sich auf. Sein graumelierter Bart, seine Glatze und die Lachfalten um die Augen waren ein Hinweis auf die Weisheit und Erfahrung seines klugen Kopfes. Seit zweiunddreißig Jahren führte John das Rudel von Cornwall nun, und alle in der Meute mochten und achteten ihn, aber das hinderte mich nicht daran, ihn ein wenig aufzuziehen.

»Und was ist es diesmal? Sag nichts, ich weiß es: Ein Schaf hat sich im Moor verlaufen, und sein Blöken versetzt die Bauern in Angst und Schrecken.«

Er hielt mir etwas Kleines, schwarz Glänzendes hin. »Das wäre schön«, sagte er grimmig. »Aber schau mal.«

Ich nahm das Ding und besah es. Es wog fast nichts und war ganz glatt, und da war noch etwas. Ich hielt es ans Ohr und vernahm ein seltsames Läuten.

John musterte mich. »Du hörst etwas?«

»Logisch«, antwortete ich überrascht.

»Was denn?«

»Willst du behaupten, du hörst es nicht?« Ich war verblüfft, denn Johns Ohren waren so gut, dass er in fünfzig Schritt Entfernung ein Blatt vom Baum fallen hören konnte. »Es klingt wie Glocken, aber anhaltender. Wie das unendliche Echo eines Läutens.«

Er schürzte die Lippen und war offenbar unzufrieden. »Das ist ein Wichtelstein.«

»Der Stein einer Bergwerksfee? Kaum klopft sie dreimal, fällt der Bergmann tot um?«

»Du hast zu viele Märchen gelesen. Wichtel halten sich mitunter in alten Stollen auf und necken die Männer darin, aber meist sind sie echte Vorboten des Bösen. Ich glaube, seit über hundert Jahren wurde keiner mehr auf den Britischen Inseln gesichtet.«

»Ein ›echter Vorbote des Bösen‹ – welches Böse meinst du? Vampire? Schattenmänner?«

»Versuch es mit einem Bösen, das viele Tote und große Zerstörungen bringt.«

»Oh.« Ich hielt inne. »Also keine Karnickel.« Mich durchlief eine flüchtige Hitze.

John streckte den Arm aus, und ich gab den Stein in seine faltige Hand zurück.

»Und jetzt?«

Er runzelte stärker die Stirn und musterte mich besorgt. Ich hatte das unangenehme Gefühl, zu wissen, was er nun sagen würde, und verspürte einen Anflug von Nervosität.

Er seufzte schwer. »Ich muss der Bruderschaft Meldung machen.«

Seit ich alt genug war, um zu begreifen, wie es im Rudel lief, hatte John der Bruderschaft immer erst Meldung gemacht, nachdem ein Problem gelöst war und das Berichtete keine Maßnahmen mehr erforderte. Hier aber schien der Ärger gerade erst zu beginnen – und für mich bedeutete das gerade dann Gefahr, wenn die Bruderschaft anrücken sollte, um uns zu »retten«.

Ich musterte John ebenso hoffnungsvoll wie skeptisch. »Wirklich? Tod und Zerstörung können wir doch begegnen, ohne die Bruderschaft einzuweihen.«

Leider erwiderte er ungerührt: »Nein. Von Ereignissen von solcher Größenordnung müssen sie erfahren.«

»Kommen sie her? Muss ich gehen?«, fragte ich leise und grub meine Fingernägel schmerzhaft fest in die Handflächen.

Er antwortete wie aus der Pistole geschossen, und das beruhigte mich etwas. »Vermutlich nicht. Aber sollten sie eine Abordnung schicken, um sich mit uns zu treffen, können wir dich gut verbergen – sofern du nicht in eine Lage kommst, in der man von dir einen Gestaltwandel erwartet. Seit dem Besuch der Abordnung aus Birmingham im Herbst hat Julia die Lotion stark verbessert. Wenn du sie aufträgst, kann selbst das Oberhaupt der Bruderschaft nicht wittern, dass du ein Mensch bist.«

Das erleichterte mich gewaltig. Für mich war dies mein Zuhause – auch wenn die Bruderschaft das völlig anders sah. Und mich vermutlich dafür hinrichten würde, dass ich gewagt hatte, anderer Ansicht zu sein. Denn ich war ein Mensch – und Menschen durften von der Bruderschaft oder der Existenz von Gestaltwandlern nicht einmal wissen. Und siebzehn Jahre bei ihnen leben, das durften sie erst recht nicht.

Was die Lotion betraf: Gestaltwandler haben einen sehr ausgeprägten Geruchssinn. Als uns vor Jahren – ich war noch ein Kind – ein Mitglied eines anderen Rudels besuchte, begann Julia, jene Flüssigkeit zu entwickeln, die wir nun zuweilen verwendeten, um meinen allzu menschlichen Geruch zu überdecken. Sie hatte die Rezeptur immer weiter verfeinert. Dass ich all meine Zeit mit dem Rudel verbrachte, bedeutete zum Glück, dass der Großteil meines Menschengestanks durch das Zusammenleben mit den anderen neutralisiert worden war; die Lotion tat ein Übriges. Seit Jahren schon hatte ich fragen wollen, woraus sie bestand, mich aber stets eines Besseren besonnen. Unwissenheit ist mitunter ein Segen.

John betrachtete mich unverwandt. »Dass du nicht in Gefahr gerätst, dafür sorge ich schon.«

Ich zwang mir ein Lachen ab. »Ich kann allein auf mich aufpassen. Besser als die meisten Gestaltwandler.«

»Aber die Bruderschaft ist anders als die meisten Gestaltwandler. In Cornwall sind wir ein vorwiegend freundlicher und friedlicher Haufen, der sich nur ab und an eines wild gewordenen Karnickels erwehrt.«

Ich lächelte unwillkürlich.

»Unterschätze bloß nicht, was du über die Bruderschaft gehört hast«, fuhr John...