Das Versprechen der Jahre - Roman

von: Penny Vincenzi

Goldmann, 2018

ISBN: 9783641217051 , 640 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Das Versprechen der Jahre - Roman


 

KAPITEL 2

Celia schleuderte einen silbernen Kerzenständer gegen die Tür des Kinderzimmers, die Oliver gerade hinter sich geschlossen hatte.

»Dieses Ekel«, sagte sie zu Giles, der friedlich in seinem Bettchen saß, »dieses altmodische, selbstgefällige Ekel.«

Giles lächelte. Celia sah ihn eine Weile wütend an, bevor sie dieses strahlende Lächeln erwiderte, das sein ernstes Gesichtchen verwandelte. Mittlerweile war er ein Jahr alt, nach wie vor nicht sonderlich hübsch, aber durchaus ansehnlich mit seinen großen dunklen Augen und den braunen Haaren. Außerdem war er ausgesprochen artig.

Mit dreizehn Monaten konnte er alles, was man von einem Kind seines Alters erwartete: aufrecht stehen, wie aus dem Lehrbuch krabbeln und Ma-ma und Da-da und Na-Na zu Jenny sagen. Diese war mit gerade einmal neunzehn Jahren praktisch ohne Erfahrung in den Haushalt gekommen und hatte sich schnell zum perfekten Kindermädchen entwickelt, das Giles abgöttisch liebte, ohne ihm zu viel durchgehen zu lassen.

Nach Edgar Lyttons Tod erwog man, ein, wie Lady Beckenham es nannte, »richtiges« Kindermädchen einzustellen, doch Celia wehrte sich dagegen. Ihr seien eine richtige Köchin und ein richtiges Dienstmädchen wichtiger, erklärte sie. Sie sei sehr zufrieden mit Jenny, die sie in den ersten schwierigen Monaten ihrer Mutterschaft als Freundin zu schätzen gelernt habe, teilte sie ihrer Mutter mit. Diese erwiderte, sie hoffe, Celia mache nicht den verbreiteten Fehler der modernen Zeit zu glauben, man könne mit Bediensteten auf freundschaftlicher Ebene verkehren.

»Man muss Bedienstete auf Distanz halten, Celia, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn.«

Celia schwieg und betrachtete Jenny weiter als Freundin. Als Jenny sie an ihrem zwanzigsten Geburtstag bat, von nun an »Nanny« zu ihr zu sagen, verletzte das Celia sehr.

»Du heißt Jenny, und Jenny bist du auch für mich. Warum willst du plötzlich ›Nanny‹ genannt werden?«

»Wegen den andern Kindermädchen in Kensington Gardens. Die tragen alle ’ne Uniform und finden es seltsam, dass Sie mich mit meinem Namen ansprechen, Lady Celia. ›Nanny‹ würde mich stolz machen.«

Celia hatte den Kerzenständer gegen die Tür geschleudert, weil Oliver sich das zweite Mal weigerte, ihr eine auch nur bescheidene aktive Rolle bei Lyttons zuzugestehen. Sie langweilte sich und empfand den Haushalt und die Mutterrolle als intellektuell unergiebig, weil sie hochintelligent war und das auch wusste. In der Schwangerschaft, in der die Tage sich endlos dahinzogen, hatte sie sich mit den Werken von Dickens, Trollope, Jane Austen und George Eliot beschäftigt. Sie hatte die Tageszeitungen, die Times und den Daily Telegraph, verschlungen und Oliver gebeten, den Spectator und die Illustrated London News zu abonnieren, um noch besser informiert zu sein. Zudem erwarb sie selbst hin und wieder den Daily Mirror. Zu den Gemeinsamkeiten, die sie mit Oliver hatte, gehörte ein gewisser sozialer Idealismus. Sie und Oliver waren sich einig, dass er bei den nächsten Wahlen für die Labour Party stimmen würde.

Celia wollte mehr tun als den Haushalt führen und sich um ihr Kind kümmern. Olivers Leben faszinierte sie. Sie redete gern mit Schriftstellern, mochte ihre merkwürdige Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstzweifeln und wurde nicht müde, ihnen zu lauschen, wenn sie erzählten, wie ihre Werke entstanden und woher sie ihre Ideen bezogen. Illustratoren fand sie aufgrund ihrer ausgeprägt visuellen Wahrnehmung genauso interessant. Oft besuchte sie statt einer der vielen Einladungen zum Tee lieber das Victoria and Albert Museum oder die Tate Gallery. Sie kannte sich aus mit neueren Künstlern wie Augustus John oder Duchamp. Und sie liebte das Haus Lytton, das große, imposante Gebäude in der Paternoster Row mit seinem beeindruckenden Eingangsbereich, von dem mehrere unordentliche, verstaubte Büros abgingen, in denen Oliver, Margaret und andere leitende Beschäftigte des Verlags arbeiteten.

Edgar hatte seinen vier Kindern insgesamt lediglich 40.000 Pfund hinterlassen, der Wert von Lyttons war jedoch beträchtlich. Er bestand nicht nur aus den Büchern selbst sowie den Autoren, die bei dem Verlag unter Vertrag standen, sondern auch aus dem prächtigen Bauwerk, das Edgar mit dem ihm von George Jackson und Margaret hinterlassenen Geld erworben hatte.

LM besaß eine ähnlich liberale politische Einstellung wie die, die Celia bei Oliver so gut gefiel. Auch die Freunde der beiden fand sie faszinierend: Sie waren keine richtigen Bohemiens – dafür interessierten sie sich zu sehr für materielle Dinge –, aber intellektuelle Freidenker, mit denen man sich angeregt unterhalten konnte und deren Überzeugungen und Ansichten die Beckenhams schockiert hätten.

»Ich will arbeiten«, teilte Celia Oliver mit. »Meinen Verstand benutzen. Du solltest mich bei Lyttons anfangen lassen.«

Als sie diesen Vorschlag das erste Mal machte, reagierte er fast schockiert.

»Du bist meine Frau«, sagte er. »Ich möchte, dass du dich in unserem Heim um unseren Sohn kümmerst. In der rauen Welt der Verlage hast du nichts verloren.«

Worauf Celia erwiderte, die erscheine ihr gar nicht so rau. »Du hast keine Lektorinnen, und die solltest du meiner Meinung nach haben. Vielleicht wäre ich anfangs noch keine große Hilfe, aber ich würde schnell lernen. Ich würde wirklich gern an deiner Seite arbeiten, liebster Oliver, Teil deines ganzen Lebens sein, nicht nur des langweiligen im Haus.«

Oliver entgegnete, es tue ihm leid, dass sie es daheim so öde finde. Celia empfahl ihm, selbst einmal eine Weile zu Hause zu bleiben, dann würde er schon merken, was sie meine. Sie stritten sich heftig und versöhnten sich wie immer im Bett. Sie hatte einige Zeit Ruhe gegeben, bis sie es just an diesem Morgen erneut versuchte. Olivers Antwort war unverändert gewesen.

»Schatz, du bist meine Frau und die Mutter meines Sohnes. Ich will nicht, dass du arbeiten gehst.«

»Warum denn nicht?«

»Weil du mir den Rücken stärken sollst. Das nützt mir viel mehr.«

»Eine Ehefrau soll also nicht arbeiten, meinst du das?«

»Ja«, hatte er mit fester Stimme geantwortet. »Und jetzt muss ich los.« Mit diesen Worten hatte er das Zimmer verlassen und die Tür ziemlich heftig hinter sich zugeschlagen.

Später an jenem Tag betrat LM Olivers Büro.

»Ich muss mit dir reden«, verkündete sie.

»Worüber denn?«

»Über Celia.«

»Über Celia? Wenn sie mit dir gesprochen hat …«

»Ja, das hat sie«, sagte LM ganz ruhig. »Ist das etwa nicht erlaubt?«

»Darüber, dass sie hier arbeiten will? Ich habe ihr erklärt, dass ich das nicht möchte. Sie hat kein Recht, dich damit zu belästigen.«

»Oliver, du klingst beängstigend wie Lord Beckenham«, stellte LM fest. »Celia besitzt jedes Recht, mich anzurufen, wenn sie das wünscht. Außerdem weiß ich nicht, was du meinst. Celia hat nichts davon erwähnt, dass sie gern bei uns arbeiten würde. Sie wollte mir lediglich sagen, dass sie über die Briefe von Queen Victoria nachgedacht hat, die bei John Murray herauskommen sollen. Und sie schlägt vor, eine Biografie der Königin in Auftrag zu geben, die gleichzeitig mit den Briefen erscheinen würde. Ihrer Ansicht nach könnten wir von der Werbung der Konkurrenz profitieren. Ich finde, ihr Vorschlag beweist verlegerischen und kommerziellen Instinkt. Das sollten wir unbedingt machen. Und falls Celia tatsächlich irgendwann einmal für unser Haus arbeiten möchte, würde ich das sehr begrüßen. Wir wären dumm, sie nicht zu nehmen. Vielleicht machst du dir mal Gedanken darüber, wer dieses Buch schreiben könnte. Der Auftrag müsste sofort erteilt werden. Hoffentlich stellst du dich nicht dagegen, weil du der altmodischen Ansicht bist, dass Ehefrauen zu Hause bleiben sollten … Ah, habe ich’s mir doch gedacht! Also wirklich, Oliver! Ich bin schockiert.«

Als Oliver an jenem Abend nach Hause kam, war Celia nicht im unteren Bereich des Hauses. Sie hörte, wie er Raum um Raum nach ihr absuchte. Am Ende öffnete er die Tür zu ihrem Schlafzimmer mit verärgert-besorger Miene, die sich sofort aufhellte, als er sie nackt im Bett sitzen sah, die langen dunklen Haare offen über ihren Schultern und Brüsten.

»Tut mir leid, wenn ich dich verärgert habe«, begrüßte sie ihn und streckte die Hand nach ihm aus. »Ich wollte dir wirklich nur helfen. Bitte komm her, ich ertrage es nicht, so mit dir zu streiten.«

Wie immer war er nicht in der Lage, ihren Verführungskünsten zu widerstehen. Bei einem ziemlich späten Abendessen erklärte er ihr dann ein wenig verlegen, LM habe ihn davon überzeugt, dass er sich möglicherweise täusche und sie bei Lyttons arbeiten lassen solle.

Im Nachhinein erachtete sie jenen Abend als Wendepunkt in ihrer Beziehung: in mancherlei Hinsicht wichtiger als der, als sie ihm gestanden hatte, schwanger zu sein. Sie hatte sich gegen ihn wie gegen ihre Eltern durchgesetzt, mit einer Mischung aus Kalkül und Entschlossenheit. Von da an bekam sie ihren Willen, sowohl zu Hause als auch im Verlag.

Sie erhielt ein bescheidenes Büro im ersten Stock, das sie in ihr eigenes kleines Reich verwandelte, mit einem großen Schreibtisch mit Lederauflage, auf dem sie Fotos von Giles im Silberrahmen sowie eine teure Bibliothekslampe und eine tragbare Schreibmaschine arrangierte. Rechts und links vom Kamin stellte sie zwei Ledersofas...