Strandmord - Ein Rügen-Krimi

von: Katharina Peters

Aufbau Verlag, 2018

ISBN: 9783841215130 , 336 Seiten

2. Auflage

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 8,99 EUR

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Strandmord - Ein Rügen-Krimi


 

2


Die Teamsitzung zog sich hin. Bis alle vorliegenden Ergebnisse und die weitere Vorgehensweise eingehend besprochen waren, vergingen fast zwei Stunden. Romy war unkonzentriert und nervös. Sie arbeitete danach ihre Telefonliste ab und brachte Jan anschließend auf den neuesten Stand.

»Jemand müsste nach Güstrow fahren und sich in der Wohnung der Frau umsehen«, schloss sie ihren Bericht ab.

»Bleib auf der Insel. Ich schicke zwei Leute aus meinem Team«, entschied Jan nach kurzem Überlegen.

Dagegen hatte Romy nicht das Geringste einzuwenden. Sie verließ wenig später das Kommissariat und machte sich auf den Weg zu Kasper. Sie hatte bereits zwischendurch kurz mit ihm telefoniert und ihn gefragt, ob er Zeit für sie hätte.

»Was für eine Frage – natürlich.«

»Klingt gut.«

»Ich könnte eine Kleinigkeit kochen«, hatte er hinzugefügt. »Wie wäre es mit …«

»Fisch?«

»Genau.«

Sie lächelte, als er die Tür öffnete und sie mit einem leisen Augenzwinkern hereinbat. Du fehlst, dachte sie, verdammt, wie sehr du mir fehlst, und zwar keineswegs weil Kasch nervt. Die Lücke, die du hinterlässt, ist viel breiter und tiefer, als ich geahnt habe.

Sie gingen in die Küche, wo es nach Bratkartoffeln und Fisch roch, und er wies auf die gemütliche Eckbank unter dem Fenster. »Setz dich. Wir können gleich essen.«

Er sah gut aus – erholt und entspannt und ein bisschen neugierig.

»Ihr habt ja einen üblen Fall an der Backe«, meinte er, nahm die Pfanne vom Herd und setzte sich zu Romy. »Siehst müde aus«, fügte er stirnrunzelnd hinzu und musterte sie einen Moment eindringlich. »Iss erst mal, dann reden wir – ja?«

Romy nickte. Als sie satt war, schob sie ihren Teller beiseite und sah Kasper an. Er erwiderte ihren Blick. »So schlimm, Mädchen?«, fragte er mit leiser Stimme.

»Du hast noch nie Mädchen zu mir gesagt.«

»Stimmt. Ich nehme es sofort zurück, wenn du willst.«

»Nicht nötig.«

»Gut. Also – was ist los?«

Romy überlegte einen Moment, wo sie anfangen sollte – in München vor fünfzehn Jahren oder in Glowe, wo es einen der schönsten Strände der Insel – ach, der Welt – gab, wenn er auch seit dem Vortag nie mehr ihre erste Wahl sein würde. Sie könnte referieren, was Buhl und Max und Rechtsmediziner Möller bereits nach sehr kurzer Zeit herausgefunden hatten, um damit fortzufahren, dass Karola Tiehl offenbar eine energische und selbstbewusste Persönlichkeit gewesen war, sie aber nach wie vor keine Ahnung hatten, wo sich ihr Wagen befand und die Tat begangen wurde. Und nicht zuletzt könnte sie sich darüber auslassen, dass man ihr mit Bernd Kasch einen behäbigen Hafenpolizisten an die Seite gestellt hatte, der sie schon nach wenigen Tagen zur Weißglut brachte.

Romy stützte die Arme auf den Tisch, während Kaspers seeblaue Augen auf ihr ruhten. Meine Stimme wird zittern, dachte sie. Na und? Kasper weiß doch längst, dass ich Angst habe. Angst? Ja.

»Ich war vierundzwanzig, als es in München zwei Fälle gab, bei denen die Frauen mit durchstochenen Augenlidern und Lippen wehrlos und stumm gemacht wurden, bevor man sie vergewaltigte – besser gesagt: zwei Fälle, die polizeilich bekannt wurden«, begann Romy zu berichten. »Allerdings überlebten die Frauen. Der Täter hieß Konrad Ahlbeck. Wir haben ihn geschnappt. Er fiel auf mich als Lockvogel herein.«

Kasper rieb sich über die Nase, verschränkte die Hände ineinander und blieb still.

»Ich hielt mich damals für ziemlich tough – mutig und stark, überlegen, schlau. Als er mich dann überfiel und verschleppte, habe ich ununterbrochen Stoßgebete gen Himmel geschickt, obwohl ich schon seit gefühlt zwanzig Jahren nicht mehr gebetet hatte. Zum Leidwesen meines Vaters natürlich, aber das nur so nebenbei.« Romy lächelte schief.

»Meine Kollegen sind rechtzeitig eingeschritten«, fuhr sie fort. »Die ganze Aktion war perfekt geplant und nach einer guten Stunde beendet. Aber … sie klang lange nach, und seit gestern fühlt es sich so an, als wäre das Ganze vor drei Tagen passiert oder vor drei Stunden.«

Kasper nickte. »Das Opfer in Glowe wurde auf die gleiche Art zugerichtet?«

»Ja. Aber Karola Tiehl starb – sie war massiver Gewalt ausgesetzt, bevor man sie am Strand ablegte. Nach kurzer Zeit versagte ihr Kreislauf aufgrund von Schock und Unterkühlung. Ahlbeck hat seine Opfer auch geschlagen und vergewaltigt, aber hier ist eine andere Stufe der Eskalation erreicht, habe ich zumindest den Eindruck – was alles Mögliche bedeuten kann.«

»Stimmt. Was wisst ihr über ihn?«

»Ahlbeck ist seit einem Jahr auf freiem Fuß und hat sich in Neustrelitz niedergelassen, wo er aushilfsweise am Theater arbeitet. Der Mann ist gelernter Requisiteur«, setzte Romy ihren Bericht fort. »Bislang gibt es nicht den geringsten Hinweis auf eine Verbindung zwischen ihm und der Pharmareferentin, die aus Güstrow stammt und deren Arbeitgeber in Dortmund sitzt. Max hat, wie immer, sehr gründlich recherchiert und wird das natürlich auch weiterhin tun. Die Spurenlage am Strand war wenig aufschlussreich, das Gleiche gilt für das Hotelzimmer.«

»Also ein Nachahmer?«

»Nach dem Stand der Dinge – wahrscheinlich …« Romy brach ab. »Aber selbst wenn sich bei den noch anstehenden Überprüfungen keine Übereinstimmungen herausstellen und er ein perfektes Alibi vorweisen kann: Dieser Scheißkerl lässt mir keine Ruhe, verstehst du?«

»Natürlich. Wer würde das nicht verstehen? Waren seine Opfer damals willkürlich ausgewählt?«

»Die Frauen waren sich typmäßig ähnlich – auch in diesem Punkt fällt Karola Tiehl heraus –, und wir sind davon ausgegangen, dass er sie in einem Club beobachtete, den die beiden häufig besuchten, womöglich über einen längeren Zeitraum.«

»Und wie ist er vorgegangen?«

»Er hat beiden Frauen nachts auf dem Heimweg an der Straße aufgelauert, sie in seinen Wagen gezerrt und betäubt und ist nach Hause gefahren. Als sie aufwachten, befanden sie sich im Keller in Ahlbecks Haus ungefähr zwanzig Minuten außerhalb der Stadt in einem Dorf.« Romy atmete tief durch. »Sie waren gefesselt und nackt. Er hat die Ringe angebracht, sie vergewaltigt und später in der Nacht an einer Schnellstraße wieder rausgesetzt. Niemand hat davon etwas mitbekommen.«

»Hm.«

Romy hob die Hände. »Auch in diesem Punkt ist alles anders. Aber Menschen können sich ändern, Gewohnheiten ablegen oder neuen Gegebenheiten anpassen. Das gilt wahrscheinlich auch für Gewalttäter.«

»Und was habt ihr sonst herausgefunden? Wer hätte ein Motiv?«

»Gute Frage. Nach dem, was wir bis jetzt wissen, war Karola ausgesprochen ehrgeizig«, führte Romy weiter aus. »Ich habe vorhin mit zwei Kollegen telefoniert, die wohl nicht zu ihrem engeren Freundeskreis gehören dürften. Sie hätte sehr häufig ihre Ellenbogen eingesetzt, um voranzukommen, hieß es, und besonders beliebt war sie nicht.«

Kasper nickte.

»Familie hat sie übrigens nicht mehr. Sie ist beim Vater aufgewachsen, der bereits verstorben ist. Zur Mutter bestand kein Kontakt. Aktuell sind wir auf nichts gestoßen, was auf eine Beziehung hindeutet. Sie war mal verheiratet, ist aber seit fünf Jahren geschieden. Kinder gibt es auch nicht.«

»Demnach war sie auf ihren Beruf konzentriert und ständig unterwegs.«

Romy nickte. »Hauptsächlich in Mecklenburg-Vorpommern. Interessant sind ihre Finanzen. Sie hat regelmäßig größere Beträge auf eine ausländische Bank überwiesen. Die Details überprüfen die Stralsunder gerade. Vielleicht gibt ihr Laptop dazu auch noch was her.«

»Sie dürfte gut verdient haben.«

»Anzunehmen.«

Einen Moment blieb es still. Kasper stand schließlich auf, räumte den Tisch ab und kochte Tee. Der Wasserkessel begann leise zu sirren, und er stellte eine dickbauchige Kanne bereit.

»Sie war in Bergen bei einem Kinderarzt, hat ein neues Medikament vorgestellt – Routinetermin«, fuhr Romy schließlich fort. »Um halb sieben brach sie von dort wieder auf. Danach hat sie niemand mehr gesehen.«

»Habt ihr einen Aufruf geschaltet?«

»Ja, gleich heute Morgen. Außerdem werden sämtliche Videoüberwachungen zwischen Putgarten und Stralsund gecheckt. Das kann natürlich dauern, aber Jan hat zwei Leute aus seinem Team dafür abgestellt. Ich hoffe, dass wir einen Treffer landen.«

»Früher oder später landen wir immer einen Treffer.« Kasper goss den Tee auf, stellte die Kanne auf den Tisch und setzte sich wieder zu Romy. »Was macht dieser Ahlbeck eigentlich ausgerechnet in Neustrelitz?«

»Er ist als Aushilfe im Theater beschäftigt.«

»Klingt richtig gut.«

»Tja.«

»Ansonsten lebt er von einer kleinen Erbschaft.« Romy fuhr sich durch die Locken. »Es gibt keinerlei Auffälligkeiten. Ich möchte dennoch sehr genau wissen, was er in den letzten Tagen gemacht hat, und hoffe, dass es bald grünes Licht für eine Überprüfung gibt.«

»Verständlich.«

Romy sah zum Fenster hinaus.

Kasper goss Tee ein, gab Kandis in seine Tasse und trank zwei kleine Schlucke.

»Sag mal, wie kommst du eigentlich mit Bernd klar?«, fragte er dann in beiläufigem Ton.

»Gar nicht.«

»Dachte ich mir.«

»Gib...