Brief von Salt Ibn Umaya an seine Konspiranten in der Deutschen Demokratischen Republik

Brief von Salt Ibn Umaya an seine Konspiranten in der Deutschen Demokratischen Republik

von: Nora Schmidt

Verlag Hans Schiler, 2011

ISBN: 9783899303414 , 290 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Brief von Salt Ibn Umaya an seine Konspiranten in der Deutschen Demokratischen Republik


 

"6: Werners Freunde (S. 99-100)

Doktor Musa Ibn Nusair, 12 Shari’ al-Nasser, Kulliat al-Adab al-Agnabiya, Institut für fremdsprachige Literatur. Werner schob das Papier zurück in seine Hosentasche. Hier musste es sein. Er hatte sich an einer Mauer entlangbewegt. Das begehbare Stück Straße zwang ihn zu balancieren. Kieshügel und Abfall türmten sich auf. Neben einem hohen Stapel Bücher saß ein lesender Mann. Werner stieg über seine Füße hinweg. Das Gebäude hinter der Mauer konnte er nicht sehen.

Die Nummern 11 und 13 fehlten, aber wenn er von der 8 an richtig gezählt hatte, war dies die Universität. Ein sicherer Ort, an dem man Werner erwartete und an dem man seine Sprache verstand. Die heimelige Sicherheit musste er mit seiner Arbeit bezahlen. Der Rückzug an den Schreibtisch kam dem Studenten wie eine Niederlage vor, als wäre er an der Wirklichkeit gescheitert und kehre zu den Büchern zurück wie ein verwöhntes Kind aus dem Zeltlager.

Als die Mauer endlich von einer vergitterten Tür unterbrochen war, wurde Werner von einem Polizisten in dunkelblauer Uniform aufgehalten. Der Mann raunte ein Wort, legte den Ellbogen auf dem Gitter ab, um zu bedeuten, dass hier nicht ohne Weiteres durchzukommen war. »Wie bitte?«, fragte der ausländische Student, der dem Raunen keine ihm bekannte Vokabel zuordnen konnte. Diesmal bellte der Polizist, holte ein Wort aus seiner Kehle hervor und spuckte es aus. »Entschuldigen Sie bitte«, entgegnete Werner, »ich bin ein Student aus Deutschland. Ich erhalte ein Stipendium, um an dem Institut für fremsdsprachige Literatur zu studieren.«

Der Mann hinter dem Gitter gähnte. Er sah auf die Uhr, zog die Augenbrauen hoch und sah seinem Gegenüber dann spöttisch ins Gesicht. Gesa stieg, nachdem sie aus der Kirche zurückgekommen war, die Treppe herunter. Sie hatte sich umgezogen. Man wollte mit dem Überreichen der Geschenkpakete beginnen. In der Mitte des Tisches lag auf der roten Decke ein schöner Kasten, den Heinrich und Helmut Schlegel mitgebracht hatten. Dieses Geschenk war für keines der Familienmitglieder ausgesucht worden, sondern sollte dem gehören, der es am nötigsten brauchte. Dieses Geschenk wurde für den Fall eines plötzlichen Besuches behalten.

Man kannte die Tradition, dass ein armer oder einsamer Mensch am Heiligen Abend an die Tür klopfte und darum bat, einen Platz in der Gesellschaft zu bekommen. Man stellt eine Flasche Wein und ein zusätzliches Gedeck am Tisch für den Abwesenden bereit. Natürlich kam niemand. Die Zeit, in der Knechte und Mägde zu Fuß von Hof zu Hof zogen, war vorbei. »Gesa, du sollst das Geschenk bekommen«, sagte Dr. Werner, »es wird heute abend niemand mehr anklopfen.«

Gesa warf sich das Tuch über die Schulter. Sie sah Dr. Werner halb spöttisch, halb misstrauisch an. Er nahm das Paket in die Hände und warf den Brüdern Schlegel einen Blick zu. Sie stimmten mit einem Nicken seinem Einfall zu. Bevor er Gesa das Geschenk überreichte, zog er noch eine Blume aus dem Strauß, der auf dem Tisch stand, heraus, zupfte sorgfältig alle Blätter ab und steckte sie seiner Frau ins Haar. Unter dem Zuspruch der Gäste öffnete Gesa das erste Paket und hielt eine Spieluhr in Händen."