Unsuitable - Nicht standesgemäß

von: Samantha Towle

Sieben Verlag, 2017

ISBN: 9783864437397 , 300 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Unsuitable - Nicht standesgemäß


 

Zwei


Ich sehe aus dem Fenster auf die überfüllte Gegend Londons im Wartezimmer im ersten Stock des Bewährungshelferbüros und warte auf den mir zugeteilten Bewährungshelfer Toby Willis.

Alles sieht aus wie immer, nur anders. Oder vielleicht bin ich nur anders.

Cece wollte mit mir reingehen, aber ich hab ihr gesagt, sie soll irgendwo einen Kaffee trinken gehen, statt mit mir im Wartezimmer rumzuhängen, bis ich an der Reihe bin. In einer Stunde werde ich sie am Auto treffen.

Das war vor einer Stunde, und ich wurde immer noch nicht reingerufen.

Als ich das denke, erscheint ein Typ in der Tür. Sieht aus, als wäre er in seinen Mittdreißigern. Rasiertes Haar – wirklich kein einziges Haar ist auf seinem Kopf zu erkennen –, und er trägt einen schwarzen Nadelstreifenanzug, der wirkt, als hätte er schon bessere Tage gesehen.

„Daisy Smith? Ich bin Toby Willis. Würden Sie bitte mitkommen?“

Ich stehe auf und folge ihm durch den Korridor zu seinem Büro. Dann setze ich mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, während er die Tür zumacht. Er geht um den Schreibtisch und setzt sich dahinter.

„Tut mir leid, dass es so spät wurde. Ich konnte einem zu langen Meeting nicht entkommen.“

„Schon gut.“ Ich lächle. „Ich bin das Warten gewohnt und es ist ja nicht so, dass ich irgendwo anders sein müsste.“

Er hebt den Blick zu meinem. Seine Augen sind blau und freundlich. Eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke, sieht sein ganzes Gesicht freundlich aus. Was in starkem Kontrast zu dem krassen, kahlrasierten Kopf steht.

Er lächelt. „Gut, dann hoffen wir mal, dass wir das für Sie ändern können.“ Er dreht sich zu seinem Computer und tippt etwas ein. Dann greift er zu einer Akte. Mein Name steht oben drauf. Er öffnet die Akte und blättert durch ein paar Papiere. „So.“ Er sieht mich an. „Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Sie müssen nur über die Entlassungsbedingungen sehen und unterschreiben. Dann reden wir über Wohnmöglichkeiten und mögliche Arbeitsstellen.“

„Kann ich mit den Wohnmöglichkeiten anfangen?“

Er lehnt sich im Stuhl zurück, nickt, und gibt mir so grünes Licht.

„Ich weiß, dass ich in ein Hostel soll. Aber meine beste Freundin hat eine Wohnung in Sutton, Süd-London, und ich würde gern bei ihr einziehen. Falls das erlaubt ist.“

„Hat Ihre Freundin eine kriminelle Vergangenheit?“

„Oh Gott, nein.“ Ich lache kurz. „Sie ist Friseurin. Und hatte noch nie irgendwelche Schwierigkeiten in ihrem Leben.“

Die hatte ich auch nicht, bis ich wegen Diebstahl verhaftet wurde. Das sage ich aber nicht laut. Es macht keinen Sinn mehr, auf meine Unschuld zu bestehen. Dieses Schiff ist schon lange vorbeigesegelt.

„Dann sehe ich keine Probleme. Solange ich die Adresse und ein paar Details über Ihre Freundin habe, ist das in Ordnung.“

„Vielen Dank.“ Ich atme erleichtert durch. Ich wollte das vor Cece nicht zugeben, aber der Gedanke, in einem Hostel zu wohnen, fühlt sich an wie eine andere Form von Gefängnis. „Wollen Sie die Adresse gleich haben? Cece hat sie mir aufgeschrieben.“

„Gern.“

Ich angle das Stück Papier mit der neuen Adresse aus meiner Jeanstasche und überreiche es ihm. Er heftet den Zettel in meine Akte.

„Hier sind die Entlassungsbedingungen. Für den Rest Ihrer verurteilten Strafe müssen Sie sich an diese Regeln halten.“ Er reicht mir ein Blatt Papier. „Lesen Sie das gründlich und unterschreiben Sie unten. Sie müssen nicht unterschreiben, aber die Regeln sind trotzdem rechtlich bindend.“

„Okay.“ Ich lächele schwach. Dann lese ich die Bedingungen. Sie beinhalten, was ich erwartet habe. Wenn ich auf irgendeine Weise gegen das Gesetz verstoße, muss ich wieder rein und den Rest der Strafe absitzen. Das wird nicht passieren, ist also irrelevant. Aber ich unterschreibe trotzdem. Ich nehme den Kugelschreiber von seinem Schreibtisch, schreibe meinen Namen auf die gepunktete Linie und gebe ihm das Papier zurück.

Er heftet es in meine Akte und legt die Arme darauf ab, die Hände zusammengefaltet. „Haben Sie schon darüber nachgedacht, was Sie jetzt nach Ihrer Entlassung tun wollen?“

„Einen Job finden. Meinen Bruder zurückholen.“

Seine Augen verdüstern sich etwas, und mir fallen Steine in die Magengrube. „Daisy“, sagt er beim Ausatmen. „Ich habe Ihre Akte intensiv gelesen und kenne Ihre familiären Umstände. Und ich weiß von Ihrem Wunsch, das Sorgerecht für Ihren Bruder zu bekommen. Aber bitte beachten Sie, dass das ein langer Prozess ist. Sie müssen dem Sozialamt gegenüber beweisen, dass Sie Ihr Leben wieder im Griff haben. Ein Leben, das Ihren Bruder mit einschließen kann. Dass Sie ihm Stabilität bieten können.“

„Das alles hab ich ihm vorher auch gegeben.“ Meine Stimme ist tonlos.

„Und dann haben Sie das Gesetz gebrochen. Sie haben Ihren Arbeitgeber bestohlen. Für den Sie vier Jahre gearbeitet haben. Diese Menschen haben Ihnen vertraut. Sie müssen mir und dem Sozialamt beweisen, dass man Ihnen wieder trauen kann.“

Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie schwer es ist, zu wissen, dass man nicht getan hat, was jeder glaubt, und zuzusehen, wie man trotzdem charakterlich danach beurteilt wird. Zuzusehen, wie sie die Kontrolle über dein Leben übernehmen, dir die Familie wegnehmen. Es ist schmerzhaft, frustrierend und bricht einem das Herz.

Ich mache Fäuste mit meinen Händen und drücke die Nägel in meine weiche Haut, lasse den Schmerz meine Emotionen beherrschen. Anstatt zu sagen, was ich gern sagen würde, nämlich die Wahrheit, sage ich nur, was er hören will. „Das kann ich schaffen. Man kann mir wieder vertrauen. Ich will nur Jesse zurückhaben, und ich tue alles, was nötig ist, um zu beweisen, dass ich es wert bin, ihn bei mir zu haben.“

Das scheint ihm zu gefallen, denn er lächelt. „Gut. Da wir jetzt wissen, dass Sie eine Wohnung haben, können wir mit der Jobsuche anfangen. Ich hätte da was für Sie.“

„Wirklich?“ Ich hebe überrascht die Augenbrauen.

„Ja. Wir haben eine Liste von Arbeitgebern, die bereit sind, Leute aus dem Gefängnis einzustellen.“ Er starrt auf den Bildschirm und liest vor. „Die Stelle ist die eines Dienstmädchens. Die Besitzer haben eine Pferdevermietung auf ihrem Anwesen. Damit haben Sie aber nichts zu tun. Nur Reinigungsdienste im Haupthaus. Die Arbeitszeit geht von acht Uhr dreißig bis sechs Uhr abends mit einer Stunde Mittagspause. Die Bezahlung ist sieben Pfund die Stunde.“

Schnell versuche ich, mir das auszurechnen. Das wären sechzig Pfund am Tag. Um die dreihundert Pfund die Woche. Ich kann Cece Miete zahlen und zu den Nebenkosten beitragen. Das ist mein neuer Start! Es fühlt sich gut und richtig an. „Das klingt super. Vielen Dank.“ Ehrlich, ich würde Pferdescheiße schaufeln, wenn das bedeutet, Geld zu verdienen und mich einen Schritt weiter bringt, Jesse zurückzubekommen. „Wann fange ich an?“

„Morgen.“

„Morgen? So schnell hatte ich nicht damit gerechnet. Nicht, dass ich mich beschweren will“, füge ich schnell hinzu.

„Wir glauben, es ist gut, die Leute so schnell wie möglich zurück zur Arbeit zu schicken. Sie in eine solide, stabile Routine einzubinden. Ein Verstand, der nur rumsitzt, ist einer, der zu wandern beginnt.“

Nickend stimme ich ihm zu.

Er lächelt wieder. „Gut. Der Job ist in Westcott in Surrey auf dem Matis Estate. Sie müssen bei der Ankunft nach Mr. Matis fragen. Ich nehme an, Sie haben kein Auto.“

Ich schüttle den Kopf.

„Man kommt auch mit dem Zug problemlos dort hin.“

Scheiße, Fahrtkosten. Das muss ich berücksichtigen. Ich kann mir eine Bahncard holen, dann wird es billiger. Oder vielleicht noch besser, ich kann mir die Busfahrpläne ansehen. Vielleicht gehen welche von Sutton nach Westcott.

„Die Bezahlung erfolgt wöchentlich, also werden Sie Ihr erstes Geld Ende dieser Woche bekommen“, sagt Toby. „Wie sind Sie finanziell gestellt?“

Ich schlucke, senke den Blick, und mein Gesicht rötet sich vor Scham. „Ich, äh … ich besitze zwanzig Pfund.“ Ich schäme mich, das zuzugeben. Zwar hat er das bestimmt schon tausend Mal gehört, aber trotzdem fällt es schwer, es auszusprechen.

„Und wie sieht es mit Kleidung aus?“

„Äh, ich habe meine alten Klamotten.“ Ich sehe ihn an....