Tödlicher Ruhm - Roman

von: J.D. Robb

Blanvalet, 2017

ISBN: 9783641201821 , 544 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Tödlicher Ruhm - Roman


 

1

Frustriert und gleichzeitig bedauernd sah sie sich den Toten an. Er lag in dem stillen Zimmer auf einem weinroten Sofa, und auf seinem hellgrauen Pullover breitete sich um den Griff des silbernen Skalpells sein Herzblut aus. Langsam wanderte ihr grimmiger Blick über den Leichnam und das kunstvolle Arrangement aus Obst und Käse auf dem hübschen Holztablett, das auf dem Couchtisch stand.

»Er wurde ebenfalls aus nächster Nähe umgebracht.« Sie hatte nicht nur die Augen, sondern auch die Stimme eines Cops. Langsam richtete sie ihren schlanken, durchtrainierten Körper wieder auf. »Er liegt gemütlich auf der Couch. Der Droide ist deaktiviert, und über der Tür leuchtet das Bitte-nicht-stören-Schild. Trotzdem liegt er entspannt auf dem Sofa und hat keine Angst, als jemand den Raum betritt und sich über ihn beugt. Vielleicht weil er unter dem Einfluss von Beruhigungsmitteln steht. Allerdings gehe ich davon aus, dass die toxikologische Untersuchung nichts ergeben wird. Er kannte sie. Er hatte keine Angst vor ihr.«

Sie trat an die Tür. Den Kopf zwischen den Händen haltend, saß eine hübsche, blonde Frau auf dem Fußboden im Flur, grinsend stand ein frischgebackener, weiblicher Detective neben ihr.

Sie selbst blieb in der Tür des Zimmers stehen, in dem der Tote lag.

»Und cut! Das habt ihr wirklich super hingekriegt!«

Auf das Signal des Regisseurs brachen am Set – das dem privaten Arbeitszimmer des verstorbenen W. B. Icove Junior nachempfunden war – geschäftiger Lärm und Bewegung aus.

Eve Dallas, Lieutenant der New Yorker Polizei, die schon einmal in diesem Arbeitszimmer über einem toten Mann gestanden hatte, der sich anders als der Tote jetzt nicht aufgerichtet hatte, um sich ausgiebig am Hinterteil zu kratzen, spürte, wie das seltsame Gefühl des Déjà-vu verflog.

»Ist das Wahnsinn oder was?« Neben ihr führte Peabody einen zurückhaltenden, kleinen Tanz auf und trommelte fröhlich mit den Absätzen der pinkfarbenen Cowboystiefel, die sie zwischenzeitlich täglich trug, auf dem Fußboden herum. »Wir sind an einem echten Filmset und sehen uns selber bei der Arbeit zu. Und wir machen eine ausgezeichnete Figur.«

»Es ist seltsam.«

Noch seltsamer war es, als sie sich plötzlich selbst mit einem breiten Grinsen im Gesicht entgegenkam.

So dämlich grinste sie doch sicher nicht. Das war mindestens so seltsam, wie sich selbst – oder zumindest einer ziemlich guten Doppelgängerin – bei bereits getaner Arbeit zuzusehen.

»Lieutenant Dallas. Super, dass Sie es geschafft haben, ans Set zu kommen. Ich konnte es wirklich kaum erwarten, Sie kennenzulernen.« Die Schauspielerin gab ihr die Hand.

Eve hatte Marlo Durn schon einmal gesehen, allerdings mit dunkelgrünen Augen, blondem Haar und solariumgebräunter Haut. Deshalb brachten ihr aktuelles kurzes, wild zerzaustes, braunes Haar, die braunen Augen und das kleine Grübchen in der Mitte des Kinns, das ihrem eigenen Grübchen nachempfunden war, Eve ein wenig aus dem Gleichgewicht.

»Und Detective Peabody.« Marlo drückte ihren langen Ledermantel – der genauso aussah wie der Mantel, den Eve während der Ermittlungen im Icove-Fall von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte – einer Garderobiere in die Hand.

»Ich bin ein Riesenfan von Ihnen, Miss Durn. Ich habe mir alle Ihre Filme angesehen.«

»Nennen Sie mich bitte einfach Marlo«, bat sie Peabody. »Weil wir schließlich Partnerinnen sind. Na, was halten Sie von alledem?« Sie zeigte auf das Set und an ihrem Finger blitzte die Kopie des Eherings, den Eve am Finger trug. »Kommen wir der Sache nahe?«

»Unbedingt«, erklärte Eve, denn tatsächlich kam sie sich hier wie am Ort eines Verbrechens vor, an dem die Leute Spuren verwischten, weil sie durch die Gegend trampelten, bevor die Kriminaltechnik erschien.

»Roundtree – der Regisseur – will, dass es möglichst authentisch rüberkommt.« Marlo zeigte mit dem Kopf auf den bulligen Mann, der vor einem Bildschirm saß. »Und er kriegt immer, was er will. Deshalb filmen wir ja auch hier in New York. Hoffentlich hatten Sie Zeit, um sich in Ruhe alles anzuschauen und ein Gefühl dafür zu kriegen, was hier läuft. Obwohl ich das Buch von Nadine Furst damals noch gar nicht gelesen hatte, wollte ich die Rolle unbedingt, als ich von dem Projekt erfuhr. Und Sie, Sie beide, haben diese Dinge tatsächlich erlebt. Ach, was brabbele ich für ein dummes Zeug.«

Sie lachte unbekümmert auf. »Aber ich bin eben meinerseits ein Riesenfan von Ihnen, Eve. Ich beschäftige mich schon seit Monaten mit allem, was Sie betrifft. Ich war sogar mehrmals mit zwei richtigen Detectives unterwegs, auch wenn es Roundtree leider nicht geschafft hat, Ihren Commander dazu zu bewegen, dass er mich und K. T. Ihnen beiden bei der Arbeit zusehen lässt. Aber«, fuhr sie fort, ehe Eve ihr eine Antwort geben konnte, »seitdem ich selbst Eve Dallas bin, kann ich verstehen, warum Sie das nicht wollen.«

»Okay.«

»Ich brabbele schon wieder dummes Zeug. K. T. Komm her und sag der richtigen Detective Peabody hallo.«

Die Kollegin, die in ein Gespräch mit ihrem Regisseur vertieft war, drehte sich verärgert um, setzte dann aber sofort ihr Lächeln für die Öffentlichkeit auf.

»Es ist mir eine Ehre.« Sie trat auf die Gruppe zu, gab den beiden Polizistinnen die Hand und sah sich Peabody genauer an. »Sie haben sich die Haare wachsen lassen.«

»Ja, ein bisschen. Ich habe gerade Ihren letzten Film Teardrop gesehen. Sie waren einfach fantastisch.«

»Ich werde Dallas kurz entführen.« Marlo hakte sich bei ihrem Rollenvorbild ein. »Lassen Sie uns einen Kaffee trinken«, schlug sie vor und schleifte Eve aus Icove Juniors nachgebautem Arbeitszimmer in den nächsten nachgebauten Raum. »Die Produzenten haben dafür gesorgt, dass ich dieselbe Sorte kriege, die Sie trinken, und inzwischen bin ich einfach süchtig nach dem Zeug. Meine Assistentin hat den Tisch in meinem Wohnwagen für uns gedeckt.«

»Müssen Sie denn nicht mehr arbeiten?«

»Ein Großteil unserer Arbeit besteht darin, stundenlang darauf zu warten, dass es weitergeht. Was in Ihrem Job wahrscheinlich ähnlich ist.« In Stiefeln, Jeans und mit einem Schulterhalfter, in dem, wie Eve hoffte, nur eine Attrappe steckte, führte Marlo sie an den verschiedenen Kulissen, zahlreichen Gerätschaften und all den Leuten, die das Studio bevölkerten, vorbei.

Vor der Kulisse, die ihrer eigenen Abteilung nachempfunden war, blieb Eve stehen. Der abgenutzte Fußboden, die Arbeitsplätze mit den übervollen Schreibtischen, vor allem aber die Tafel mit den Aufnahmen der Toten sahen genauso aus wie im vergangenen Herbst auf dem Revier. Das Einzige, was fehlte, waren die Cops und der Geruch nach Schweiß, Kristallzucker und abgestandenem Kaffee.

»Ist es richtig so?«

»Ja – vielleicht ein bisschen größer als in Wirklichkeit, nehme ich an.«

»Das wird man im Film aber nicht sehen. Auch Ihr eigenes Büro haben sie genau kopiert, damit sie mich oder die anderen aufnehmen können, wenn wir an den Schreibtischen der anderen vorbei dorthin oder von dort aus loslaufen, wenn es zum nächsten Einsatz geht. Wollen Sie es sich mal ansehen?«

Sie liefen weiter an der falschen Wand und einer Freifläche vorbei, die im Film wahrscheinlich nicht zu sehen wäre, und betraten die Kopie von Eves Büro auf dem Revier. Sogar an das schmale Fenster hatte man gedacht, auch wenn durch dieses Fenster statt der Stadt das Studio zu sehen war.

»Die Aussicht auf die Wolkenkratzer und die Flieger wird mithilfe des Computers eingefügt«, erklärte Marlo, als Eve vor das Fenster trat. »Ein paar Szenen hier und auch die Szene im Besprechungsraum, in der Sie die Verschwörung zwischen Icove, Unilab und der Akademie Brookhollow aufdecken, haben wir schon gedreht. Das war unglaublich intensiv. Die Dialoge haben wir direkt dem Buch entnommen, weil es heißt, dass Nadine Furst zahlreiche Originalzitate eingeflochten hat. Sie hat die Realität unglaublich gut in eine spannende Handlung eingepackt. Obwohl ich davon ausgehe, dass die Realität als solche schon spannend genug gewesen ist. Sie wissen nicht, wie sehr ich Sie bewundere.«

Überrascht und etwas unbehaglich sah Eve die Schauspielerin an.

»Die Arbeit, die Sie täglich leisten, ist unglaublich wichtig, und Sie machen einen sehr guten Job. Aber auch ich bin wirklich gut in meinem Job und habe das Gefühl, dass meine Arbeit wichtig ist. Nicht so wichtig wie die Aufdeckung eines globalen Klon-Kartells, aber ohne Kunst, ohne Geschichten und die Leute, die diese Geschichten erst lebendig machen, wäre unsere Welt ein engerer und traurigerer Ort.«

»Auf jeden Fall.«

»Als ich angefangen habe, mich mit dieser Rolle zu befassen, wurde mir bewusst, dass mir Authentizität noch nie zuvor so wichtig war. Nicht nur wegen der Möglichkeit, damit einen Oscar zu gewinnen – obwohl der hübsche, goldene Kerl sich auf dem Sims meines Kamins gut machen würde –, sondern weil die Sache wirklich wichtig ist. Ich weiß, Sie haben bisher nur die eine Szene verfolgt, aber ich hoffe, dass Sie mir sagen werden, falls Ihnen dabei etwas nicht richtig vorgekommen ist.«

»Aus meiner Sicht haben Sie alles richtig dargestellt«, beruhigte Eve die Schauspielerin achselzuckend. »Die Sache ist die, es ist ein bisschen seltsam und verwirrend, jemanden zu sehen, der genau dasselbe tut und sagt wie damals ich. Aber gerade, weil es seltsam und verwirrend für mich ist, haben Sie Ihre Sache offenbar sehr gut gemacht.«

Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf den Lippen ihres Gegenübers aus. Und nein, sagte sich Eve, so...