Windflüstern - Ein Romantikkrimi auf Sylt

von: Christine Rath

Gmeiner-Verlag, 2017

ISBN: 9783839253281 , 407 Seiten

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Windflüstern - Ein Romantikkrimi auf Sylt


 

1. Kapitel: 25 Jahre später – Der Wind flüstert deinen Namen


Leise bewegen sich die Zweige der Kiefern im Abendwind. Die tief stehende Sonne wirft lange Schatten in den gepflegten Garten des wunderschönen, mit Reet gedeckten Klinkerhauses. Sanft ertönen die Klänge des Windspiels, das Elena gegen den Willen von Hans auf der windgeschützten Terrasse angebracht hat. Er hatte zwar protestiert, weil es seiner Meinung nach nicht zum Stil des Hauses passen würde, es aber dennoch an der angebrachten Stelle stillschweigend hängen lassen. Hans kann Elena selten etwas abschlagen. Sie braucht ihn nur mit leicht geneigtem Kopf anzusehen und ein kleines Lächeln aufzusetzen … schon ist er wieder Wachs in ihren Händen! Sie ist sich ihrer Wirkung nicht nur bei Hans, sondern auch bei anderen Männern durchaus bewusst. Schließlich hat diese sie dorthin gebracht, wo sie jetzt ist, in dieses wunderschöne Haus, das im exklusiven Ort Kampen steht, dem teuersten Ort in ganz Deutschland. Der Weg hierher war für Elena sehr steinig gewesen, doch seitdem sie hier war, wurde sie endlich für all ihre Mühen und Entsagungen belohnt. Sie hatte sich in dieses Haus in der ersten Minute, in der sie es betreten hatte, verliebt. Und das, obwohl es in ihren Augen einfach schrecklich eingerichtet war. Sicher, es handelt sich bei den Möbeln um rare Antiquitäten, exquisite und wertvolle Stücke, die Hans und seine damalige Ehefrau von überall auf der Welt zusammengetragen haben. Doch in Elenas Augen wirken sie bieder und altbacken. Sie passen so gar nicht zu ihr! Bis jetzt weigerte sich Hans hartnäckig, die alten Sachen durch schicke, moderne Designermöbel zu ersetzen. Doch sie weiß, sie muss ihn nur noch ein wenig umschmeicheln, dann wird sie das auch noch durchsetzen.

Seufzend steckt sie sich das lange rotblonde Haar nach oben und zieht die Lippen mit dem heute neu in der Kampener Parfümerie erworbenen Lippenstift nach. Seine goldene Hülle funkelt im Licht der Abendsonne, die durch die Fenster des großen Badezimmers auf die Marmorfliesen fällt. Prüfend betrachtet sie die feinen Fältchen um ihre Augen und die Falte auf der Stirn, die immer tiefer zu werden scheint. Das ist der Nachteil der intensiven Sonne auf Sylt – die Haut wird sehr schnell trocken. Und faltig, besonders, wenn man so empfindliche Haut hat wie Elena. Da nützt auch die teure Antifaltencreme aus der Parfümerie nichts mehr.

Elena ist nun einmal keine 20 mehr, auch wenn sie mit über 40 Jahren immer noch über eine tadellose Figur und – bis auf die paar Fältchen – seidige und glatte Haut verfügt.

Nun, ihr mehr als vermögender Ehemann kann es sich bestimmt leisten, seiner Frau demnächst einen kleinen Aufenthalt in einer Schönheitsklinik zu bezahlen. Elena nimmt sich vor, ihn bei passender Gelegenheit darauf anzusprechen. Gott, wie sie es hasst, ihn immer wieder anbetteln zu müssen! Sie hat zwar wirklich eine mehr als nur »gute Partie« gemacht, doch ihr Ehemann verwaltet das ganze Geld, und sie bekommt nur ein in ihren Augen viel zu kleines Taschengeld. Sicher, er bezahlt alle Rechnungen. Von dem Tag an, an dem sie bei ihm eingezogen war, hatte sie es nicht mehr nötig gehabt zu arbeiten. Seitdem kann sie sich den Luxus erlauben, regelmäßig zur Kosmetikerin und zum Friseur zu gehen und die schönsten Kleider in den teuersten Boutiquen zu kaufen. Sie speisen nur in den feinsten Restaurants und wählen bei ihren zahlreichen Reisen stets nur die besten Hotels. Außerdem bezahlt Hans ihre Reitstunden und ihr Pferd! Warum also regt sie sich so auf, weil sie ihn bei größeren Anschaffungen um Erlaubnis fragen muss? Das müssen andere Ehefrauen vermutlich auch. Seit ihrer Kindheit hatte sie davon geträumt, ein eigenes Pferd zu besitzen. Und Hans hatte ihr diesen Traum, gleich, nachdem sie ihm davon erzählt hatte, erfüllt. Er hatte ihr die schönste Stute, die sie je gesehen hatte, zum Geburtstag geschenkt. Elena hatte sie Fantaisie genannt nach einem ihrer Lieblingsstücke von Chopin. Fantaisie ist in einem Reitstall in Keitum untergebracht, den Elena mindestens einmal am Tag aufsucht.

Manchmal, wenn Fantaisie sie aus ihren großen Pferdeaugen ansieht, hat Elena das Gefühl, dass die Stute bis auf den Grund ihrer Seele blicken und ihre wahren Gefühle erkennen kann, was natürlich völliger Blödsinn ist.

Sie schlüpft in bequeme Jeans und einen warmen Pullover, denn der Wind hat stark aufgefrischt, und es wird Hans sicher auffallen, wenn sie zu leicht angezogen ist.

Hastig stopft sie ein paar andere, viel schickere Kleidungsstücke in ihre große Louis-Vuitton-Tasche und läuft leise die Treppe nach unten. Hans sitzt mit dem Rücken zu ihr auf der Terrasse, den Blick in seine Zeitung vertieft. Sie hält einen Augenblick inne und betrachtet den Mann, der ihr dieses sorgenfreie Leben ermöglicht. Sie sieht einen noch immer äußerst attraktiven Mann, auch wenn er schon über 70 ist. Er ist groß und stattlich, und mit seinem hellen Haar, in dem nur wenige silberne Strähnen erkennbar sind, dazu braun gebrannt, ist Hans der Inbegriff des gut aussehenden Unternehmers. Für einen Moment ergreift sie tiefes Bedauern, dass sie ihn nicht lieben kann. Es liegt ganz gewiss nicht an ihm! Elena kann niemanden mehr lieben. Sie hat nur ein einziges Mal einem Mann ihr Herz geschenkt, und dieser Mann ist schon lange tot. Einen anderen hat es nie für sie gegeben, und das wird es auch nie. Dabei wäre Hans es wirklich wert, geliebt zu werden! Eine andere Frau könnte ihn sicher glücklich machen, denkt Elena. Sie stellt ihre Tasche am Eingang ab und geht langsam auf ihn zu. Als habe Hans ihre leisen Schritte gehört, hebt er den Blick von der Zeitung und lächelt sie an. Nein, Hans ist glücklich mit ihr, korrigiert Elena ihre Gedanken. Sein liebevoller und bewundernder Blick sagt alles aus: Er ist stolz auf seine schöne, jung aussehende Frau.

Elena umarmt ihn. Auch wenn sie ihn nicht liebt, so kostet es sie keinerlei Überwindung, ihn zu umarmen. Schließlich hat sie schon andere Männer umarmt, denen sie keine Dankbarkeit schuldete und die nicht so gut zu ihr waren.

»Du willst noch in den Reitstall?«, fragt Hans. In seiner Stimme schwingt ein leiser Anflug von Enttäuschung mit.

»Ich dachte, wir gehen heute Abend zum Essen in den ›Rauchfang‹?«

»Es tut mir leid, Ljubimij, Liebling.«

Elena legt so viel Bedauern in ihre Stimme, wie sie nur kann.

»Ich möchte noch einmal nach Fantaisie sehen«, antwortet sie. »Das Wetter schlägt um. Du weißt, sie ist dann immer besonders unruhig. Aber ich verspreche, ich bin bald zurück. Dann können wir doch immer noch in den ›Rauchfang‹. Warum nimmst du nicht inzwischen ein Entspannungsbad?«

Hans liebt seine große Whirlpoolbadewanne und entspannt sich am liebsten jeden Tag darin.

»Ich beeile mich auch! In Ordnung, Liebling?«, setzt sie hinzu und streicht ihm liebevoll über das Haar.

»Natürlich, Schatz«, antwortet Hans darauf verständnisvoll.

»Huhu! Hallo, ihr beiden!«, ertönt eine fröhliche Stimme auf der anderen Seite des mit Rosen bewachsenen Steinwalls.

Du liebe Zeit! Die Nachbarin Britt. Die hat Elena gerade noch gefehlt!

Schon kommt sie durch die Lücke im Steinwall herübergelaufen, in der Hand eine Flasche Weißwein schwenkend.

»Ich wollte euch auf ein Gläschen zu mir auf der Terrasse einladen. Was meint ihr? Das Wetter soll umschlagen, schon morgen kann es wieder regnen.«

Britt lächelt freundlich. Mit ihren langen Beinen, ihren hellblonden Haaren und den hellen blauen Augen ist sie der Inbegriff einer nordischen Schönheit, mit anderen Worten das ganze Gegenteil von Elena. Vielleicht kann ich sie deshalb nicht leiden, denkt sie. Oder, weil ihr immer so freundliches Wesen einfach unerträglich auf die Nerven geht. Natürlich sieht Hans das ganz anders und scheint sich über den Besuch der Nachbarin zu freuen.

Was will die schon wieder hier?, denkt Elena, bemüht sich aber, das freundliche Lächeln zu erwidern. Ihr ist bewusst, dass Britt seit dem Tod ihres Mannes viel alleine ist. Wahrscheinlich hat sie seitdem ein Auge auf Hans geworfen und wäre nur zu gerne selbst Frau Ewers geworden! Nun, Hans hat sich aber anders entschieden und vor zwei Jahren die schöne Elena zu seiner Frau gemacht. Ungefähr 20 Jahre jünger als Britt, rotblond und zierlich, aber mit den Rundungen an den richtigen Stellen ist sie wirklich das genaue Gegenteil von ihr. Das muss ein herber Schlag für Britt gewesen sein! Kein Wunder verhält sie sich ihr gegenüber so distanziert. Hans umarmt sie dagegen jetzt innig und sieht ihn dabei prüfend an.

»Du siehst müde aus, alter Freund! Geht es dir nicht gut?«

Er lächelt. »Je später der Abend, desto schöner die Gäste!«, begrüßt er die Nachbarin, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Auch Elena wird mit einer Umarmung Britts bedacht, die allerdings wesentlich weniger herzlich ausfällt. Es ist deutlich zu sehen, die beiden Damen mögen sich nicht.

»Was ist? Kommt ihr auf einen Sprung herüber?«

Britt lässt nicht locker. Offenbar ist sie nicht gewillt, die Flasche Wein alleine zu leeren.

»Heute nicht, liebe Britt. Aber danke für die Einladung!«, enttäuscht sie Hans. »Ich bin in der Tat sehr müde heute Abend, und Elena möchte noch kurz in den Reitstall.«

»Jetzt noch?«

Misstrauisch zieht Britt eine Augenbraue nach oben.

»Fantaisie ist immer unruhig, wenn das Wetter umschlägt«, entschuldigt sich Elena.

Als ob ich mich vor der rechtfertigen müsste, denkt sie. Was ich tue, geht die nun...