Gutes Training schützt das Pferd - Schonende Ausbildung nach osteopathischen Grundsätzen

von: Barbara Welter-Böller, Maximilian Welter

Cadmos Verlag, 2016

ISBN: 9783840464379 , 176 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 19,99 EUR

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Gutes Training schützt das Pferd - Schonende Ausbildung nach osteopathischen Grundsätzen


 

FORM FOLLOWS FUNCTION: WARUM PFERDE SIND, WIE SIE SIND

(Foto: Jessmine/Shutterstock)

Die Osteopathie geht davon aus, dass die Natur das Pferd so geformt hat, dass es ohne größere Einschränkungen gesund alt werden kann. Schauen wir uns also an, wie der Pferdekörper funktioniert und welche Unterschiede es zwischen den Pferdetypen gibt.

Osteopathische Leitsätze

Wenn wir das Training und die Ausbildung des Pferdes unter den folgenden Gesichtspunkten betrachten und darüber hinaus über genügend Verständnis der Anatomie und Biomechanik verfügen, können Schadensmechanismen für das Pferd vermieden werden:

1.  Die Funktion bestimmt die Struktur.

2.  Der Körper existiert im Spannungsfeld von Stabilität und Mobilität.

3.  Kompression ist der größte Schadensmechanismus für den Körper.

DIE FUNKTION BESTIMMT DIE STRUKTUR

In über 25 Millionen Jahren hat sich das Pferd vom fuchsgroßen Urpferdchen Eohippus zum modernen Pferd entwickelt. Durch Zucht und Selektion sind unsere heutigen Pferderassen entstanden.

Immer wieder haben sich in dieser unvorstellbar langen Zeit der Entwicklung Skelett und Muskulatur an die Umweltanforderungen des Pferdes angepasst. Alles, was ihm nichts nützte, entwickelte sich zurück, anderes passte sich in Form und Größe seinen Bedürfnissen an.

So können wir am Skelett des Pferdes und seiner Muskelverteilung, also an seinem Exterieur, ablesen, wofür gerade dieses Pferd geeignet ist.

Kompression als Schadensmechanismus: Der Druck des Sattels hat Spuren hinterlassen. (Foto: Julie Vader/Shutterstock)

DER KÖRPER IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN STABILITÄT UND MOBILITÄT

Der Pferdekörper, so wie der menschliche Körper auch, lebt immer im Spannungsfeld von Mobilität (Beweglichkeit) und Stabilität. Herrscht einer dieser Parameter zuungunsten des anderen vor, wird das Pferd ineffiziente Bewegungsmuster zeigen, die den Körper zu energieverbrauchenden und gelenkschädigenden Kompensationsmechanismen zwingen.

Das Skelett ist das stabile Element im Pferdekörper. Durch seine gelenkigen Verbindungen ist es aber auch mobil genug, um alle für das Pferd nötigen Bewegungen zu ermöglichen. Muskeln und Faszien, also das Bindegewebsnetz des Körpers, sind Bewegungsmotor und zugleich dynamische Stabilisatoren.

Sind Mobilität und Stabilität im Gleichgewicht, ist das Pferd gesund.

KOMPRESSION IST DER GRÖSSTE SCHADENSMECHANISMUS FÜR DEN KÖRPER

Knochen, Muskeln und Gelenkbeweglichkeit sind trainierbar. Anders ist es mit der Kompression. Deshalb hat Andrew Taylor Still die Kompression als den Hauptschadensmechanismus für den Körper postuliert.

Als Beispiele kann man hier die vielen und stets irreparablen degenerativen Gelenkerkrankungen (Arthrosen), wie z.B. den Spat oder auch die weitverbreiteten Probleme in der Sattellage, heranziehen. Eine von der Natur nicht vorgesehene Kompression einer Struktur verursacht Schäden. Sie muss zur Erhaltung der Gesundheit vermieden werden. Wenn es zur Kompression kam, muss das Pferd genügend Zeit zur Regeneration bekommen.

Physiologie der Bewegung: Warum das Pferd geradeaus und vorwärtsläuft

Pferde sind Energiesparer. Der Grund: Energieeffizienz hat für das Pferd in der Wildnis oberste Priorität. Nur wer über genügend Energie verfügt, kann den Winter überleben, flüchten, ein Fohlen gebären oder Stuten decken und Hierarchiekämpfe austragen.

Das Nackenband stabilisiert die Wirbelsäule. (Grafik: Fachschule für osteopathische Pferdetherapie)

Die Evolution hat dem Pferd also energieeffiziente Bewegungsmuster gegeben, mit denen es sich, wenn es nicht gestört wird, im Schritt oder über kurze Strecken im Trab oder Galopp fortbewegen kann. Beobachtet man Pferde in ihrer ungestörten physiologischen Bewegung, so kann man verschiedene Körperhaltungen in den Grundgangarten erkennen.

Beginnen wir mit dem Schritt, der vom Pferd am häufigsten genutzten Gangart. Man kann beobachten, dass das Pferd mit dem Hals, abhängig von seiner Rasse und von seinem Exterieur, eine mehr oder weniger ausgeprägte Nickbewegung nach vorn und eine weniger deutliche Pendelbewegung nach jeweils rechts und links ausführt. Eine Ausnahme ist hier der Friese, der eine paradoxe Halsbewegung nach oben vollführt.

WARUM NICKT DAS PFERD IM SCHRITT?

Durch das Senken des Halses verlagert das Pferd seinen Schwerpunkt nach vorn. Diese Nickbewegung des langen Halses dehnt das Nackenband, das am Hinterhauptsbein ansetzt. Die erzeugte Spannung setzt sich weiterlaufend über das Rückenband fort und zieht die Dornfortsätze im Widerristbereich auseinander.

Das Nackenband geht ins Rückenband über, das über der Brust- und Lendenwirbelsäule bis zum Kreuzbein von einem Dornfortsatz zum anderen verläuft. Der Zug des Nackenbands durch das Absenken des Kopfes spannt das Rückenband an. Dabei werden Brust- und Lendenwirbelsäule ineinandergeschoben und wie ein Stab stabilisiert. Ein Hinweis auf den nach vorn gerichteten Zug sind die nach kopfwärts zeigenden Nasen an den Dornfortsätzen.

Der Zug nach vorn lässt die gesamte stabilisierte Wirbelsäule über das aufgesetzte Vorderbein gleiten. So entsteht die Vorwärtsbewegung durch eine Schwerpunktverlagerung und wird ökonomisiert durch das Seilzugsystem. Muskelkraft wird kaum gebraucht. Das Hinterbein folgt nur der Vorwärtsbewegung ohne Impuls und Schubkraft – Energieeffizienz pur!

Ferner lässt sich im Schritt eine Pendelbewegung des Halses zu jeder Seite feststellen. Auch das ist energieeffizient: Pendelt der Hals z.B. nach rechts, wird das linke Vorderbein entlastet und auf die Hangbeinphase vorbereitet. Zudem wird mit der Seitbewegung der linke Oberarmkopfmuskel, der M. brachiocephalicus (alle Muskeln siehe Anatomieanhang ab Seite 159), der für die Schulterstreckung verantwortlich ist, leicht gedehnt und antwortet so mit einer stärkeren Aktion. Das Schultergelenk wird weiter gestreckt und die Bewegungsamplitude des Vorderbeins nach vorn ist größer.

Ausprobieren

Auch bei uns Menschen sagt man, Laufen sei ein gestopptes Fallen. Stellen Sie sich mit beiden Beinen geschlossen hin und senken Sie den Kopf weit nach vorn-unten. Nehmen Sie den Oberkörper noch etwas mit.

Dann gibt es einen unausweichlichen Moment, in dem ein Bein nach vorn treten muss, damit Sie nicht umfallen. Wenn Sie nun in dieser Haltung der Bewegung folgen und losgehen, werden Sie merken, dass das Laufen nicht anstrengend ist.

Um den Unterschied zu einer unökonomischen Bewegung zu spüren, stellen Sie sich noch einmal geschlossen hin. Jetzt ziehen Sie das Kinn an die Kehle (machen Sie ein Doppelkinn) und nehmen in dieser Haltung Kopf und Schultern etwas zurück. Nun laufen Sie in dieser Haltung los. Nach ein paar Schritten werden Sie bemerken, wie anstrengend die Fortbewegung „in Beizäumung“ wird.

Sie werden die Hinterseite Ihrer Oberschenkelmuskulatur und die Gesäßmuskulatur spüren. Diese Art der Muskelarbeit bedeutet immer Kraft- und Energieverlust, der für ein Pferd in freier Wildbahn lebensbedrohlich wäre. Nur in seiner ökonomischen und energieeffizienten Art kann das Pferd große Strecken ohne hohen Kraftaufwand überwinden.

Das vegetative oder autonome Nervensystem

Das vegetative Nervensystem ist nicht durch unseren Willen beeinflussbar. Es arbeitet selbstständig (autonom) und reguliert Herztätigkeit, Atmung, Verdauung, Stoffwechsel und, das ist wichtig, einen Anteil der Rückenstrecker. Es besteht aus drei verschiedenen Funktionssystemen:

•  dem Parasympathikus,

•  dem Sympathikus,

•  und dem Darmnervensystem (hier nicht weiter besprochen).

Der Parasympathikus versorgt vorwiegend Körperfunktionen, die der Regeneration des Organismus und dem Aufbau von Energiereserven dienen („Erholungsnerv“). Der Sympathikus führt zu einer Leistungssteigerung des Organismus. Er versetzt den Körper in hohe Leistungsbereitschaft, bereitet ihn auf Angriff, Flucht oder andere außergewöhnliche Stresssituationen vor („Leistungsnerv“).

Die dorsale Kette des Pferdes (Oberlinie) wird von Nervenfasern des willkürlichen Nervensystems versorgt (Rami dorsalis), die sich mit sympathischen Fasern des autonomen Nervensystems vermischen. Das bedeutet, dass das Pferd in jeder Stresssituation mit einer Verspannung der Oberlinie reagiert. Der Kopf wird angehoben und der Rücken wird fest und durchgedrückt. Das Pferd ist fluchtbereit. Davon kann wahrscheinlich jeder Reiter ein Lied singen.

Die Schrittfrequenz und die Amplitude werden demzufolge auch bestimmt durch die Halslänge und die Halshaltung. Einem langen geraden Hals mit einer ausgeprägten Nickbewegung nach vorn muss das Vorderbein mit einer großen Bewegung folgen, um das Gleichgewicht zu erhalten.

INSTABILERES GLEICHGEWICHT IM TRAB

Sieht man Pferde auf der Wiese traben, zeigen sie eine andere Körperhaltung als im Schritt. Sie tragen den Kopf etwas höher und starrer, die Nick- und Pendelbewegungen sind nicht mehr sichtbar, da die Trittfrequenz der Beine...