Bestechung - Roman

von: John Grisham

Heyne, 2017

ISBN: 9783641174286 , 464 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Bestechung - Roman


 

1

Im Autoradio lief Softjazz, ein Kompromiss nach langer Debatte. Lacy, die Eigentümerin des Toyota Prius und mithin auch des Radios, hasste Rap in etwa so sehr wie Hugo, ihr Beifahrer, Countrymusic. Sport, Hintergrundinfos, Oldies, Comedy und BBC waren nicht infrage gekommen, und Bluegrass, CNN, Oper und hundert andere Spartensender hatten sie erst gar nicht ausprobiert. Schließlich hatte Lacy frustriert, Hugo ermüdet aufgegeben, und so wurde eben Softjazz eingestellt. Leise natürlich, damit Hugo nicht in seinem ausgiebigen Schlaf gestört wurde. Lacy machte sich ohnehin nichts aus Softjazz. Dank Kompromissen wie diesem funktionierte ihre Zusammenarbeit seit Jahren bestens. Er schlief, sie fuhr, und beide waren zufrieden.

Vor der großen Rezession hatte das BJC – das Board on Judicial Conduct, für Berufsaufsicht und standeswidriges Verhalten von Richtern in Florida zuständig – noch eine Flotte von staatseigenen Hondas zur Verfügung gehabt, alles Viertürer, weiß, kaum Kilometer auf dem Tacho, die jedoch im Rahmen von Budgetkürzungen abgeschafft worden waren. Inzwischen mussten Lacy, Hugo und die vielen anderen Behördenmitarbeiter Floridas im Dienst ihre Privatautos fahren, wofür sie eine Aufwandsentschädigung von fünfzig Cent pro Kilometer bekamen. Hugo, der vier Kinder hatte und unter saftigen Immobilienraten ächzte, fuhr einen alten Ford Bronco, der kaum den Weg zum Büro schaffte, geschweige denn eine längere Reise. Und so schlief er.

Lacy genoss die Ruhe. Sie wickelte die meisten ihrer Fälle allein ab, ebenso wie ihre Kollegen. Tiefere Einschnitte hatten ihre Abteilung auf sieben Mitarbeiter zusammenschrumpfen lassen. Sieben – in einem Bundesstaat mit zwanzig Millionen Einwohnern und tausend Richtern an sechshundert Gerichten, die eine halbe Million Fälle jährlich bearbeiteten. Lacy war zutiefst dankbar dafür, dass die überwiegende Mehrheit der Juristen ehrliche, fleißige Leute waren, die sich der Gerechtigkeit verschrieben hatten. Sonst hätte sie schon längst gekündigt. Allein die paar faulen Äpfel hielten sie fünfzig Stunden die Woche auf Trab.

Sie betätigte behutsam den Blinkerhebel und bremste in der Ausfahrt ab. Als der Wagen hielt, richtete sich Hugo mit einem Ruck auf, als wäre er schlagartig hellwach und zu allem bereit. »Wo sind wir?«

»Gleich da. Noch zwanzig Minuten. Du kannst dich auf die andere Seite drehen und das Fenster anschnarchen.«

»Tut mir leid. Ich habe geschnarcht?«

»Du schnarchst immer, zumindest sagt das deine Frau.«

»Also, zu meiner Verteidigung, heute Morgen um drei bin ich mit ihrem neuesten Baby auf und ab gewandert. Ich glaube, es ist ein Mädchen. Wie heißt sie noch?«

»Wer, deine Frau oder deine Tochter?«

»Haha.«

Die reizende und ständig schwangere Verna machte keinen Hehl daraus, worum es in dieser Ehe ging. Es war ihr Job, Hugos Ego zu pflegen, und das war keine leichte Aufgabe. In einem früheren Leben war Hugo ein Footballstar gewesen, schon in der Highschool, dann einer der Jahrgangsbesten in ganz Florida und der erste Studienanfänger, der es jemals in eine Startaufstellung geschafft hatte. Er war ein ebenso brutaler wie brillanter Tailback gewesen, zumindest für dreieinhalb Spiele, bis er mit einem gequetschten Wirbel im oberen Rückgrat vom Spielfeld getragen wurde. Er schwor, das Comeback zu schaffen, doch seine Mutter sagte Nein. Nachdem er das College mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, studierte er Jura. Die Tage seines Ruhms waren inzwischen längst vorbei, doch er würde immer den Stolz mit sich herumtragen, einmal zum Team der Besten gehört zu haben. Er konnte nicht anders.

»Noch zwanzig Minuten?«, brummte er.

»Ungefähr. Wenn du möchtest, darfst du auch bei laufendem Motor im Auto sitzen bleiben und den ganzen Tag weiterschlafen.«

Er drehte sich auf die rechte Seite und schloss die Augen. »Ich will einen neuen Partner.«

»Das wäre natürlich eine Lösung. Das Problem ist nur, dass dich sonst keiner will.«

»Einen mit einem größeren Auto.«

»Der hier braucht nur fünf Liter auf hundert Kilometer.«

Er brummte erneut, wurde wieder still. Dann fing er an zu zucken und zu zappeln. Vor sich hin murmelnd setzte er sich auf und rieb sich die Augen. »Was hören wir da?«

»Darüber haben wir vor langer Zeit gesprochen, als wir in Tallahassee losgefahren sind. Kurz bevor du dich in den Winterschlaf begeben hast.«

»Soweit ich mich entsinne, habe ich angeboten zu fahren.«

»Mit einem offenen Auge? Tolles Angebot. Wie geht’s Pippin?«

»Weint viel. Normalerweise, und ich kenne mich da wirklich gut aus, hat ein Neugeborenes einen Grund, wenn es weint. Hunger, Durst, Windel voll, Mami soll kommen – solche Sachen. Pippin nicht. Sie quäkt einfach so herum wie verrückt. Du weißt nicht, was du verpasst.«

»Du erinnerst dich, dass ich auch schon zweimal mit Pippin auf und ab gewandert bin.«

»Ja, und Gott segne dich dafür. Kannst du heute Abend rüberkommen?«

»Jederzeit. Habt ihr eigentlich je über Verhütung nachgedacht, so nach dem vierten Kind?«

»Wir fangen gerade an, uns mit dem Thema zu beschäftigen. Apropos Sex, wie sieht’s da zurzeit bei dir aus?«

»Sorry, anderes Thema.« Lacy war sechsunddreißig, Single und attraktiv, und im Büro wurde ihr Sexualleben unter vorgehaltener Hand beständig diskutiert.

Sie fuhren Richtung Osten auf den Atlantik zu. St. Augustine war dreizehn Kilometer entfernt. Lacy stellte das Radio ab, und Hugo fragte: »Warst du schon mal hier?«

»Ja, vor ein paar Jahren, mit meinem Freund. Wir haben eine Woche in der Ferienwohnung einer Freundin am Strand verbracht.«

»Um Sex zu haben?«

»Ist das dein Ernst? Denkst du eigentlich immer nur unter der Gürtellinie?«

»Tja, wenn ich so überlege, muss ich gestehen: ja. Außerdem musst du bedenken, dass Verna und ich schon seit mindestens drei Monaten keine normale Beziehung mehr führen. Ich bin immer noch der Meinung, zumindest insgeheim, dass sie mir drei Wochen zu früh den Hahn abgedreht hat, aber das ist jetzt müßig. Schließlich kann ich es nicht mehr ändern. Bei mir hat sich also einiges aufgestaut. Keine Ahnung, ob es ihr auch so geht. Drei Krabbelmonster und ein Neugeborenes können in dieser Hinsicht ernsthaften Schaden anrichten.«

»Ich werd’s nie erfahren.«

Er versuchte, sich ein paar Kilometer lang auf die Straße zu konzentrieren, dann wurden seine Lider wieder schwer, und er nickte ein. Lächelnd sah Lacy ihn an. In den neun Jahren, in denen sie für das BJC tätig war, hatten sie ein Dutzend Fälle zusammen bearbeitet. Sie waren ein gutes Team und vertrauten einander. Beide wussten, dass ein Fauxpas von Hugo – bislang hatte es keinen gegeben – sofort an Verna weitergeleitet würde. Lacy arbeitete mit Hugo, und mit Verna ging sie shoppen und tratschen.

St. Augustine galt als die älteste Stadt Amerikas, hier war Kolumbus’ Begleiter Ponce de León an Land gegangen und hatte seine Erkundungen begonnen. Geschichtsträchtig und entsprechend voll mit Touristen, war der Ort ein reizendes Städtchen mit historischen Gebäuden und alten Eichen, von denen dick das Louisianamoos herabhing. Als sie den Stadtrand erreichten, wurde der Verkehr dichter, und Reisebusse hielten. Rechter Hand erhob sich in der Ferne eine alte Kathedrale über die Dächer der Stadt. Lacy erinnerte sich noch gut. Sie hatte St. Augustine in bester Erinnerung behalten, auch wenn die Woche mit dem Freund eine Katastrophe gewesen war.

Eine von vielen.

»Wer ist der geheimnisvolle Whistleblower, den wir hier treffen sollen?«, wollte Hugo wissen....