Seit du bei mir bist - Roman

von: Nicholas Sparks

Heyne, 2017

ISBN: 9783641102463 , 592 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Seit du bei mir bist - Roman


 

Kapitel 1

Vater, Mutter, Kind

»Wow!«, erinnere ich mich gesagt zu haben, als Vivian mit dem positiven Schwangerschaftstest aus dem Bad kam. »Das ist ja super!«

In Wahrheit gingen meine Gefühle eher in Richtung: Ehrlich? Jetzt schon?

Es war mehr ein Schock als alles andere, gewürzt mit einer Prise Panik. Wir waren erst seit gut einem Jahr verheiratet, und sie hatte bereits gesagt, dass sie vorhabe, die ersten Jahre zu Hause zu bleiben, wenn wir irgendwann ein Kind bekämen. Ich hatte ihr immer beigepflichtet, doch in jenem Moment begriff ich, dass unser Leben als Doppelverdiener bald vorbei sein würde. Darüber hinaus war ich mir nicht sicher, ob ich schon bereit war, Vater zu werden, aber was sollte ich tun? Sie hatte mich ja nicht hereingelegt oder mir verheimlicht, dass sie sich ein Baby wünschte, und sie hatte mir Bescheid gesagt, als sie die Pille absetzte. Natürlich wollte ich auch Kinder, aber wir verhüteten erst seit wenigen Wochen nicht mehr. Ich weiß noch, dass ich dachte, es würde wahrscheinlich ein paar Monate dauern, bis ihr Körper sich wieder umgestellt hatte.

Aber nicht bei meiner Vivian. Ihr Körper hatte sich sofort wieder umgestellt. Meine Vivian war fruchtbar.

Ich schlang die Arme um sie und musterte sie. Strahlte sie schon? Doch dafür war es noch zu früh, oder? Was genau bedeutete dieses Strahlen überhaupt? War das einfach eine andere Formulierung für verschwitzt sein? Inwiefern würde sich unser Leben verändern? Und wie stark?

Fragen kreisten und kreisten, und als ich damals meine Frau im Arm hielt, wusste ich, Russell Green, auf keine davon eine Antwort.

Monate später war es so weit, wobei ich zugeben muss, dass ein Großteil jenes Tages in meiner Erinnerung verschwimmt.

Heute denke ich, ich hätte wahrscheinlich besser alles aufgeschrieben, als es noch frisch war. Einen Tag wie diesen sollte man in allen Einzelheiten erinnern, nicht nur in den unscharfen Bildern, die ich im Gedächtnis habe. Dass ich überhaupt noch so viel davon weiß, liegt an Vivian. Ihr scheint sich jedes Detail tief eingeprägt zu haben. Andererseits war sie ja auch diejenige, die die Wehen ertragen musste, und Schmerz kann das Bewusstsein schärfen. Heißt es zumindest.

Eines weiß ich allerdings: Manche unserer Erinnerungen an die Ereignisse an jenem Tag weichen leicht voneinander ab. Zum Beispiel fand ich mein Verhalten unter den gegebenen Umständen völlig nachvollziehbar, während Vivian mich mal egoistisch, mal schlichtweg einen Idioten nannte. Wenn sie ihren Freundinnen die Geschichte erzählte – und das hat sie oft getan –, brachen sie in Gelächter aus oder schüttelten den Kopf und sahen sie mitleidig an.

In meinen Augen allerdings war ich weder egoistisch noch ein Idiot; immerhin war es unser erstes Kind, und keiner von uns beiden wusste genau, was zu erwarten war, als die Wehen einsetzten. Ist man je bereit dafür? Eine Entbindung, war mir erklärt worden, konnte ganz unterschiedlich verlaufen – mehr als ein Mal erinnerte Vivian mich während der Schwangerschaft daran, dass es von den ersten Wehen bis zur tatsächlichen Geburt länger als einen Tag dauern könne, besonders beim ersten Kind, zwölf Stunden seien keine Seltenheit. Wie die meisten werdenden Väter betrachtete ich meine Frau als Expertin, immerhin war sie diejenige, die viele Bücher darüber gelesen hatte.

Es sollte auch festgehalten werden, dass ich am fraglichen Morgen beileibe nicht komplett versagte. Ich hatte meine Verantwortung ernst genommen. Sowohl Vivians Tasche als auch die für das Baby waren gepackt, beide waren mehrfach auf Vollständigkeit überprüft worden. Fotoapparat und Videokamera warteten geladen und einsatzbereit, und das Kinderzimmer war mit allem bestückt, was unser Baby für mindestens einen Monat brauchte. Ich kannte den schnellsten Weg zum Krankenhaus und hatte Ausweichrouten für den Fall eines Staus ausgetüftelt. Dass das Baby bald kommen würde, wusste ich ebenfalls, denn in den Tagen vor der Geburt hatte es schon mehrmals falschen Alarm gegeben. Selbst mir war also klar, dass der Countdown offiziell begonnen hatte.

Mit anderen Worten: Ich war nicht gänzlich überrascht, als meine Frau mich am 16. Oktober 2009 um halb fünf weckte und verkündete, der Abstand zwischen den Wehen betrage circa fünf Minuten und es sei Zeit, in die Klinik zu fahren. Ich zweifelte das nicht an; Vivian kannte den Unterschied zwischen Senkwehen und den richtigen Geburtswehen. Doch obwohl ich mich auf diesen Moment vorbereitet hatte, drehten sich meine ersten Gedanken nicht darum, dass ich mich hastig anziehen und das Auto beladen sollte. Und nein, sie galten auch nicht meiner Frau und dem Kind. Sondern sie waren in etwa so: Heute ist der große Tag, und es wird viel fotografiert werden. Andere Menschen werden sich diese Bilder noch jahrelang ansehen, deshalb sollte ich besser kurz unter die Dusche springen, bevor wir fahren, weil meine Haare aussehen, als hätte ich die Nacht in einem Windkanal zugebracht.

Nicht, dass ich eitel bin, ich glaubte nur, ich hätte noch reichlich Zeit, also sagte ich Vivian, ich sei in ein paar Minuten abfahrbereit. Ich brauche nie lange im Bad, an normalen Tagen nicht mehr als zehn Minuten, einschließlich Rasur, aber kaum hatte ich mir die Wangen eingeschäumt, glaubte ich, aus dem Wohnzimmer einen Schrei zu vernehmen. Ich lauschte angestrengt, und obwohl es danach still blieb, beeilte ich mich. Als ich mir das Gesicht abwusch, hörte ich Vivian abermals schreien, wobei es seltsamerweise klang, als schrie sie mich nicht an, sondern als schimpfe sie über mich. Mit einem Handtuch um die Taille trat ich noch tropfend in den Flur. Gott ist mein Zeuge, ich war nicht länger als sechs Minuten im Bad.

Wieder rief Vivian laut etwas, und ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass sie auf allen vieren in ihr Handy brüllte, ich sei UNTER DER BLÖDEN DUSCHE!, UND WAS ZUM HENKER DENKT SICH DIESER IDIOT DABEI? Idiot war übrigens noch der netteste Ausdruck, mit dem sie mich bedachte. Was ich nicht wusste, war, dass der Abstand zwischen den Wehen mittlerweile nur noch zwei Minuten betrug und sie außerdem Rückenwehen hatte. Die sind entsetzlich schmerzhaft, und plötzlich stieß Vivian einen so kraftvollen Schrei aus, dass er durch unser gesamtes Wohnviertel in Charlotte, North Carolina, hallte, ein ansonsten friedliches Fleckchen.

Keine Sorge, daraufhin schaltete ich noch einen Gang höher und sprang ohne mich abzutrocknen in meine Kleider. Auf dem Weg zum Auto stützte ich Vivian, ohne zu kommentieren, dass sie ihre Fingernägel in meinen Arm grub. Wie der Blitz saß ich am Steuer und fuhr los.

Die Wehen hatten immer noch denselben Abstand, als wir in der Klinik ankamen, wegen ihrer starken Schmerzen wurde Vivian dennoch direkt in den Entbindungssaal gebracht. Ich hielt ihre Hand und versuchte, sie beim Atmen zu unterstützen – allerdings begleitet von einigen deftigen Äußerungen ihrerseits über mich und wohin ich mir das verdammte Atmen stecken könne, bis der Anästhesist eintraf. Zu Beginn der Schwangerschaft hatte Vivian hin und her überlegt, ob sie eine PDA wollte, und sich schließlich zögerlich dafür entschieden, was jetzt ein Segen war. Sobald die Wirkung des Medikaments einsetzte, waren die Schmerzen erträglicher, und Vivian lächelte zum ersten Mal, seit sie mich geweckt hatte.

Dann war es so weit. Schwestern wurden gerufen, die mit ruhiger Professionalität alles vorbereiteten. Dann forderte der Arzt meine Frau unvermittelt auf zu pressen.

Bei der dritten Kontraktion drehte er plötzlich seine Handgelenke wie ein Zauberer, der einen Hasen aus dem Hut zieht, und schon war ich Vater.

Einfach so.

Unsere Tochter wurde untersucht, und obwohl sie leicht anämisch war, hatte sie zehn Finger, zehn Zehen, ein gesundes Herz und offensichtlich eine funktionierende Lunge. Ich erkundigte mich nach der Anämie, aber der Arzt sagte, das sei kein Grund zur Sorge, und dann wurde unser Baby gewaschen und gewickelt und meiner Frau in die Arme gelegt.

Genau wie vorhergesehen, wurden den ganzen Tag lang Fotos geknipst, nur schien sich seltsamerweise hinterher niemand für mein Aussehen darauf zu interessieren.

*

Man hört ja manchmal, Babys sähen bei ihrer Geburt entweder aus wie Winston Churchill oder wie Mahatma Gandhi. Da die Haut meiner Tochter infolge der Anämie einen grauen Farbton hatte, war mein erster Gedanke allerdings, dass sie Yoda ähnelte, ohne die Ohren natürlich. Ein wunderschöner Yoda, wohlgemerkt, ein atemberaubender Yoda, ein so liebenswerter Yoda, dass mein Herz beinahe zerbarst, als sie meinen Finger umklammerte. Ein paar Minuten später kamen meine Eltern, und in meiner Nervosität und Aufregung ging ich ihnen entgegen und sagte das Erste, was mir in den Sinn kam.

»Wir haben ein graues Baby!«

Meine Mutter sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren, während mein Vater sich in den Ohren bohrte, als wären sie möglicherweise verstopft und beeinträchtigten sein Gehör. Ohne meinen Kommentar weiter zu beachten, betraten sie das Zimmer, in dem Vivian mit seligem Gesichtsausdruck unsere Tochter im Arm hielt. Bei ihrem Anblick fand ich, dass dies das zauberhafteste kleine Mädchen der Weltgeschichte sein musste. Natürlich glauben das alle frischgebackenen Väter von ihren Kindern, aber Tatsache ist, es kann nur ein Kind geben, das wirklich das zauberhafteste der Weltgeschichte ist, und ich wunderte mich insgeheim, dass nicht jeder im Krankenhaus hereinkam und meine Tochter bestaunte.

Meine Mutter trat ans Bett und beugte sich weit vor, um sie besser sehen zu...