Tante Poldi und der schöne Antonio - Kriminalroman

von: Mario Giordano

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2018

ISBN: 9783732539499 , 368 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Tante Poldi und der schöne Antonio - Kriminalroman


 

1. Kapitel


Erzählt von den Tücken interkultureller Kommunikation, von Männern, Fischmessern, Hubraum und Poldis Vergangenheit. Die Poldi sitzt ziemlich in der Patsche, der schöne Antonio wird laut, der Neffe gibt Gummi, und Montana ist wieder mal eifersüchtig. Und alles nur wegen John.

Der schöne Antonio hatte die Faxen dicke. Er hielt meiner Tante Poldi ein machetenartiges Fischmesser an den Hals, das einen Thunfisch wie Butter halbieren konnte, und wiederholte seine Frage. »Wo. Ist. Es?«

Worauf meine Tante Poldi wiederum ihre Antwort wiederholte. »Leck mi am Arsch, du g’scherter Dreckshammel! I hab keine Ahnung, von was du da redest, hast mi?«

Was ein paar Missverständnisse offenbart, die sich in dieser Situation festgesetzt hatten wie Kalkplaque in einem Wasserhahn. Als Erstes natürlich die gestörte Kommunikation, denn der schöne Antonio stellte seine Fragen auf Italienisch mit starker sizilianischer Färbung, die Poldi jedoch antwortete ihm jedes Mal in astreinem Bairisch. Missverständnis Nummer zwei bestand darin, dass die Poldi keinen Schimmer hatte, wo es war. Entsprechende Beteuerungen ihrerseits hatte der schöne Antonio bislang machetefuchtelnd und schreiend abgeschmettert, woraufhin die Poldi irgendwann auf stur und auf Bairisch umgeschaltet hatte. Erschwerend in dieser recht eingleisigen Kommunikation kam, aus Poldis Sicht, Missverständnis Numero drei hinzu: das reißfeste Klebeband, mit dem der schöne Antonio sie an Händen und Füßen an einen Stuhl gefesselt hatte. Aber das allergrößte Missverständnis, aus meiner Sicht, war – ich. Wie das entscheidende Detail in diesen Finde-den-Fehler-Suchbildern saß ich nämlich ebenfalls gefesselt neben meiner Tante, schiss mir beinah in die Hosen vor Angst und erwartete, jeden Augenblick ins Licht zu gehen. Wie so eine lustige GIF-Animation im Internet auf Endlosschleife stellte ich mir meinen Tod vor: heransausende Machete, mein panischer Blick, Kopf ab (wie durch Butter), Blutfontäne und dann das Licht und esoterische Pling-Plong-Musik.

Ich sollte hier nicht sitzen, fand ich, nein, ich sollte hier so was von ganz und gar nicht sitzen. Meine Tante Poldi natürlich auch nicht, aber in ihrem Fall konnte so eine Verkettung von Missverständnissen immerhin noch als eine Art Berufsrisiko durchgehen. Ich dagegen war nur der gedungene Chronist ihrer Eskapaden, Ausschweifungen und Ermittlungen. Ich war der Nerd mit dem verkorksten Familienroman, der unbegabte Neffe ohne Freundin, Studium und Beruf, wozu den also auch noch halbieren? Aber das war dem schönen Antonio natürlich alles schnurz. Mitgefangen, mitgehangen.

Das unfruchtbare Frage-und-Antwort-Spiel zwischen meiner Tante und dem schönen Antonio hatte zu einer gewissen Gereiztheit auf beiden Seiten geführt, die meine Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang dieser Situation mit jeder Sekunde weiter schwinden ließ. Praktisch gen Nulllinie auf der x-Achse. An meiner Tante Poldi jedoch schienen alle Drohungen abzuperlen wie Kondenstropfen an einer frisch gezapften Maß, denn die Poldi hatte im Gegensatz zu mir eben dieses Talent, jederzeit in den Wutmodus umschalten zu können, der sie gegen alle Arten von alltäglichem Unbill und Versagens- und Zukunftsängsten imprägnierte. Zugegeben, sie hatte schon mal besser ausgesehen. Wenn ich zu ihr rüberschielte, sah ich, dass ihr Hosenanzug im Camouflagedesign an vielen Stellen zerrissen war, ihr Nofretete-Make-up verschmiert von der anstrengenden Kriecherei durch die Büsche vorhin, und auf ihrer Stirn glühte eine kleine Schramme. Sie trug zwar immer noch ihre Perücke, aber auch die hatte bei der Kriechtour ziemlich gelitten, war zerzaust und stellenweise bereits im Stadium der Auflösung. Die sechzig sah man ihr sonst kaum an, aber wenn man mit zerzauster Perücke und verschmiertem Make-up an einen Stuhl gefesselt ist, schlägt das Alter irgendwie voll durch. Dann wird’s schwierig mit Bella figura. Ich empfand kurz Erleichterung, dass Montana sie jetzt so nicht sehen konnte, doch zugleich hätte Montanas Anwesenheit immerhin eine erfreuliche Wendung dieser Patsche bedeutet. Denn, muss man wirklich sagen: Meine Tante Poldi und ich saßen aber so was von in der Patsche.

»Sag’s ihm endlich, Poldi!«, zischte ich.

»Gar nix werd i dem Saubatzi sagen! Verrecken soll er, die oide Arschkrampn!«

Der schöne Antonio änderte nun seine Vernehmungstaktik, ließ von der Poldi ab und hielt stattdessen nun mir die Machete an die Kehle.

»Poldi!«, wimmerte ich.

»Geh, ganz ruhig, Bub! Wenn ich’s ihm sag, killt der uns eh, des ist dir fei schon klar, gell? Also schön ruhig weiteratmen, hörst? Die Sorte Kerle kenn i. Klassischer leone di cancello, ein Papiertiger, wie er im Buche steht. Viel Radau, aber keine Eier. Außerdem war der Tod mit seinem Klemmbretterl noch gar nicht da, also entspann dich.«

»WO. IST. ES?«

»IchhabkeineAhnungichbinnurderFahrer!«, presste ich in schlechtem Italienisch hervor.

»Und ein rechter Breznsalzer obendrein!«

»Poldi, eh, der killt mich!«

»Ganz ruhig, Bub. Es gibt immer einen Weg.«

Ich konnte es nicht mehr hören.

»WO IST ES?«

»I WEISS ES NICHT! UND DAMIT BASTA, HAST MI?«

»ICH WEISS ES AUCH NICHT! ICH SCHWÖRE!«

»ICH BRING EUCH ALLE BEIDE UM, ICH BRING EUCH BEIDE AUF DER STELLE UM, UND MIT DIR FANG ICH AN!«

»NEIN, ICH WILL NOCH NICHT STERBEN!«

Wir schrien um die Wette. Ich quiekend in Todesangst, die Poldi krachledern nach Gutsherrenart, und der schöne Antonio brüllte einfach nur rum wie ein Berserker, fuchtelte mit der Machete vor meinem Kopf herum und stieß lästerliche Flüche aus, die mit Geschlechtsteilen, der Madonna und unappetitlichen Sexpraktiken zusammenhingen. Und wie er da vor uns herumtobte wie so ein Derwisch, sah ich etwas, das mir dann endgültig die Sprache verschlug: Meine Tante Poldi hatte wieder diesen Blick bekommen. Diesen leicht verschleierten Adlerblick, den sie immer bekam, wenn sie irgendwo einen stattlichen Verkehrspolizisten sichtete. Ich fasste es nicht, aber der tobende schöne Antonio gefiel ihr.

Nun muss man auch zugeben, dass der schöne Antonio seinen Beinamen nicht zu unrecht trug. Selbst für italienische Maßstäbe sah er ungewöhnlich gut aus. Das Feinrippunterhemd, das er über den Jeans trug, betonte seine muskulöse, mäßig behaarte Brust, und sein Gesicht hätte jeden Renaissancemaler entzückt, man konnte es klassisch nennen. Ein sinnliches Gesicht, unbeschädigt von jeglichem Anzeichen von Scharfsinn, mit einer Spur Wehmut um die Augen, wenn es nicht gerade durch theatralische Raserei aus der Fassung geriet. Aber selbst dann noch strahlte der schöne Antonio eine Art, ich sag mal, animalischer Anmut aus. Er hätte zum Film gehen sollen statt zur Mafia. Genau so stellte ich mir Barnaba vor, den Helden meines verkorksten Familienromans.

Doch Anmut hin oder her – der schöne Antonio wirbelte immer noch unheilvoll mit der Machete vor meinem Kopf herum. Und das reichte mir langsam. Mir reichte die Raserei, mir reichte das Gebrüll, es reichte mir, mir immer wieder meinen Tod auszumalen, und vor allem reichte mir der lüsterne Blick meiner Tante Poldi. Mir reichte es endgültig, dass sie immer nur an das Eine dachte und keine Gelegenheit zum Flirten ausließ. Der schöne Antonio hatte die Faxen dicke? Benissimo, ich auch!

»Es reicht!«, brüllte ich. »Basta! Schluss, aus mit dem Theater! Ruhe jetzt, alle beide!«

Wundersamerweise herrschte augenblicklich Stille.

Die Poldi sah mich erschrocken an. »Bub, was ist denn? Ist dir nicht gut?«

Ich bemühte mich um Fassung und klaubte mein bestes Italienisch zusammen. »Wir werden jetzt eine Lösung finden, damit hier jeder kriegt, was er will, verstanden?«

»Da bin i aber fei neugierig. Gell, was wollen wir denn?«

»Überleben? Hallo?«

»Jetzt scheiß dir nicht gleich ins Hemd. I sag doch, des ist …«

»Halt die Klappe!« Und an den schönen Antonio gewandt, den die deutsche Sprache zu einem erneuten Wutausbruch zu provozieren schien, sagte ich auf Italienisch: »Meine Tante wäre unter gewissen Bedingungen bereit, Ihnen zu verraten, wo es ist.«

»Bin i nicht! Da hast dich aber g’schni…«

»Schnauze, Poldi!«

»I bin fei immer noch deine Tante, gell. Also quasi Respektsperson.«

Der schöne Antonio kam nah an mich heran und hielt mir die Machete wieder an die Kehle. »Ich scheiß auf Bedingungen. Wo ist es?«

»Wenn Sie uns umbringen, nützt Ihnen das auch nichts.«

»Ich bringe ja nur dich um. Und zwar ganz langsam. Wenn ich dich in Streifen schneide, wird mir deine Tante schon alles verraten.«

»Sie haben sie ja erlebt. Glauben Sie im Ernst, das würde sie beeindrucken?«

Der schöne Antonio dachte kurz nach, was die Harmonie seiner Gesichtszüge für einen Moment eindellte.

»Ja. Das glaube ich.«

»Sie müssen wissen«, fuhr ich etwas leiser fort, »sie ist, nun ja, nicht mehr ganz richtig da oben, verstehen Sie?«

»Wer flüstert, der lügt!«, rief meine Tante dazwischen.

»Ballaballa«, erklärte ich. »Das Alter. Der Alkohol. Ich kenne sie. Sie lebt in einer Fantasiewelt. Selbst wenn sie Ihnen irgendwas verraten würde, könnten Sie sich nie drauf verlassen. Und wenn Sie mich umbringen, verwirrt sie das nur noch mehr, glauben Sie mir. Ich bin der Einzige, der sie zum Reden bringen kann.«

»Du...