Blue Scales - Die Drachen von Talanis

von: Katharina V. Haderer

Drachenmond Verlag, 2016

ISBN: 9783959913126 , 300 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Blue Scales - Die Drachen von Talanis


 

Kapitel 3


Grossmama Song


Ich besuche die Fleischerei, die von der Justizanstalt Poschovar betrieben wird und das Gefängnis versorgt. Das Steak des vorst-sandhischen Steppenrinds, das mir der Fleischer auf einseitig foliertes Papier legt, ist saftig und preiswerter, als man es sonst wo in unserer Stadt bekommen könnte. Trotzdem sehe ich selten andere Käufer.

Ich packe das Steak in meine Kühlbox und mache mich auf den Weg, strample auf dem Fahrrad die Straße zurück zur Kreuzung. Als ich oben ankomme, hat nicht nur die Ampel, sondern auch mein Kopf eine hochrote Farbe angenommen. Das Handy in meiner Gesäßtasche vibriert, ich ziehe es hervor und gehe ran, während auf der querenden Spur Lastwagen vorbeirauschen. »Hallo?«

»Hey, Cousinchen, es ist Zet!«

Ich erkenne die Stimme. Dennoch erwidere ich: »Ich kenne keinen Z.«

Ein Seufzen, das im Lärm der Autos untergeht. »Ich bin’s, Zhang.«

»Hallo, Zhang, was kann ich für dich tun?«

»Du musst mir einen Gefallen tun.«

»Keine Zeit. Ich muss zum Training.«

»Dann liegt Großmama Phengs genau auf deinem Weg! Kannst du kurz vorbeikommen?«

»Du hast keine Ahnung, wo ich mich gerade befinde, ergo weißt du nicht, ob sich Großmama Phengs auf meinem Weg befindet. Ich habe wirklich keine Zeit.«

»Christie …!«, schnurrt mein Cousin ins Telefon. »Darf ich dich erinnern, wer dich das letzte Mal bei Unwetter zu Long gebracht hat?« Genau da ist sie, die Retourkutsche. Hinfahrt gratis, Rückfahrt doppelt bezahlt. Die Ampel schaltet zögerlich auf Gelb, dann Grün. Ich fühle mich äußerst multitaskingfähig, als ich einhändig in die Pedale trete und bei der Überquerung der Kreuzung keine Bruchlandung hinlege.

»Was willst du?«, schnaufe ich.

»Du musst für mich eine Auslieferung machen.«

»Was? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

»Christie, ich schwöre dir, es geht um Leben und Tod!«

Scheiße, dort vorne nähert sich ein Streifenwagen. Warum sind die hier ständig unterwegs? Ich lege eilig auf, stopfe das Handy durch den Kragen meines T-Shirts in den BH und fahre unauffällig weiter. Als ich den Streifenwagen passiere, pfeife ich diskret vor mich hin. Als wollen mich die Geister bestrafen, beginnt es zu regnen.

Bei ›Großmama Phengs‹ angekommen, bin ich bis auf die Haut durchnässt. ›Großmama Phengs‹ ist ein talanidisches Restaurant, betrieben von Lins und Zhangs gemeinsamer Großmutter. Eigentlich heißt es Das Große Song, doch kaum jemand nennt es so.

Zhang sitzt in der Loge rechts vom Eingang. Sie ist zum Kotzen kitschig eingerichtet und der Familie und Freunden vorbehalten. Dafür, dass es sich am Telefon um eine Sache um Leben und Tod gehandelt hat, wirkt er äußerst entspannt. Er lehnt in der Sitzecke, die Beine in den viel zu engen schwarzen Hosen auf dem Tisch abgelegt, und wippt mit seinen Schuhen. Auf seinem schwarzen T-Shirt sind weiße Kopfhörer abgebildet. Es sind dieselbe sündteure Marke Kopfhörer, aus denen Zhang basslastige Musik in die Ohren wummert. Er hält sich für unglaublich alternativ, läuft mit Jutetasche in die Schule und trägt seine schwarzen Stirnfransen ins Gesicht gekämmt und am Hinterkopf aufgestellt. Damit erinnert er mich immer an einen Igel, der kopfüber in eine Pfütze gestürzt ist. Ich trete näher und lasse die Kühltasche auf die Sitzbank fallen. »Leben und Tod, was?«

Er weist mit schwarz lackierten Fingernägeln auf sich selbst. »Liebste Cousine …« Im Gegensatz zu seiner Großmutter hat er sich nie daran gestört, dass wir genetisch nicht verwandt sind. Und so sehr er eine lästige Pestbeule sein kann, so sehr schätze ich ihn für die Leichtigkeit, mit der wir beide Umgang pflegen. »Für Nekromanten geht es immer um Leben und Tod.«

In meiner Familie fließen zwei spezielle Blutlinien zusammen – die eine Hälfte besitzt das Erbe des Drachen, weitergetragen durch den verstorbenen Großvater, die andere besitzt die Macht der Nekromantie, vererbt durch Großmutter Song.

Jap, richtig gehört. Nekromantie. Totenbeschwörung. Ausgerechnet Zhang hat diese Fähigkeit von Großmama Pheng geerbt. Als ob er sich nicht ohnedies schon für den Nabel dieses Universums hält.

Ich reiße die Augen auf, als ich etwas unter dem Ärmel seines T-Shirts hervorblitzen sehe. »Was … ist … das?«

»Das ist ein Tattoo«, präsentiert mir Zhang stolz seinen Oberarm, der wohl gern einen Bizeps und einen Trizeps geschenkt bekommen würde. Die Farbe ist noch frisch und wirkt aufgemalt. Es zeigt ein grässliches, grünes Gesicht mit vertrockneten Lippen, fehlenden Zähnen, blutigem Zahnfleisch und Augen wie schwarze Löcher. »Nekromantie – ein Zombie … du verstehst?«

»Das ist womöglich das Ekligste, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

Er zuckt mit den Augenbrauen, die er sich heimlich zupft, obwohl er es leugnet. »Das verstehst du nicht, Christie. Das ist eine Nekromanten-Sache – ein Insider, quasi.«

Das geifernde, grüne Gesicht verschwindet unter dem Ärmel. »Was sagt Pheng dazu?«

»Oma? Nicht viel.«

»Ich kann nicht fassen, dass deine Eltern dir das erlaubt haben.«

»Die hatten nicht viel zu erlauben …« Wieder diese typische Geste, bei der er mit Zeigefinger und kleinem Finger auf sich selbst weist, als wäre er das Zentrum dieser Welt. Irgendwie ist er das, zumindest für die Welt von Großmama Pheng und seinen Eltern. Es ist kein Wunder, dass er sich so aufführt – mein Vater nennt ihn nicht umsonst einen verzogenen Fratz. »Abgesehen davon hat Linda doch auch Tattoos«, fügt er trotzig an.

»Zhang«, erwidere ich gereizt. »Linda besitzt keine Tattoos. Das sind Drachenmale! Sie hat sie sich nicht ausgesucht. Und du kannst mir glauben, könnte sie ihre Schuppen loswerden – sie würde es tun.«

Er zuckt nur mit den Schultern.

Ich stoße ein lang gezogenes Seufzen aus. »Also gut, was willst du von mir?«

»Ich habe Auslieferdienst bis sechzehn Uhr, muss aber früher weg.«

Ich schaue auf die Uhr. Es ist halb vier. »Die Auslieferung hättest du machen können, während ich hierhergefahren bin. Mit deinem Auto.«

Zhang zieht die Füße vom Tisch, beugt sich vor und packt meine Hände. »Musste mich hübsch machen. Ich habe ein Date.«

Ich stöhne auf und lass meinen Kopf auf die Tischplatte fallen. »… und ich dachte, es geht nicht schlimmer.«

»Bitte, Christie! Es ist nur eine Auslieferung – zwei Häuser! Komm, es ist wirklich nur …!« Sein Betteln höre ich nicht länger, es läuft wie ein langweiliger Kaufhaus-Singsang im Hintergrund ab. Schlecht gelaunt stapfe ich Richtung Küche und entdecke dabei Pheng.

Großmama Pheng Song ist nicht nur der Name des Restaurants, sie ist dieses Restaurant. Als sie mit Großvater Zuko nach Vesper kam, eröffneten sie zuerst unseren Laden. Sie musste rasch einsehen, dass ein Geschäft mit traditioneller talanidischer Medizin in Poschovar nicht der große Bringer war. Deswegen gründete sie alsbald Das Große Song, und was talanidischer Medizin nicht gelang, gelang talanidischem Essen – es zog die Massen an.

Pheng Song sitzt hinter der dunkelrot lackierten Bar und entdeckt mich mit ihren kalten Augen. Ihre Persönlichkeit erfüllt den gesamten Raum und gibt mir wie immer ein bisschen das Gefühl, ersticken zu müssen. Sie trägt die traditionelle talanidische Robe, die sie wie eine Matrone wirken lässt, obwohl sie nicht dick ist. Die zahlreichen Stoffschichten, die unter der Brust festgebunden werden, lassen jeden dick wirken.

Pheng sitzt in ihrem Kleid wie ein Phönix in seinem Nest, dabei zieht sie an ihrer Zigarettenspitze, die am Ende abgeknickt ist, sodass die Zigarette steil in die Höhe ragt. Das grau bestäubte Haar hat sie zu einem Knoten gebunden. Ich sehe in ihrem Gesicht Parallelen zu dem meines Vaters. Doch das, was ich bei ihm als gütig und warm empfinde, erlebe ich bei ihr als kalt, hart und abweisend.

Pheng lächelt nicht. Vater meint, auch in seiner Kindheit hätte sie niemals gelächelt. Sie muss die Freude in Talanis zurückgelassen haben.

Ich weiß, dass Pheng Song ein schwieriges Leben gehabt hat. Sie wurde früh verheiratet, an einen Mann, der über fünfzehn Jahre älter war als sie selbst und den sie kaum kannte. An einen Drachen, noch dazu.

Vater sagt, Beziehungen zwischen Drachen und Nicht-Drachen sind schwierig. Drachen fühlen sich automatisch zu anderen Drachen hingezogen. Es besteht eine chemische Verbindung, die vermutlich helfen soll, die Art nicht aussterben zu lassen. Ich weiß nicht, ob Pheng ihren Mann Zuko geliebt hat. Aber wie ich es verstanden habe, war es ihm nicht möglich, sie zu lieben. Zumindest nicht, wie sie es gern gehabt hätte.

Das erste und älteste Kind starb kurz nach der Überfahrt von Talanis nach Vesper an Sandelmückenfieber. Dann wurde mein Vater geboren – und Pheng schien zu spüren, dass dieses Kind mehr von dem lieblosen Vater geerbt hatte als von ihr. Das machte die Beziehung zu Long ebenso schwierig, wie sie es zu Zuko war, und bescherte meinem Vater eine kalte Kindheit.

Erst das dritte Kind,...