Mondprinzessin

von: Ava Reed

Drachenmond Verlag, 2016

ISBN: 9783959913171 , 252 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Mondprinzessin


 

Kapitel 1


Hoffnung …
und den Glauben, dass alles gut werden wird.
Diese zwei Dinge sollten wie nie verlieren,
denn sie tragen uns
durch den Tag und durch die Nacht.
Sie sind unser Schwert und unser Schild.

Juri

»Sie ist tot!«

»Wie kannst du es wagen?«, fährt König Artas Malik an.

»Wie ich es wagen kann?«, wiederholt Malik ungläubig und schreit dabei durch den ganzen Raum, sodass ich mich seufzend vom Konferenztisch erhebe und auf ihn zugehe, bevor die Situation vollkommen aus dem Ruder läuft.

Die anderen Hauptmänner sitzen weiterhin betreten da, während Malik mit geballten Fäusten vor dem König steht, der nun von seinem Stuhl aufspringt. Er hat eine stolze Statur, auch wenn der Verlust seiner Tochter ihn krank werden ließ, blass und ausgelaugt, so büßt er nichts von seiner Autorität ein. Seine Wangen röten sich vor Wut, seine blonden Haare liegen schon lange nicht mehr ordentlich und seine Blicke drohen Malik zu erdolchen. Dieser hält jedoch dagegen. Er ist so unendlich stur.

»Lunamea ist fort! Wahrscheinlich sogar tot. Jemand muss dir endlich klarmachen, dass das möglich ist. Vielleicht musst du loslassen, alter Freund.« Nach seinem vorherigen Gefühlsausbruch spricht Malik den letzten Satz beinahe sanft, während er seine Hand auf die Schulter des Königs legt und abwartet. Stille breitet sich aus und ich verharre in der Bewegung, beobachte die beiden.

Seit Jahren vollführt König Artas eine Gratwanderung zwischen seinem Amt und seiner Persönlichkeit als Vater. Nie war seine Zerrissenheit so spürbar wie heute.

»Vielleicht hat er recht, Vater«, sagt Faras neben ihm beinahe schüchtern, aber dieser zeigt darauf keine Reaktion, hält seinen Blick fest auf Malik gerichtet. Im Gegensatz zum König besitzt sein Adoptivsohn Faras pechschwarzes Haar und leicht gebräunte Haut. Er wirkt drahtig, manchmal unscheinbar, aber nie unaufmerksam. Er ist mir ein Rätsel.

»Mein Freund, solange die Krieger keinen brauchbaren Beweis erbringen, will ich dies nicht glauben. Noch ist Zeit. Noch suchen wir weiter!« Der König bleibt hartnäckig.

»Wie oft sollen wir noch suchen?«, schreit Malik.

»So oft, bis ich sage, es ist genug! So oft, bis ihr sie gefunden habt«, herrscht er ihn an.

Als Malik nichts mehr sagt, nur die Lippen zusammenkneift, wahrscheinlich darum bemüht, sich nicht die Haare zu raufen und den König nochmals anzuschreien, trete ich vor.

»Ich werde nach ihr suchen. Lass mich auf die Erde, Malik. Dort werde ich beginnen.«

»Harús Krieger haben die Erde schon Dutzende Male durchkämmt. Was nutzt es, dich alleine hinunterzuschicken?« Mit aufgerissenen Augen zeigt er auf Harú am Tisch und auf alle anderen Hauptmänner, die stumm dem Schauspiel folgen, das sich ihnen hier bietet. Sie sind müde und ausgelaugt, haben die Hoffnung verloren, sie suchen nur weiter, weil es befohlen wurde, nicht weil sie denken, dass es noch etwas bringt. Die Spuren der schlaflosen Nächte haben sich in ihre Gesichter gegraben, sie haben längst aufgegeben. Fast siebzehn Jahre sind sie schon auf der Suche. Vergeblich.

Der König richtet seine Aufmerksamkeit vollends auf mich. Sein weiß-blauer Umhang, der perfekt zu seiner Rüstung passt, raschelt leicht, als er an Malik vorbeischreitet und sich vor mir aufbaut.

»Ich dachte, ihr habt alle aufgegeben?«

Misstrauisch funkeln mich die hellgrauen Augen an, mustern mich, versuchen herauszufinden, ob ich nicht auch so denke wie Malik. Ob ich mich nur anbiedern will oder es wirklich ernst meine. »Wieso wollt Ihr weitermachen?«

»Ihr habt gesagt, wir suchen weiter. Genau das habe ich vor – nicht mehr und nicht weniger.«

»Ihr glaubt auch, sie sei tot, nicht wahr?« Seine Stimme bekommt einen warnenden Unterton, der mich unwillkürlich dazu bringt, das Kinn zu recken und mich noch größer zu machen. König Artas muss den Kopf leicht in den Nacken legen.

»Majestät, ich will Euch nicht anlügen. Ich denke, jeder hat schon einmal daran gedacht. Aber im Moment gehe ich davon aus, dass sie noch lebt und uns rennt die Zeit davon. Die Erde ist ein perfekter Ort, um sie zu verstecken. Wir haben dort keine Truppen und keine Verbündeten wie auf den anderen Planeten. Die Menschen sind unwissend und wir könnten etwas übersehen haben.« Ich werfe einen Seitenblick zu Harú, dem ich hier mehr oder weniger unterstelle, nicht gründlich genug gewesen zu sein.

»Das ist Juri.« Malik tritt vor, während er mir mit Blicken zu verstehen gibt, ich soll die Klappe halten, da ich das erste Mal dabei bin, wenn der König den Sitzungen beiwohnt. »Er wird bald meine Nachfolge antreten, deshalb ist er hier. Er ist definitiv einer der besten Krieger unserer Zeit, aber noch würde ich nicht …« Der König unterbricht ihn mit einer Handbewegung und fordert ihn auf, schneller zum Punkt zu kommen, was mich, trotz unserer Lage, grinsen lässt.

Malik holt tief Luft, fixiert mich. »Juri ist schwierig.«

»Sprich nicht in Rätseln!«

»Er ist …«

»Genauso ein Hitzkopf wie du?«, helfe ich Malik aus und sehe, dass ein Muskel in seiner Wange zu zucken beginnt.

»Mehr oder weniger.« Er muss die Worte beinahe mit Gewalt zwischen den Zähnen hervorwürgen.

»Wenn er so ist wie du, Malik, mache ich mir keine Sorgen. Was sind deine weiteren Bedenken?«

»Er reagiert immer noch viel zu intuitiv.« Malik seufzt. »Bisher ging es gut, aber …«

Er macht sich zu viele Sorgen, das war schon immer sein Problem.

»Ist er so gut, dass er deine Nachfolge verdient?«

»Ja. Er und sein Schutzgeist ebenso«, erwidert Malik ohne zu zögern. »Aber er ist auch wie ein kleiner Junge, der das Spielzeug, mit dem er gerade gespielt hat, nicht wegräumt, bevor er ein neues holt. Es endet im Chaos.«

Sein Jammern ist wirklich süß. »Und doch finde ich alles immer wieder.«

In Maliks Auge droht eine Ader zu bersten, weil er so einfach zu reizen ist.

»Vertraust du ihm, Malik?« Der König blickt ihn von der Seite aus fragend an und ignoriert unser Wortgefecht.

»Ja«, gibt er widerwillig zu. Er würde mich da am liebsten raushalten.

»Dann gibt es für mich keinen Grund, ihn nicht gewähren zu lassen. Ich werde ihm jeden Krieger zur Seite stellen, den er wünscht.«

»Ich reise allein.«

»Das habe ich befürchtet«, nuschelt Malik und stöhnt.

Faras kommt auf uns zu, versucht nochmals das Wort an den König zu richten. »Das macht keinen Sinn, Vater! Die Hauptmänner haben lange genug versucht, sie zu finden, die Erde wurde oft genug durchkämmt. Sie ist nicht da«, sagt er beinahe energisch.

König Artas lässt sich nichts anmerken, er reagiert nicht, wohingegen Faras grimmig dasteht, die Zähne zusammenbeißt.

»Vielleicht ist sie nicht da, aber ich werde trotzdem nach ihr suchen«, kontere ich Faras. »Allein werde ich kaum Aufmerksamkeit erregen und kann mit der Prinzessin schneller verschwinden.«

»Wenn sie nicht gefunden wird, dann …« Die Stimme des Königs versagt.

Ich nicke. Ich weiß, was er sagen will. Wenn wir sie nicht finden, ehe ihre Magie erwacht, ist sie jede Sekunde auf der Flucht. Wenn sie nicht jetzt schon tot ist, spätestens dann wird sie es sein. Die Zwietracht zwischen den Familien und Planeten wächst stetig, besonders nach der Entführung der Prinzessin.

»Ich werde sie finden.« Ich sage es, und ich glaube daran.

Nach weiteren Diskussionen über weitaus unwichtigere Dinge zieht Malik mich aus dem Zimmer, immer noch schäumend vor Wut.

»Was zum Teufel hast du dir nur dabei gedacht?«, zischt er, während wir den Tunnel durchqueren, der den Konferenzsaal mit dem Rest des Schlosses verbindet und den schnellsten Weg zum Hauptgebäude darstellt. Hier ist es stets, als würde man zwischen den Welten schweben. Mitten im All. Im Nichts. Die Sterne sind überall um uns herum. Der Tunnel verbindet einen Turm mit dem nächsten, wie ein gläserner Schlauch.

»Ich bin keine sechzehn mehr.«

»Nein, aber denkst du wirklich, die vier Jahre mehr machen dich zum Mann?«

»Wir wissen beide, dass es nicht die Jahre sind, die mich dazu gemacht haben.«

»Verzeih mir.« Malik fährt sich seufzend durch die Haare und verzieht das Gesicht. »Ich mache mir einfach Sorgen. Du solltest dich nicht so leichtfertig Gefahren aussetzen. Das sage ich dir nicht, weil ich denke, du seist weder Mann noch Krieger. Das sage ich dir, weil du Gefahren und Schwierigkeiten anziehst wie ein beschissener Magnet! Du solltest hierbleiben. Du wirst sie nicht finden.«

Ich bleibe ruckartig stehen, mitten im Gang, und blicke hinaus. Es ist Nacht. Mein Blick wandert über die Landschaft Menuas und all ihre Lichter, zur Erde, zu all den leuchtenden Farben, dem Blau der Meere, dem Grün und Braun der Kontinente und den wundervollen Mustern der Wolken. Ich sehe all das und irgendetwas sagt mir, dass die Prinzessin dort unten ist. Es ist nichts weiter als ein dumpfes Gefühl. Aber es ist da.

Malik ist wie ein Vater für mich und ich verstehe, dass er sich sorgt, aber ich muss das tun. Die Zeit wird knapp. Sie rinnt uns allen durch die Finger. Seit dem Verschwinden der Prinzessin hatte es unzählige Krisensitzungen gegeben, von denen eine erfolgloser war als die andere. Sie alle hatten zu nichts geführt, außer zu mehr Sorgen, Problemen und noch mehr Fragen anstatt Antworten.

Wir müssen sie finden. Vor allem, weil mit jedem Tag ihrer Abwesenheit des Königs Trauer wächst. Und seine Hoffnungslosigkeit, auch wenn er das nicht zugibt. Er ist krank. Seine Zeit verrinnt schneller als wir dachten und die Trauer hat sich um ihn geschlungen wie eine Schlange, sie greift seinen Körper an, vergiftet seinen Geist und...