Der beste Vater von allen - Ausgewählte und kommentierte Geschichten von Rafi, Amir und Renana Kishon

von: Ephraim Kishon

LangenMüller, 2016

ISBN: 9783784482354 , 256 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 14,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Der beste Vater von allen - Ausgewählte und kommentierte Geschichten von Rafi, Amir und Renana Kishon


 

Trotzdemia mon amour

Renana

Das Leben meines Vaters war voller Umschwünge. Angefangen von seiner stolzen ungarischen Kindheit, über die unvorstellbar schwere Zeit der Verfolgung im Zweiten Weltkrieg, bis hin zu dem wohl radikalsten Wechsel überhaupt – seiner Ankunft am östlichsten Zipfel des Mittelmeers, Israel, dem Land der Juden. Obwohl er dieses kleine Stück Levante leidenschaftlich liebte, blieb er zeit seines Lebens derselbe österreichisch-ungarische Ferenc, ein Freund osteuropäischer Lieder und einer guten Salami, ein begeisterter Verfechter von Ordnung und Disziplin, der sich am wohlsten fühlte, wenn das Thermometer Minustemperaturen anzeigte.

Und gerade er fand sich plötzlich im Land »Trotzdemia« wieder. Einem Land, das seine kühnsten Vorstellungen übertraf. Einem Land, in dem grundsätzlich die Anzahl der Schrauben nicht mit der Anzahl der Löcher übereinstimmt, die zur Anbringung der Schrauben vorgesehen sind. Einem Land, in dem der Klempner niemals zur vereinbarten Zeit erscheint und die Post nur sporadisch ausgetragen wird. Wo in Büros das Chaos herrscht und nichts so funktioniert, wie es eigentlich sollte, wobei dieses ganze Drunter und Drüber auch von einer beachtlichen Geräuschkulisse untermalt ist.

Aber Ferenc, aus dem Ephraim wurde, passte sich diesem Durcheinander nicht nur an, sondern er beschrieb es auch mit so viel Gefühl und Sympathie, dass seine Schilderungen zu einem der Grundsteine der israelischen Kultur werden konnten. Dieses kleine, chaotische Land wurde seine Heimat, und er gewann »Trotzdemia« so lieb, dass er sich sogar ein eigenes, ganz persönliches Exemplar zulegte: meine Mutter Sara, eine echte »Sabre«, eine Ureinwohnerin des Landes »Trotzdemia«. Sie war eine starke, eigenständige und charismatische Frau, die jedes Hindernis aus dem Weg schaffte, alles erreichte, was sie sich zum Ziel setzte und die ihm die Kraft gab, alle seine Träume zu erfüllen.

TRAKTAT ÜBER DAS LAND TROTZDEMIA

Es gibt zwei Standpunkte, von denen aus man das Staatswesen Israel betrachten kann: aus der Nähe und aus der Ferne.

Schauen wir es uns einmal aus der Nähe an.

Aus der Nähe ist es ein Haufen Sand, auf dem sich allerlei Geschöpfe verschiedenster Herkunft tummeln, schwitzend und schimpfend, ständig am Rand eines Nervenzusammenbruchs, mit unordentlichen Lebensgewohnheiten und mühsam beherrscht von einem bürokratischen Durcheinander, das sich als Regierung bezeichnet.

Der typische Bewohner des Landes Trotzdemia ist dadurch charakterisiert, dass er um 15.30 Uhr in Haifa erwartet wird und zu spät kommt. Genau genommen kommt er nicht zu spät, sondern gar nicht. Man findet ihn, wenn überhaupt, hinter einer Türe mit der Aufschrift »Kein Eintritt«.

Wo immer er auftaucht, greift er sofort alles an, um festzustellen, ob es echt ist. Sieht er ein Sandwich, so beißt er hinein, sieht er einen Lichtschalter, so dreht er ihn an. Er steckt seine Nase in fremde Taschen, fremde Schubladen, fremde Schachpartien. Wenn nichts da ist, wo er sie hineinstecken kann, bohrt er in ihr.

Nicht minder typisch für ihn ist die Flasche zu seinen Füßen. Wenn irgendwo auf der Welt in einem Kino oder Konzertsaal das störende Geräusch einer davonrollenden Flasche hörbar wird, darf man sicher sein, dass dort ein Trotzdemianer sitzt.

Zu seinen weiteren Kennzeichen gehören die Schlüssel, die er bei sich trägt. Es sind mindestens 21, von denen er 12 nicht identifizieren kann. Wenn er nach Hause kommt und die Türe aufsperren will, muss er 8 Schlüssel ausprobieren, bevor er auf den richtigen stößt. Dieser quälenden Prozedur entgeht er dadurch, dass er alle 21 verliert. Überhaupt liebt er es, Dinge zu verlieren. Ein Beamter der trotzdemianischen Regierung begab sich vor kurzem mit einer Anzahl wichtiger Geheimdokumente nach Istanbul. Angekommen, öffnete er seinen Diplomatenkoffer und musste feststellen, dass es der Schminkkoffer seiner Gattin Selma geb. Friedmann war. Daraufhin behauptete er, mit dem Transport von Kosmetikartikeln beauftragt zu sein, über deren geheimen Zweck man ihn nicht unterrichtet hatte. Er wurde entlassen und betätigt sich seither als Versicherungsagent.

Ein hervorstechendes Merkmal des Trotzdemianers ist seine Abneigung gegen Gebrauchsanweisungen und Instruktionen jeglicher Art. Eine Kiste mit der Aufschrift »Oben« stellt er grundsätzlich so auf, dass das »Oben« nach unten zeigt. Pakete mit dem in roter Farbe angebrachten Vermerk »Achtung, zerbrechlich!« wirft er in die Luft, steckt die Finger in die Ohren und tritt zur Seite. Die Anweisung »Kalt und trocken aufbewahren« veranlasst ihn, die betreffende Schachtel auf dem Boiler seines Badezimmers zu deponieren – was keine weiteren Folgen hat, da der Boiler nicht heizt. Dies wiederum veranlasst ihn, den Boiler zu übermalen. Er übermalt leidenschaftlich gerne. Wenn etwas schmutzig ist, übermalt er es. Wenn es rostig ist, legt er noch eine zweite Farbschicht auf. Für Reparaturen, die elektrische Schweißarbeiten erfordern, verwendet er Klebstoff, die nötigen Schrauben ersetzt er durch Heftpflaster. Es hält.

Der Trotzdemianer isst laut, spricht laut, geht laut und beklagt sich über den Lärm. Wenn sein Radio wie ein Teekessel pfeift, wartet er ein Jahr, bevor er den Mechaniker holt. Dieser empfiehlt ihm, den Apparat links ein wenig anzuheben. Er hebt ihn an, und da der Lärm tatsächlich aufhört, legt er eine Zündholzschachtel unter die linke Seite. Wenn der Lärm wieder beginnt, wechselt er die Zündholzschachtel oder er versetzt dem Kasten einen leichten Schlag mit der Hand. Auch mit dem Plattenspieler verfährt er ebenso, und ebenso erfolgreich (einschließlich Stereo). Bei größeren Maschinen arbeitet er mit Fußtritten. Seine Zentralheizung funktioniert überhaupt nur noch nach einem Tritt in den Thermostat. Jeden Morgen geht er in den Keller, um zu treten. Schließlich bricht er sich die große Zehe. Daraufhin ruft er den Installateur, der aber nicht kommen kann, weil er um 15.30 Uhr in Haifa zu tun hat. Daraufhin kauft der Trotzdemianer sechs kleine Petroleumöfen, von denen sich nur zwei in Betrieb setzen lassen. Heimisches Erzeugnis.

Heimische Erzeugnisse zeichnen sich überdies durch eine Vielfalt an Nebenprodukten aus. Im Brot sind Nüsse (oder Sägespäne). In der Milch: Abwaschwasser. Im Kuchen: Käfer. Im Koffer: doppelter Boden.

Die Trotzdemianer gelten als Volk des Buches. Sie behandeln ihre Bücher sehr behutsam und schneiden sie in den meisten Fällen gar nicht auf.

Wenn ein trotzdemianischer Wasserhahn nicht tropft, so liegt das daran, dass die Wasserzufuhr unterbrochen ist. Auch der elektrische Strom wird einmal am Tag abgestellt, denn die Turbinen des Elektrizitätswerks sind falsch installiert und müssen übermalt werden.

Der echte Trotzdemianer benützt zum Eindrehen von Schrauben seine Nagelfeile und zum Putzen seiner Nägel den Bleistift. Wichtige Telefonnummern notiert er auf einer angefangenen Zigarettenpackung, die er verliert. Bei Anfällen hochgradiger Nervosität wählt er eine Nummer des telefonischen Notrufs, weil ihn das Besetztzeichen beruhigt. Wenn kein Besetztzeichen ertönt, hat er eine falsche Nummer erwischt und legt auf.

Der Trotzdemianer ist stolz und freiheitsliebend. Er reist viel, bestellt in vegetarischen Gasthäusern mit Vorliebe Steak, kauft auf Raten und legt größten Wert auf Reinlichkeit und Hygiene. Zum Verpacken von Käse verwendet er kein beliebiges Zeitungspapier, sondern illustrierte mit Mehrfarbendruck. Auch im Theater lässt er sich von den Grundsätzen des guten Benehmens leiten und wirft die Orangenschalen nicht auf die Bühne, sondern unter den Sitz. Die trotzdemianische Sprache ist reich an blumigen Wendungen und Hintergründigkeiten. »Seien Sie unbesorgt!« kündigt eine Katastrophe an, »Vertrauen Sie mir!« einen verlorenen Rechtsfall. »Sofort!« bedeutet zwei Stunden, »Ein paar Tage« bedeutet ein Jahr, »Nach den Feiertagen« bedeutet nie.

Außerdem interessiert er sich nur noch für Fußball und für die Bar Mizwah seines Sohnes Avigdor. Am liebsten würde er den ganzen Tag im Liegestuhl am Strand faulenzen, wenn der Liegestuhl nicht kaputt wäre. Er hat ihn schon wiederholt mit Klebestreifen repariert, aber die Beine halten nicht. Man wird sie übermalen müssen. Seien Sie unbesorgt.

Der Trotzdemianer ist ein netter Mensch. Er hat einen eigenen Lebensstil entwickelt, an den man sich erst gewöhnen muss. Dann geht es ganz gut. Es ist vielleicht nicht der beste Lebensstil der Welt, aber für einen Humoristen ist er ungemein ergiebig.

Großes Kino

Rafi

Es begab sich zu sehr früher Morgenstunde, Anfang der Fünfzigerjahre. Ein starker, durchdringender Lärm erfüllte die Straßen und riss die Bewohner der Nachbarschaft aus dem Schlaf. Mein Vater stürmte hinaus und sah einen Arbeiter, der mit einem riesigen Presslufthammer mitten auf der Straße stand und sie systematisch zerstörte. Die missmutigen Nachbarn schimpften auf die Stadtverwaltung, die ihnen die Straße unter den Füßen wegbohrt. Mein Vater schimpfte ebenfalls, aber auf Ungarisch, denn er konnte noch nicht richtig auf Hebräisch schimpfen. Damals kam ihm ein revolutionärer Gedanke: Vielleicht ist das gar kein städtischer Arbeiter, sondern ein Irrer, der einen Presslufthammer klaute und einfach so aus Lust am Bohren beschloss, unsere Straße zu malträtieren …

So begann die Geschichte des Blaumilchkanals.

Wenn an diesem Morgen jemand meinem Vater, Ephraim Kishon, ins Ohr geflüstert hätte, dass dieses Ereignis der Beginn eines humoristischen Werks...