Ein todsicherer Plan - Roman

von: Christopher Moore

Goldmann, 2016

ISBN: 9783641200114 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Ein todsicherer Plan - Roman


 

1

Tag der Toten

Es war ein kühler, stiller Novembertag in San Francisco. Alphonse Rivera, ein schlanker dunkler Mann von fünfzig Jahren, saß hinter dem Tresen seines Buchladens und blätterte im Großen Bunten Buch des Todes. Das altmodische Glöckchen über der Tür bimmelte, und Rivera blickte auf, als der Kaiser von San Francisco, eine große, zerzauste Gewitterwolke von einem Mann, in den Laden wankte, gefolgt von seinen treuen Hunden Bummer und Lazarus, die mit einiger Dringlichkeit wufften und wedelten, um dann herumzuwetzen wie zottelige Secret-Service-Agenten, die den Laden filzten für den Fall, dass hinter den Stapeln arglistige Attentäter oder fleischhaltige Pizzen lauerten.

»Die Namen müssen notiert werden, Inspektor«, verkündete der Kaiser. »Damit sie ja nicht der Vergessenheit anheimfallen!«

Das konnte Rivera nicht aus der Reserve locken, und doch griff seine Hand automatisch zur Hüfte, wo früher seine Waffe gesteckt hatte. In fünfundzwanzig Jahren als Cop war ihm diese Reaktion zur Gewohnheit geworden, doch lag seine Waffe mittlerweile sicher im Safe. Unterm Tresen verwahrte er einen Elektroschocker, eine Stun Gun, die er in dem ganzen Jahr seit der Eröffnung seines Buchladens nur beim Staubwischen in die Hand genommen hatte.

»Welche Namen?«

»Na, die Namen der Toten natürlich«, sagte der Kaiser. »Ich brauche einen linierten Folianten.«

Rivera stand von seinem Hocker auf und legte die Lesebrille auf den Tresen neben sein Buch. Augenblicklich waren Bummer, der Boston-Terrier, und Lazarus, der Golden Retriever, bei ihm hinterm Tresen, Ersterer auf den Hinterbeinen stehend und aus hoffnungsvollen Glupschaugen aufblickend in Anbetung der Götter aller Leckerlis, eines Pantheons, in den er Rivera zu erheben bereit war, wenn auch nur unter einer Bedingung.

»Ich habe nichts für euch«, sagte Rivera, als müsste er sich dafür rechtfertigen. »Ihr zwei dürftet nicht mal hier drinnen sein. Hunde verboten.« Er deutete auf ein Schild an der Tür, das nicht nur nach draußen zeigte, sondern außerdem in einer Sprache verfasst war, die Bummer nicht lesen konnte, was auch für alle anderen Sprachen galt.

Lazarus, der hinter seinem Kameraden hockte, hechelte friedlich und wandte sich ab, um Rivera weitere Peinlichkeiten zu ersparen.

»Schnauze!«, sagte Rivera zum Retriever. »Dass er nicht lesen kann, weiß ich selbst. Er wird mich einfach beim Wort nehmen müssen.«

»Inspektor?« Der Kaiser strich seinen Bart glatt, schüttelte den Kragen seines schmuddeligen Mantels aus und machte sich bereit, einem Bürger in Not Beistand anzubieten. »Dass Lazarus nicht sprechen kann, wisst Ihr aber auch.«

»Noch nicht«, sagte Rivera. »Aber er sieht aus, als hätte er was zu sagen.« Der Excop seufzte, bückte sich und kraulte Bummer zwischen den Ohren.

Bummer ließ es sich gefallen, sank auf alle viere und wuffte. Du hättest mein Gott werden können, dachte er, mein Held, aber jetzt werde ich mich an meilenweise Hundehaufen berauschen müssen, um den Mief deines Unvermögens aus der Nase zu kriegen … Oh, das fühlt sich aber hübsch an! Ach, wie nett. Du bist mein neuer bester Freund.

»Inspektor?«

»Ich bin kein Inspektor mehr, Hoheit.«

»Und doch ist ›Inspektor‹ ein Titel, den Ihr Euch durch gute Dienste erworben habt. Er wird für immerdar der Eure sein.«

»Für immerdar«, wiederholte Rivera lächelnd. Die hochherrschaftliche Ausdrucksweise des Kaisers hatte ihn schon immer amüsiert, denn sie erinnerte ihn an eine edlere, vornehmere Zeit, die er selbst nie erleben durfte. »Ich habe eigentlich nichts dagegen, dass mir der Titel anhängt, hatte ich doch gehofft, mit dem Job könnte ich auch all die sonderbaren Vorkommnisse hinter mir lassen.«

»Sonderbare Vorkommnisse?«

»Ihr wisst schon. Ihr wart doch dabei. Diese Kreaturen unter den Straßen, die Totenboten, die Höllenhunde, Charlie Asher – Ihr wisst nicht mal, welcher Tag heute ist, und trotzdem …«

»Heute ist Dienstag«, sagte der Kaiser. »Ein guter Mann, dieser Charlie Asher – ein tapferer Mann. Hat sein Leben für die Menschen unserer Stadt geopfert. Auf ewig werden wir seiner gedenken. Doch fürchte ich, dass uns die sonderbaren Vorkommnisse erhalten bleiben.«

»Nein, tun sie nicht«, sagte Rivera überzeugter, als ihm zumute war. Bitte gehen Sie weiter. Nicht stehen bleiben. Dass heute Día de los Muertos war, der Tag der Toten, hatte ihn bereits voll Sorge zu der Schublade geführt, um Das Große Bunte Buch des Todes hervorzuholen, doch war er nicht gewillt, sich nun auch noch von anderer Seite darauf stoßen zu lassen. Akzeptiere einen Albtraum, und du gibst ihm Macht, hatte mal jemand zu ihm gesagt. Vielleicht dieses gruselige Gruftimädchen, das für Charlie Asher gearbeitet hatte. »Ihr sagtet, Ihr bräuchtet einen linierten Folianten?«

»Um die Namen der Toten zu notieren. Sie sind mir gestern Nacht erschienen, Hunderte von ihnen, und sie haben mir aufgetragen, ihre Namen niederzuschreiben, damit sie nicht der Vergessenheit anheimfallen.«

»Im Traum?« Davon wollte Rivera nichts hören. So rein gar nichts. Mittlerweile war es ein Jahr her, seit das alles passiert war, seit er das Große Buch mit der Anweisung zum Handeln bekommen und diese ignoriert hatte. So weit, so gut.

»Letzte Nacht lagerten wir bei den Waschräumen am St.-Francis-Yachtclub«, sagte der Kaiser. »Die Toten schwebten übers Wasser heran wie der Nebel. Sie gaben sich recht energisch.«

»Tja, so sind sie hin und wieder«, sagte Rivera. Der Kaiser war ein wirrer alter Mann, ein liebenswerter, großherziger und rechtschaffener Spinner. Unglücklicherweise hatten sich manche seiner spinnerten Beteuerungen in der Vergangenheit als zutreffend erwiesen, und genau das löste die Beklemmungen aus, die Rivera in seiner Brust spürte.

»Dann sprechen die Toten also auch zu Euch, Inspektor?«

»In fünfzehn Jahren bei der Mordkommission lernt man zuzuhören.«

Der Kaiser nickte väterlich und drückte Riveras Schulter. »Wir schützen die Lebenden, doch sind wir offenbar auch dazu auserkoren, den Toten zu dienen.«

»Ich führe keine Folianten, aber ich könnte Euch ein paar hübsche Tagebücher zeigen.«

Rivera führte den Kaiser zu einem Regal, in dem er stoff- und ledergebundene Blankobücher unterschiedlichster Größen aufbewahrte. »Wie viele Tote sollen denn registriert werden?« Irgendwas im Umgang mit dem Kaiser nötigte es einem auf, Dinge zu sagen, die in gewisser Weise widersinnig klangen.

»Alle«, erwiderte der Kaiser.

»Dann werdet Ihr ein ziemlich dickes Buch brauchen.« Rivera reichte ihm eine große, ledergebundene Kladde.

Der Kaiser nahm das Buch, blätterte darin herum, strich mit der Hand über den Einband. Er blickte vom Buch zu Rivera, und ihm kamen die Tränen. »Das wäre perfekt.«

»Ihr braucht noch einen Stift«, sagte Rivera.

»Einen Bleistift«, sagte der Kaiser. »Einen harten Bleistift. Darauf haben sie extra hingewiesen.«

»Die Toten?«

Bummer wuffte, mit dem Subtext: »Selbstverständlich die Toten, du baumlanges Hörnchen. Hast du denn nicht zugehört?« Rivera hatte noch immer kein Leckerli aufgetrieben und außerdem aufgehört, ihm die Ohren zu kraulen, also – leck mich.

Lazarus winselte, mit dem Subtext: »Entschuldige, seit ihm die Macht eines Höllenhundes verliehen wurde, ist er ein unerträglicher Großkotz, aber der alte Mann mag ihn. Was soll man machen? Trotzdem könnte es nicht schaden, für deine Freunde ein paar Leckerlis hinterm Tresen zu bunkern.«

»Ja, die Toten«, sagte der Kaiser.

Rivera nickte. »Ich führe keine Bleistifte, aber ich denke, ich könnte Euch aushelfen.« Er trat hinter den Tresen und zog eine Schublade auf. Als das Große Bunte Buch des Todes damals in seinem Briefkasten gesteckt hatte, war er den Anweisungen gefolgt und hatte sich einen Kalender und Bleistifte zugelegt. Einen davon reichte er dem Kaiser, der dessen Spitze inspizierte und ihn dann in den unergründlichen Tiefen seines Mantels verschwinden ließ, wo er ihn höchstwahrscheinlich niemals wiederfinden würde.

»Was schulde ich Euch für das Buch?«, fragte der Kaiser. Er holte mehrere zerknüllte Scheine aus seiner Manteltasche, doch Rivera winkte ab.

»Das geht aufs Haus. Im Dienste der Stadt.«

»Im Dienste der Stadt«, wiederholte der Kaiser. Dann wandte er sich an seine Truppe mit den Worten: »Männer, brechen wir auf zur Bibliothek, um mit unserer Liste zu beginnen!«

»Woher wollt Ihr die Namen nehmen?«, fragte Rivera.

»Na, aus den Todesanzeigen natürlich. Und vielleicht bei einem kleinen Abstecher zum Polizeirevier, um einen Blick auf die Vermisstenanzeigen zu werfen. Gewiss gibt es dort jemanden, der mir helfen wird.«

»Ganz gewiss. Ich werde im Revier an der Vallejo anrufen. Aber mir scheint doch, dass Ihr Euch viel vorgenommen habt. Ihr sagt, Ihr müsstet alle Toten registrieren. Diese Stadt existiert seit hundertsechzig Jahren. Da kommt einiges an Toten zusammen.«

»Ich muss mich missverständlich ausgedrückt haben, Inspektor. Alle Toten – jedoch mit einer gewissen Dringlichkeit, was jene angeht, die im Laufe des letzten Jahres verstorben sind.«

»Im letzten Jahr? Warum?«

Der Kaiser zuckte mit den Schultern. »Weil man mich darum gebeten hat.«

»Ich meine, warum der Schwerpunkt auf das...