Novemberfeuer - Psycho-Thriller

von: Renate Eckert

mainbook Verlag, 2016

ISBN: 9783946413233 , 230 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Novemberfeuer - Psycho-Thriller


 

In wendiger Drehung reihte sich der kleine Mini in die Linie der Wagen ein, die auf dem riesigen Platz parkten, unauffällig und war nur Sekunden später Teil einer anonymen, in der Sonne funkelnden Masse aus Chrom und Stahl. Franziska zögerte, aus dem klimatisierten Fahrzeug auszusteigen, fürchtete die gnadenlose Sommersonne, die sich im Pflaster spiegelte.

Der monumentale Platz vor Würzburgs Residenz und UNESCO-Welterbe, einst Schauplatz fürstbischöflichen Glanzes, sog die Wärme auf und verdichtete sie, so schien es ihr, als läge ein riesiges Brennglas über ihm. Der Brunnen in der Mitte, ein hilfloser Versuch, Kühle zu suggerieren. Immer noch vermittelte der Residenzplatz eine Spur einstiger Grandezza, auch wenn er derzeit als Parkplatz zweckentfremdet wurde. Er ertrug diesen Zustand wohl mit demselben Gleichmut wie lange vorher militärische Aufmärsche. Der Platz würde auch diese Laune eines fehlgeleiteten Zeitgeistes überdauern, dachte Franziska, als sie ihren Blick über die vielen Autos gleiten ließ.

Eine Gruppe von Japanern huschte vorbei, ein junger Mann ging mit lockeren Schritten auf dem Pflaster, bevor er einen Autoschlüssel aus seiner Hosentasche zog, lauernd nach rechts und links schaute und einen nachhaltigen Kratzer auf der Motorhaube eines silberglänzenden Mercedes hinterließ.

Franziska öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schüttelte fassungslos den Kopf über den Akt purer Willkür, dessen Zeuge sie gerade geworden war, während der junge Mann in kaum zu fassender Dreistigkeit zwischen den geparkten Wagen davon schlenderte.

Der Tag, der für sie zum Neubeginn werden sollte, hatte seinen Glanz verloren und der Vorgang erschien ihr plötzlich wie eine Metapher auf ihr Leben: passiv abwartend und bestürzt, wenn die Realität ihre Illusionsblase zertrümmerte. Nein, das hatte sie hinter sich.

Ein unerwarteter Energieschub ließ sie aussteigen und sie folgte dem Mann, während sie sich fragte, was sie denn eigentlich tun könne. Wenn sie ihn anspräche, würde er wohl kaum freundlich seinen Ausweis zeigen, um seine Personalien der Polizei zu melden, oder? Aber feige wegschauen war keine Alternative, nicht mehr!

Die Entscheidung wurde ihr aus der Hand genommen, als der Mann ohne irgendeinen Skrupel in einen angejahrten Honda stieg und wegfuhr. Immerhin sah Franziska das Kennzeichen. Die Buchstaben- und Ziffernfolge brannte sich in ihr Gedächtnis. Sollte sie die Polizei verständigen? Nein – das würde sich hinziehen, so viel Zeit hatte sie nicht.

Sie beschloss, dem Besitzer des Mercedes einen Zettel hinter die Windschutzscheibe zu klemmen mit einer kurzen Erklärung ihrer Beobachtung, der Nummer des Hondas und ihres Handys. Sollte er entscheiden.

Sie musste sich jetzt beeilen, wenn sie ihre Freundin Claire noch sehen wollte, bevor sie aufbrach. Aber Franziska brauchte Claires aufmunternden Zuspruch vor dem Weg, der vor ihr lag. Auf ihr eigenes Selbstbewusstsein konnte sie sich nur bedingt verlassen, es hatte in den zurückliegenden Wochen zu viele Tiefschläge verkraften müssen. Umso überraschter registrierte sie ihre Silhouette in einem Schaufenster, eine fast noch junge Frau im Sommerkleid mit nackten Beinen und schwungvollem Schritt. Der neue Stufenschnitt mit den hellen Strähnchen, den sie sich am Vortag gegönnt hatte, schmeichelte ihr tatsächlich.

Dicke Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, als sie an Claires Praxis ankam. Der Himmel hatte die Farbe von altem Zinn und von Ferne hörte sie ein verhaltenes Donnergrollen. Sie schaffte es gerade noch durch die Tür, als schon die ersten dicken Regentropfen in den Straßenstaub platschten.

Das Wartezimmer war voll und Franziska fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, ihre Freundin zu stören, als Claire schon in eines der Behandlungszimmer kam.

„Du bist noch einmal hergekommen, wie schön“, sagte sie und Franziska entschied sich, den gerade erlebten Vorfall zu verschweigen. Später vielleicht, heute wollte sie der Episode nicht zu viel Raum geben.

„Lass dich anschauen!“, Claire zupfte an Franziskas Haar, „chic siehst du aus mit deinem neuen Schnitt. Schau nicht so zweifelnd.“ Claire umfasste Franziskas Arme mit festem Griff. „Du wirst dieses Vorstellungsgespräch meistern und den Job bekommen. Du weißt, dass du gut bist.“

„Genau das musste ich noch einmal hören, bevor ich mich auf den Weg mache.“

Claire lächelte. „Immer wieder gerne. Wozu hat man Freunde?“

„Dankeschön! – Und – Claire – kannst du heute Abend vielleicht Hannah zur Sicherheit noch einmal anrufen? Ich traue Bertram zu, dass er glatt vergisst, seine Tochter zur Generalprobe zu begleiten. Und dieses Konzert ist ihr doch so wichtig.“

„Ja, das tue ich gerne. – Aber Hannah ist sechzehn und kein kleines Kind mehr. Sie schafft durchaus einen Tag ohne dich.“ Claire umarmte Franziska. „Ich schicke dir eine Wagenladung guter Wünsche mit.“

*******

Franziska fühlte sich beschwingt, als sie auf der A70 Richtung Osten fuhr, auf unerklärliche Weise verjüngt. Daran konnten auch die vielen LKW auf der rechten Spur nichts ändern. Ob ihre gute Laune damit zusammenhing, dass sie endlich einem konkreten Ziel entgegenfuhr? Die unbeschwerten Jahre ihrer Jugend und ihre ehrgeizigen Pläne, während ihrer Ehe mit Bertram zu einer untergeordneten Episode verdampft, nahmen wieder Gestalt an.

Sie fuhr wie beflügelt, ihr Auto und sie eine vollkommene Einheit. Einig mit sich selbst, wann war sie das zum letzten Mal gewesen? Sie wünschte sich den positiven Ausgang ihres Bewerbungsgesprächs auf Schloss Wetterstein mit einer Intensität, die sie ein wenig erschreckte. Nur keine Euphorie, ermahnte sie sich, auch eine Enttäuschung musste sie einkalkulieren und verkraften.

Sie würde alles daransetzen, ihren Plan zu einem Erfolg zu machen, versprach sie sich, bei dem Gespräch mit dem Direktor ebenso wie bei der zwangsläufigen Auseinandersetzung mit ihrem Ehemann. Aber – Bertram war nicht mehr ihr Ehemann. Sie musste aufhören, an ihn in dieser Rolle zu denken. Immerhin gelang es ihr inzwischen, Bertram aus dem Fokus ihres Denkens zu rücken. Ihre Tochter Hannah schaffte es wahrscheinlich noch lange nicht, die Trennung ihrer Eltern zu verkraften. Allerdings war sie nach anfänglicher Skepsis bereit, mit ihr nach Wetterstein zu kommen und geradezu begeistert von der Aussicht, während des Bildungsjahres durch die Welt reisen zu dürfen, auch wenn sie dies angestrengt zu verbergen versuchte. Sie durfte sie nicht schon wieder enttäuschen.

Sie war überraschend zügig gefahren und hatte noch viel Zeit bis zu ihrem Termin mit dem Direktor des Internats Wetterstein. Schweinfurt – Industrie und Kunst lockte ein Hinweisschild und Franziska beschloss, die Autobahn zu verlassen und sich die von den Würzburgern immer etwas belächelte ehemalige freie Reichsstadt einmal bewusst anzuschauen. Schließlich würde sie künftig ganz in der Nähe leben. Die Hassberge, in denen Wetterstein lag, waren nur etwa 20 km entfernt.

Sie nahm die Ausfahrt Bergrheinfeld und die Industriestadt Schweinfurt präsentierte sich ausgesprochen ländlich, dachte Franziska, geradezu provinziell. Daran konnte auch das Ortsschild „Hochschulstadt Schweinfurt“ nichts ändern. Sie sah sich in der in ihrem Bekanntenkreis gängigen Meinung Schweinfurt muss nun wirklich nicht sein, wenn man in Würzburg wohnt, bestätigt. Das dörfliche Ambiente wurde abrupt abgelöst von den monströsen Industriebauten der Kugellager- und Autozuliefererindustrie und Franziska folgte den Hinweisschildern zum Parkhaus „Museum Georg Schäfer“, das nicht nur mit seiner futuristischen Architektur Furore gemacht hatte, sondern auch mit einer beachtlichen Sammlung von Spitzweg-Gemälden und anderer hochkarätiger Kunst des Biedermeier, der Romantik und des Realismus. Der Industrielle Georg Schäfer hatte seine Privatsammlung der Stadt als Dauerleihgabe überlassen.

Franziska fand einen Parkplatz im Museums-Parkhaus, stieg die Treppen hinauf und fand sich kurz darauf auf einem idyllischen baumbestandenen Platz wieder, von dem liebevoll restaurierte Altstadt-Gässchen abzweigten. Judengasse, Metzgergasse las sie und folgte letzterer in eine Fußgängerzone, die diesen Namen auch verdiente. Im Gegensatz zu Würzburgs Fußgängerzone störte hier keine Straßenbahn und auch die Radfahrer wurden verpflichtet, tagsüber ihr Fahrrad zu schieben, wie sie einem Verkehrsschild entnahm. Die Spitalstraße führte vom Marktplatz weg und Franziska ging die wenigen Schritte zu einem Markt, der fast südländisch anmutete mit seinen vielen Obst- und Gemüseständen. Richtig, um Schweinfurt lag fruchtbares Ackerland und die Bauern der Umgebung verkauften hier ihre Produkte.

Sie bewunderte das prachtvolle Renaissance-Rathaus, das üppige Geranienkästen zierte, und entdeckte schräg gegenüber das Geburtshaus des Dichters und Orientalisten...