Interaktionistischer Konstruktivismus - Zur Systemtheorie der Sozialisation

von: Tilmann Sutter

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2009

ISBN: 9783531917955 , 346 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 35,96 EUR

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Interaktionistischer Konstruktivismus - Zur Systemtheorie der Sozialisation


 

"4 Die Konstitution der Subjekt-Objekt-Differenz: Das grundlegende Bezugsproblem des interaktionistischen Konstruktivismus (S. 111-112)

Um den Stellenwert des interaktionistischen Konstruktivismus für die Entwicklungs- und Sozialisationstheorie zu zeigen, müssen zunächst einmal die zwei bislang ausgearbeiteten Versionen eines interaktionistischen Konstruktivismus, der genetische Strukturalismus Piagets und die soziale Konstitutionstheorie, näher betrachtet und nach ihren Stärken und Schwächen beleuchtet werden. Beide Theorietraditionen verfahren auf der Basis von Subjekt-Objekt- Relationen, stellen also konstitutionslogisch Fremdreferenz in Rechnung. Was als „Subjekt"" und „Objekt"" bezeichnet wird, muß ontogenetisch allerdings erst ausgebildet werden. Zudem läßt sich vor dem Hintergrund der differenztheoretischen Einwände der realistische, fremdreferentielle Bezug der Subjektentwicklung auf eine bestehende Außenwelt nicht mehr umstandslos behaupten. Die bisherigen epistemologischen und theoriearchitektonischen Erörterungen führen mithin zwangsläufig in dieses empirische Problemfeld und weisen ihm einen zentralen Stellenwert zu:

Wie ist aus der differenzlogischen Ausgangslage heraus die ontogenetische Ausbildung der Subjekt-Objekt-Differenz und damit die Identität von Subjekt und Objekt möglich? So lautet aus entwicklungstheoretischer Sicht die empirische Formulierung des Grundproblems, wie sich Identität aus Differenz bildet.1 Die Bearbeitung dieses Problems liefert auch die Grundlage, auf der Einsicht in die Möglichkeit der Entstehung von Neuem zu gewinnen ist. Die Klärung dieser Frage peilt Fortschritte nach zwei Seiten hin an: Zum einen sollen, im Sinne der Epistemologie Piagets, die erkenntnistheoretischen Grundlagen einer strukturgenetischen Entwicklungs- und Sozialisationstheorie empirisch rekonstruiert werden. Zum anderen sollen empirische Anhaltspunkte für die Frage erarbeitet werden, in welcher Weise auch eine strukturgenetische Vorgehensweise differenztheoretische Annahmen einbauen muß.

Diese Frage zielt auf das Verhältnis von Konstruktivismus und Interaktionismus in der Entwicklungs- und Sozialisationstheorie. In diesem Sinne geht die Vorgehensweise der folgenden Erörterungen zwar von einer strukturgenetischen Sichtweise aus, indem sie sowohl die theoriearchitektonischen Differenzen als auch die Verbindungsmöglichkeiten innerhalb des genetischen Strukturalismus betrachtet, läuft ansonsten aber homolog zu den Überlegungen der vorigen Abschnitte. Um terminologische Mißverständnisse zu vermeiden, will ich vorab darauf verweisen, daß die Untersuchung der Subjekt-Objekt-Differenz an sich noch keine grundlegende Abgrenzung zum radikalen Konstruktivismus impliziert, der ja erklärtermaßen nicht mehr in Subjekt-Objekt-Relationen denkt.

Vielmehr steht mit dieser Untersuchung zur Debatte, ob sich mit der radikalkonstruktivistischen Verabschiedung des bewußtseinsphilosophischen Subjekts auch die Rede von den empirischen Subjekten erledigt hat. In diesem Punkt hat auch die Systemtheorie einen Aufklärungsbedarf, solange sie noch nicht über eine ausgearbeitete Theorie der Entwicklung und Sozialisation psychischer Systeme verfügt.

Es gibt deshalb keinen Grund, vorab zwischen den Alternativen System oder Subjekt zu entscheiden. Gerade die Genese der Subjekt-Objekt- Differenz in der frühen Ontogenese legt, wie wir sehen werden, eine systemtheoretische Sichtweise der Ausbildung empirischer Subjektstrukturen nahe. Was in diesem Bezugsrahmen als Subjekt bezeichnet werden kann, ist dann freilich begründungsbedürftig.

Wenn ich in der Erörterung der strukturgenetischen Untersuchungen Piagets zur Subjekt-Objekt-Differenzierung dennoch durchgehend den Begriff des Subjekts wähle, so hat dies zwei Gründe: Erstens spricht Piaget durchweg von Subjekten, so daß ich ständig zwischen den Begriffen Subjekt und System pendeln müßte, um den Unterschied zwischen der eigenen und der Beschreibungssprache Piagets zu markieren. Zweitens werden so die Probleme deutlicher, die sich ergeben, wenn man wie Piaget bereits von den Anfängen der Entwicklung an mit dem Begriff des Subjekts operiert. In diesem Sinne ist der Begriff des Subjekts zunächst in Anführungszeichen zu setzen, um dann zu verdeutlichen, ab welchem Punkt und aus welchen Gründen diese entfallen können."