Leitsymptome beim Kaninchen - Diagnostischer Leitfaden und Therapie

von: Anja Ewringmann

Enke, 2016

ISBN: 9783132193413 , 480 Seiten

3. Auflage

Format: PDF, ePUB, OL

Kopierschutz: DRM

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Preis: 75,99 EUR

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Leitsymptome beim Kaninchen - Diagnostischer Leitfaden und Therapie


 

1 Anamnese


Das Wichtigste vorweg

Kaninchen sind Fluchttiere, die Krankheitssymptome meist lange verstecken. In freier Wildbahn werden sie andernfalls schnell Opfer von Raubtieren und Beutegreifern und können zudem die Stellung in ihrer Kolonie nicht behaupten. Dem Tierarzt werden Kaninchen daher oft erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien vorgestellt. Erschwerend kommt hinzu, dass Kaninchen in vielen Fällen noch immer als klassische „Käfigtiere“ gehalten und von ihren Besitzern oft nur unzureichend beobachtet werden. Daher ist eine sorgfältige Anamneseerhebung äußerst wichtig.

1.1 Signalement


  • Rasse

  • Alter

  • Geschlecht

  • Gewicht

Die Rasse des Kaninchens ist in den meisten Fällen von untergeordneter Bedeutung, allerdings bestehen für einige Krankheiten gewisse Rassedispositionen. So sind langhaarige Kaninchen (z.B. Angora- und Fuchskaninchen, Cashmerewidder) besonders gefährdet für eine Bezoarbildung im Magen. Satinkaninchen weisen in höherem Maße Zahnprobleme auf als andere Rassen. Die Ursache hierfür scheint v.a. eine mangelhafte Qualität der Zahnsubstanz zu sein, die sich oft bereits bei jungen Tieren bemerkbar macht und letztlich in eitrigen Entzündungen und Kieferabszessen mündet. Inwieweit hier möglicherweise ein genetischer Defekt (ähnlich wie bei Satinmeerschweinchen) vorliegt, ist bisher nicht bekannt. Auch kurzköpfige Kaninchenrassen scheinen häufiger unter Zahnfehlstellungen zu leiden. Widder weisen, aufgrund ihrer hängenden Ohren, eine Prädisposition für abszedierende Entzündungen der Gehörgänge auf.

Bestimmte Erkrankungen weisen Altersdispositionen auf. So kommen z. B. klinisch manifeste Kokzidiosen v. a. bei Jungtieren vor. Dagegen werden Tumorerkrankungen überwiegend bei älteren Tieren beobachtet. So sind Neoplasien der Gebärmutter oder auch Thymome in der Regel erst ab einem Alter von 5–6 Jahren zu erwarten.

Auch bezüglich des Geschlechts kommen gewisse Prädispositionen vor. So treten beispielsweise Lungentumoren vorwiegend bei Häsinnen auf, da es sich meist um Metastasen primärer Mamma- oder Uteruskarzinome handelt. Besonders bei neu erworbenen Jungtieren sollte das Geschlecht immer vom Tierarzt kontrolliert werden (▶ Abb. 1.1, ▶ Abb. 1.2). Vorangegangene Geschlechtsbestimmungen sind oft fehlerhaft, sodass für den Patientenbesitzer unangenehme Konsequenzen entstehen können (ungewollter Nachwuchs, Rangordnungskämpfe zwischen Rammlern).

Abb. 1.1 Rammler, runde Geschlechtsöffnung.

Abb. 1.2 Häsin, schlitzförmige Geschlechtsöffnung.

Das Gewicht sollte vor jeder Untersuchung bestimmt werden. Die in jeder Praxis befindlichen Hundewaagen sind für Kaninchen nur wenig geeignet. Es sind Geräte vorzuziehen, die in 10-Gramm-Schritten messen können (▶ Abb. 1.3a); für Jungtiere sind noch feinere Messungen in 2-Gramm-Schritten sinnvoll (▶ Abb. 1.3b). Die genaue Gewichtsbestimmung ist einerseits erforderlich, um Medikamente exakt dosieren zu können, andererseits geben Gewichtsverluste und -zunahmen wichtige Informationen über den Verlauf einer Erkrankung.

Abb. 1.3 Geeignete Waagen für kleine Heimtiere.

Abb. 1.3a Waage zur Messung in 10-g-Schritten.

Abb. 1.3b Waage zur Messung in 2-g-Schritten.

1.2 Allgemeine Anamnese


  • Herkunft

  • Haltung

  • Fütterung

  • Impfstatus

  • frühere Erkrankungen

Die Herkunft des Kaninchens sollte besonders bei neu erworbenen Tieren erfragt werden. Tiere aus Großzuchten leiden wesentlich häufiger unter Parasitosen als Kaninchen aus privater Haltung.

Die Haltungsbedingungen stellen einen wesentlichen Punkt in der Anamneseerhebung dar und sollten bei Bedarf sehr genau hinterfragt werden. Anzustreben ist stets eine artgerechte Kaninchenhaltung, durch die vielen Erkrankungen und auch Verhaltungsstörungen vorgebeugt werden kann. Eine artgerechte Haltung setzt voraus, dass Kaninchen, die äußerst gesellige Tiere sind, nicht alleine gehalten werden. Zudem muss den bewegungsaktiven Tieren ausreichend Platz zur Verfügung gestellt werden. Hierbei wird ein Raumangebot von mindestens 2–3 m2 pro Tier gefordert, das durch handelsübliche Käfige in keinem Fall gewährleistet werden kann. Gefragt sind daher selbstgebaute Innen- und Außengehege oder eigens für die Tiere hergerichtete Kaninchenzimmer, die mit vielfältigen Beschäftigungs- und Versteckmöglichkeiten ausgestattet sind (▶ Abb. 1.4). Anregungen und Informationen hierzu finden sich mittlerweile auf verschiedensten Internetseiten (z.B. www.sweetrabbits.de, www.debrain.de, www.kaninchenhilfe.de).

Abb. 1.4 Artgerecht eingerichtetes Kaninchenzimmer.

Folgende Punkte sind bei der Anamneseerhebung speziell von Interesse:

  • Innen- oder Außenhaltung: Infektionsmöglichkeiten durch Wildkaninchen oder Wildnager, Angriffe durch Raubtiere

  • Einzelhaltung oder Gruppenhaltung/Vergesellschaftung mit anderer Tierart: In Gruppenhaltung kann es, ausgelöst durch Rangordnungskämpfe (v.a. im Rahmen von Vergesellschaftungen), zu Bissverletzungen kommen. Auch bei der Haltung von Kaninchen mit Meerschweinchen sind, aufgrund völlig unterschiedlicher Kommunikationsarten und daraus resultierender Missverständnisse, Beißereien keine Seltenheit. Bei Kaninchen in Einzelhaltung werden dagegen, bedingt durch unzureichende Beschäftigung, oftmals Adipositas mit nachfolgenden Pododermatitiden sowie auch Verhaltensstörungen beobachtet. Zudem kommt es oft vor, dass einzeln gehaltene Tiere, vermutlich wegen der fehlenden Futterkonkurrenz, sehr selektiv fressen und dadurch v. a. Zahnerkrankungen und Verdauungsstörungen begünstigt werden.

  • Käfiggröße/Auslaufmöglichkeiten: Die Haltung in Käfigen mit unzureichendem Auslauf begünstigt nicht nur Adipositas und daraus entstehende Sekundärerkrankungen (z. B. Leberverfettung, Pododermatitis). Durch den Platz- und Beschäftigungsmangel werden auch Aggressionen zwischen Partnertieren gefördert, die nicht selten in Beißereien und dauerhaften Unverträglichkeiten münden.

  • Bei Käfighaltung muss bedacht werden, dass Kaninchen ihre Aktivitätsphasen vorwiegend in den Dämmerungsstunden und in der Nacht haben. Die leider noch weit verbreitete Vorgehensweise, den Tieren am Tage einige Stunden Auslauf zu gewähren, führt daher nicht zu einer Befriedigung des Bewegungsdrangs.

  • Einstreumaterial: Es eignen sich handelsübliche Holzspäne, Holzgranulat, Strohpresspellets, Hanfstreu, Stroh und Heu. Manche Kaninchen entwickeln Allergien gegen die übliche Kleintierstreu.

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