Die Marketenderin von Köln (Historischer Roman) - Das malerische und romantische Westfalen

von: Levin Schücking

e-artnow, 2016

ISBN: 9788026849643 , 400 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Die Marketenderin von Köln (Historischer Roman) - Das malerische und romantische Westfalen


 

Zweites Kapitel
Was der Student und das junge Mädchen in dem alten Hause entdeckten


Es schlug acht Uhr in dem verwitterten alten Domturme, es schlug acht Uhr auf Groß- und auf Klein-St.-Martin, und acht Schläge hallten in verschiedenen Pausen, bald dumpf, bald hell, bald nahe, bald fern, von allen den zahllosen Türmen, die zwischen St.-Kunibert und St.-Severin lagen. Es war ein seltsames Konzert, das durch den dichten Nebel schwirrend bis in die kleinsten Sackgassen, Durchgänge und Höfe drang. Acht Uhr! Es wäre genug gewesen, wenn es die große Domglocke mit ihrem mächtig dahinrollenden Klange gesagt hätte; denn jedermann, der hören wollte, konnte nicht den geringsten Zweifel darüber hegen, daß die großen Glockenhämmer in dem Turme der Kathedrale achtmal aushoben und achtmal niederfielen. Aber die andern wollten es auch sagen. St.-Maria im Kapitol, St.-Maria zu den Staffeln, St.-Maria in der Kupfer – und die in der Schnurgasse wollten es auch verkünden; und was St.-Maria behauptete, damit waren St.-Kunibert, St.-Andreas, St.-Gereon, St.-Ursula und St.-Pantaleon so sehr einverstanden, daß sie es ausdrücklich laut wiederholten; und dann kamen die kleinem Heiligen: St.-Alban, St.-Mauritius und St.-Columba; sie machten sich ein wahres Vergnügen daraus, ihre vollständige Übereinstimmung mit den großen an den Tag zu legen und ihr Stimmrecht zu wahren, und so verkündeten sie alle, daß nun abermals eine Stunde ins Meer der Ewigkeit versunken.

»Bitte, gehen Sie voraus, Herr Bender,« sagte das junge Mädchen zu ihrem Begleiter, als sie den Laden des Professors verlassen hatten; »leuchten Sie mir.«

Der Student schritt voraus und ließ das Licht seiner Laterne auf den Boden der Straße fallen. Jungfer Traud faßte herzhaft ihren Mantel und ihr Sergeröcklein hinter sich zusammen, und auf ihre festen Schnürstiefelchen vertrauend, ergab sie sich, dem raschen Schritte Benders folgend, in das Unvermeidliche.

Ihr Weg mündete in eine Straße, wo der Schmutz noch unergründlicher war. Die beiden jungen Leute aber waren zu voll von ihrem Vorhaben, um sich viel daran zu kehren. Sie gingen der Hochpforte zu, über den Weltmarkt, dann links ab und eine Weile neben der düstern, niedern Georgskirche her, deren gewaltiger Turm noch massenhafter und breiter als bei Tage jetzt durch Nacht und Nebel dräute. Während in den Straßen, durch welche sie gekommen, hier und dort aus den Läden und aus den offenen Türen der Weinhäuser heller Lichtschein auf den Weg gefallen war, lag die ganze Gegend, in welche sie jetzt gelangten, durchaus in Dunkel und Finsternis. Doch glitt der enge Lichtkreis, den Huberts Laterne auf den Boden warf, rasch dahin, und innerhalb dieser Lichtsphäre bewegten sich ebenso rasch zwei männliche, mit Klappenstiefeln bewaffnete Beine und der untere Teil einer weiblichen Gestalt – denn von den Oberkörpern waren nur höchst unsichere zerflossene Umrisse zu unterscheiden. Entschlossen schritten sie vorwärts. Als sie die Kirche hinter sich hatten, gelangten sie auf einen kleinen viereckigen Platz, der allerdings vor dem unergründlichen Schmutz der Straßen den Vorteil darbot, daß man hier festen Boden unter den Füßen fühlte. Dafür aber war er durch Haufen von Kehricht und Schutt, die hier mit oder ohne obrigkeitliche Erlaubnis abgelagert waren, unwegsam gemacht, und die liebe Jugend, die, aus dem Zwinger der Bildungsanstalt entlassen, täglich hier ihre kindlichen Spiele aufzuführen Pflegte, hatte überall tiefe Löcher, wahre Schachtbaue angelegt, so daß Hubert Mühe hatte, in Schlangenlinien seinen Weg durch dieses schwierige Terrain zu finden. Endlich stand man am Ziele. Es war ein kleiner einstöckiger Vorbau, mit einem großen Einfahrtstore, über dem ein vorspringendes Schutzdach die Figur irgendeines nicht recht erkennbaren Heiligen schirmte. Traudchen zog einen Schlüssel hervor, um eine kleinere in das Tor eingeschnittene Einlaßtür zu öffnen.

»Wenn jemand sähe, daß ich Sie mit hereinnähme, was würden die Leute denken!« sagte sie dabei ängstlich flüsternd; »verdecken Sie ja die Laterne,«

»Dann, Traudchen, heirate ich Sie,« gab Hubert lachend zur Antwort, »und was ist dann dabei?«

»Oh, ich danke schön,« versetzte das junge Mädchen, »da wär' die Medizin schlimmer als die Krankheit!«

Sie standen jetzt unter einem gewölbten Torbogen; links lag der Eingang zur Wohnung Traudchens und des Ohms Gymnich, vor ihnen aber ein Hof, dessen hintere Seite ein hohes, in der Dunkelheit unbeschreiblich düster aussehendes Gebäude bildete; die linke Seite dieses Hofes schloß ein auf Holzständern ruhendes offenes Bauwerk, der Holzschuppen, von dem Traudchen geredet hatte, ab, von dem Vorbau bis an das Hauptgebäude reichend und beide verbindend. Rechts schloß eine hohe Mauer den Hof.

Traudchen hieß den Studenten unter dem Durchgang des Vorbaues warten und verschwand dann im Innern ihrer Wohnung. Nach einer Pause kehrte sie zurück. Sie fand ihren Begleiter jetzt auf der Mitte des Hofes stehend und die Laterne noch immer unter dem Mantel verborgen haltend, aber angestrengten Blickes an dem allen Herrenhause hinaufspähend.

»Von Rauch sehe ich nichts,« sagte er leise, als er Traudchens Schritte hinter sich hörte, »ich kann heute nicht einmal die Essen sehen, so dunkel ist es; aber blicken Sie einmal auf das dritte Fenster von links in der obern Reihe – das, welches sich gerade über dem Erker befindet – schimmert da nicht in der Mitte etwas wie ein ganz schmaler Lichtstreifen hindurch?«

»In der Tat,« versetzte Traudchen, »es muß da oben Licht sein.«

»Was haben Sie da, Jungfer Traud?« fragte Hubert, auf einen Gegenstand deutend, den das junge Mädchen in der Hand trug.

»Ein paar alte Filzschuhe vom Ohm,« sagte sie. »Ziehen Sie das über die Stiefel an, damit Sie auf den Treppen kein Geräusch machen.«

»Jungfer Traud denkt an alles!« versetzte Hubert, indem er die Filzschuhe nahm, sie auf den Boden setzte und in die weiten Fußgehäuse des Ohms Gymnich mit Leichtigkeit seine Stiefel schob.

Das junge Mädchen, das ihren Mantel in ihrer Wohnung zurückgelassen hatte, bemächtigte sich jetzt der Laterne und schritt vorauf. Sie wandte sich zur rechten Seite des Hofes. Die Mauer, welche hier abschloß, stieß nicht unmittelbar an das Herrenhaus, in dessen Inneres die beiden jungen Leute eine Entdeckungsfahrt unternehmen wollten. Sie lief etwa vier oder fünf Fuß von der Seitenwand des Hauses abstehend mit dieser parallel fort, einen schmalen Durchgang bildend, der auf einen hintern Hofraum führte – im tiefsten Hintergrunde schienen da Stallungen oder ähnliche Nebengebäude angebracht, und in der Mitte des Raumes streckte ein uralter hoher Birnbaum seine Äste in den feuchten Nachthimmel auf.

Traudchen, auf diesem Hofplatze angekommen, führte ihren Begleiter an der hintern Front des alten Hauses entlang. Hubert spähte dabei zu den Fenstern empor, ohne hier eine Spur von Lichtschimmer zu entdecken; sein Auge traf nur auf dunkle, dichtverschlossene Läden. Am Ende der hintern Front sprang ein achteckiger Turm in den Hofraum vor; als sie denselben erreicht hatten, wurde eine niedere Tür, die hineinführte, sichtbar.

Traudchen legte ihre Hand auf den Arm ihres Begleiters.

»Nehmen Sie sich hier in acht,« sagte sie, »es führen drei Stufen hinab, an die Türschwelle.« Zugleich hielt sie die Laterne dicht an den Boden, so daß die Stufen sichtbar wurden.

»Also hier können wir hinein?« fragte Bender, die Stufen hinabschreitend. »In der Tat. die Tür ist nur angelehnt!«

Er schob die Tür behutsam auf; es führten unter ihr noch einige Stufen in einen dunkeln gewölbten Raum, der, als Traudchen mit ihrer Laterne unten angekommen war und ihn beleuchtete, sich als eine Art von Keller oder Rumpelkammer erwies, worin alte Fässer, Kisten und Körbe, Kartoffel- und Rübenvorräte und eine Menge von Gartengerätschaften untergebracht waren, welche letztere in einer Ecke lehnten.

»Der Ohm braucht dieses Gelaß, wie Sie sehen,« sagte Traudchen, »und er verschließt es gewöhnlich nicht; jetzt müssen wir in den Winkel dort links, und das wird Mühe kosten.«

Es kostete allerdings einige Mühe, namentlich über einen großen Haufen von Kartoffeln wegzukommen, die unter den Füßen nicht standhielten, sondern tückisch fortkollerten, so daß Jungfer Traud einmal in die Knie sank und ein andermal, um nicht zu fallen, ihre Hand auf Huberts Schulter legte. Der Student schlang rasch und wie freundlich besorgt, sie im Gleichgewicht zu erhalten, seinen Arm um ihre Taille und drückte sie sanft an sich, indem er zugleich auf etwas verdächtige Weise sein Gesicht ihrer Wange nahe brachte.

»Monsieur Bender!« rief Traudchen, sich ihm entziehend, aus, »wenn Sie unartig werden, laufe ich mit der Laterne davon und lasse Sie hier im Dunkel zurück. Sie mögen dann sehen, wie Sie wieder herauskommen!«

»Unartig, Traudchen? Ich wollte Sie nur auf unserm gefährlichen Wege vor dem Fallen bewahren!«

»Ich bewahre mich schon selber. Lassen Sie sich das gesagt sein, Monsieur Bender.«

»Gut. Dann lassen Sie uns jetzt mit biederm Handschläge und einem herzhaften Kuß Frieden schließen.«

Sie machte eine sehr entschlossen abwehrende Bewegung mit der Hand.

»Glauben Sie, ich wäre mit Ihnen gegangen,« sagte sie schmollend, »wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich jeden Augenblick mich davonmachen und Sie in einer verzweifelten Lage in dem alten Bau, wo Sie nicht ein noch aus wissen, zurücklassen kann?«

»Ich dachte, Sie wären mitgegangen, weil Sie auf mein überaus redliches und lammfrommes...