Der Vampirprinz - Royal House of Shadows

Der Vampirprinz - Royal House of Shadows

von: Gena Showalter

MIRA Taschenbuch, 2012

ISBN: 9783862785315 , 304 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Der Vampirprinz - Royal House of Shadows


 

1. KAPITEL

Ich brauche Dich, Jane.

Mit einem Stirnrunzeln legte Jane Parker die Nachricht auf die Küchenanrichte. Sie betrachtete das abgegriffene ledergebundene Buch, das in einer schmucklosen Schachtel auf einem Meer aus schwarzem Samt lag. Vor einigen Minuten war sie von ihrem Fünf-Meilen-Lauf zurückgekehrt. Das Paket hatte sie danach auf der Veranda gefunden.

Es stand kein Absender darauf. Keine Erklärung, warum das Ding für sie hinterlassen worden war, und kein Hinweis darauf, wer „Ich“ sein sollte. Oder warum Jane gebraucht wurde. Warum sollte irgendjemand ausgerechnet sie brauchen? Sie war siebenundzwanzig Jahre alt und hatte gerade erst wieder gelernt, ihre Beine zu benutzen. Sie hatte keine Familie, keine Freunde, keinen Job. Nicht mehr. Ihre kleine Hütte in Kleinste Stadt Aller Zeiten, Oklahoma, lag abgeschieden, eine winzige Erhebung in der umliegenden Weite aus grünen Bäumen und endlos blauem Himmel.

Sie sollte das Ding einfach wegwerfen. Aber natürlich war ihre Neugierde wieder einmal größer als ihre Vorsicht. Wie immer.

Vorsichtig nahm sie das Buch hoch. Doch sobald sie es berührte, sah sie ihre Hände in Blut getaucht. Sie keuchte erschrocken auf und ließ das schwere Buch auf die Anrichte fallen. Aber als sie dann ihre Hände ins Licht hielt, waren sie sauber, die Fingernägel ordentlich geschnitten und in einem hübschen Rosa lackiert.

Deine Fantasie geht mit dir durch, und in deinem Blut ist vom Laufen noch zu viel Sauerstoff. Das ist alles.

Kalte, harte Logik – ihr bester und einziger Freund.

Der Einband des Buches knarrte, als sie es in der Mitte aufschlug, wo ein zerfetztes rosa Band lag. Der Duft von Staub und Moschus drang zu ihr hinauf und dazwischen noch etwas anderes. Etwas … das ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ und das ihr vertraut war. Sie legte die Stirn in noch tiefere Falten.

Jane rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, als ein scharfer Schmerz durch ihre Beine fuhr, und atmete tief ein. Oh ja. Ihr lief wirklich das Wasser im Mund zusammen, als sie einen Hauch von Sandelholz wahrnahm. Sie bekam eine Gänsehaut, verspürte ein angenehmes Prickeln, ihr Blut erhitzte sich. Wie peinlich. Und, okay, auch interessant. Seit dem Autounfall, der ihr Leben vor elf Monaten zerstört hatte, kannte sie Erregung nur noch in der Nacht, in ihren Träumen. Am helllichten Tag so zu reagieren, und das nur wegen eines Buches, war … merkwürdig.

Sie gestattete es sich nicht, darüber nachzudenken. Sie würde ohnehin keine zufriedenstellende Antwort darauf finden. Stattdessen konzentrierte Jane sich auf die Seiten, die vor ihr lagen. Sie waren vergilbt und empfindlich, brüchig. Und mit Blut besprenkelt? Kleine scharlachrote Tropfen befleckten die Ränder.

Mit den Fingerspitzen fuhr sie behutsam über den handgeschriebenen Text, und ihr Blick blieb dabei an einzelnen Worten hängen. Ketten. Vampir. Gehören. Seele. Mehr Gänsehaut, mehr Kribbeln.

Sie errötete ein wenig.

Jane kniff die Augen zusammen. Wenigstens ergab der Duft nach Sandelholz jetzt einen Sinn. In den letzten Monaten hatte sie immer wieder von einem Vampir geträumt, der in Ketten lag, und beim Aufwachen hatte sein Duft noch an ihrer Haut geklebt. Und ja, er hatte sie erregt. Davon erzählt hatte sie niemandem. Wer hätte ihr also dieses … Tagebuch schicken sollen?

Sie hatte jahrelang nicht nur in der Quantenphysik gearbeitet, sondern auch im Bereich der Grenzwissenschaften. Manchmal hatte sie Kreaturen erforscht, die aus „Mythen“ und „Legenden“ stammten. Sie hatte kontrollierte Befragungen mit tatsächlichen Bluttrinkern durchgeführt und sogar deren Leichen seziert, wenn man sie ihr ins Labor gebracht hatte.

Sie wusste also, dass es Vampire, Formwandler und andere Kreaturen der Nacht wirklich gab, auch wenn sie ihre Mitarbeiter aus der Quantenphysik nicht in diese Wahrheit eingeweiht hatte. Vielleicht hatte es jemand herausgefunden und ihr einfach einen Streich gespielt. Vielleicht gab es keine Verbindung zu ihren Träumen. Allerdings schien bereits eine Ewigkeit vergangen zu sein, seit sie mit diesen Mitarbeitern zuletzt Kontakt gehabt hatte. Und außerdem, wer würde so etwas tun? Keiner von ihnen hatte sich genug für sie interessiert, um irgendetwas zu tun.

Lass die Sache ruhen, Parker. Ehe es zu spät ist.

Dieser Befehl ihres Selbsterhaltungstriebs ergab keinerlei Sinn. Zu spät wofür?

Ihre Instinkte antworteten nicht. Na gut, die Wissenschaftlerin in ihr musste jedenfalls wissen, was vor sich ging.

Jane räusperte sich. „Ich lese ein paar Absätze, mehr nicht“, sagte sie laut. Sie war allein, seit man sie vor einigen Monaten aus dem Krankenhaus entlassen hatte, und manchmal war der Klang ihrer Stimme besser als die Stille. „Ketten lagen um den Hals des Vampirs, um seine Handgelenke und seine Fußknöchel. Man hatte ihm das Hemd und die Hosen genommen, ein Lendenschurz war seine einzige Kleidung, und nichts schützte seine bereits misshandelte Haut. Die Glieder der Ketten schnitten ihm bis auf die Knochen, ehe er heilte – und sie ihn wieder schnitten. Es war ihm gleich. Was war Schmerz, wenn der freie Wille, wenn die eigene Seele einem nicht mehr gehörte?“

Eine Welle des Schwindels brach über sie herein, und sie presste die Lippen zusammen. Ein Augenblick verging, dann ein weiterer, ihr Herz schlug schneller und hämmerte wild gegen ihre Rippen.

Brutale Bilder tauchten vor ihr auf. Dieser Mann – dieser Vampir – gefesselt, hilflos. Hungrig. Seine sinnlichen Lippen waren straff gespannt über scharfen weißen Zähnen. Er war überraschend gebräunt und verlockend muskulös, mit dunklem unordentlichem Haar und einem Gesicht, das sie mit seiner überirdischen Schönheit noch jahrelang in ihren nächtlichen Fantasien heimsuchen würde.

Was sie gerade gelesen hatte, hatte sie schon gesehen. Viele Male. Aber wie? Das wusste sie nicht. Sie wusste nur, dass sie in ihren Träumen Mitleid für diesen Mann empfunden hatte, sogar wütend gewesen war. Und gleichzeitig war da immer eine Andeutung von Erregung im Spiel gewesen. Jetzt ergriff diese Erregung Besitz von ihr.

Je mehr sie atmete, desto mehr hing der Duft nach Sandelholz an ihr und desto mehr veränderte sich ihre Wirklichkeit, als wäre ihr Zuhause nicht mehr als ein Trugbild. Als wäre der Käfig des Vampirs echt. Als bräuchte sie nur aufzustehen und loszugehen – nein, zu rennen –, um bei ihm zu sein, jetzt und auf ewig.

Okay. Genug davon. Sie klappte das Buch zu, auch wenn noch viele Fragen offengeblieben waren, und ging mit eiligen Schritten davon.

Eine so starke Reaktion sprach, besonders vor dem Hintergrund ihrer Träume, gegen einen Streich. Nicht dass sie daran je wirklich geglaubt hätte. Doch alle anderen Möglichkeiten bereiteten ihr so viele Sorgen, dass sie sich weigerte, sie auch nur in Betracht zu ziehen.

Jane duschte, zog sich Jeans und T-Shirt an und aß ein nahrhaftes Frühstück. Gegen ihren Willen wanderte ihr Blick immer wieder zu dem Ledereinband. Sie fragte sich, ob es den versklavten Vampir wirklich gab und, zugegeben, auch, ob sie ihm helfen konnte. Ein paarmal hatte sie das Buch schon aufgeschlagen, ehe ihr überhaupt bewusst wurde, was sie tat. Und jedes Mal war sie davongeeilt, ehe sie in den Bann der Geschichte geraten konnte.

Vielleicht hatte man ihr das dumme Ding genau deswegen gegeben. Um sie zu ködern, damit sie sich wieder an die Arbeit machte. Sie musste aber nicht arbeiten. Geld war für sie kein Problem. Darüber hinaus liebte sie die Wissenschaft einfach nicht mehr. Warum sollte sie? Es gab nie eine Antwort, nur immer noch mehr Fragen.

Wenn ein Puzzleteil an seinen Platz geglitten war, brauchte man zwanzig weitere. Und am Ende konnte nichts, was man tat, nichts, was man gelöst oder entwirrt hatte, die Menschen retten, die man liebte. Es gab immer irgendeinen dämlichen Kerl, der sich in der Bar ein paar Bier genehmigte, in seinen Wagen stieg und in deinen raste. Oder sonst etwas Tragisches.

Das Leben war willkürlich.

Jane sehnte sich nach Eintönigkeit.

Aber als Mitternacht heranrückte, kreisten ihre Gedanken immer noch um den Vampir. Sie gab auf, kehrte in die Küche zurück, schnappte sich das Buch und stakste zurück ins Bett. Nur ein paar Absätze, verdammt, und dann würde sie sich wieder nach Eintönigkeit sehnen.

Janes viel zu großes T-Shirt rutschte ihr bis zur Taille hoch, als sie das Buch auf ihren angezogenen Beinen ablegte, die Stelle aufschlug, wo das Lesezeichen immer noch steckte, und ihre Aufmerksamkeit auf die Seiten richtete. Einige Sekunden lang schienen die Worte in einer Sprache geschrieben zu sein, die sie nicht verstand. Und einen Wimpernschlag später waren sie wieder Englisch.

O-kay. Sehr merkwürdig und sicherlich – hoffentlich – bloß durch den Schlafmangel hervorgerufen.

Sie fand ihre Stelle. „Man nannte ihn Nicolai.“ Nicolai. Ein starker, sinnlicher Name. Die Silben klangen in ihrem Kopf wie eine Liebkosung. Ihre Brüste zogen sich schmerzlich zusammen, sehnten sich nach einem heißen feuchten Kuss. Jane errötete am ganzen Körper. Sie versuchte, sich zu erinnern. Einen Vampir namens Nicolai hatte sie nie befragt, und der Vampir in ihren Träumen hatte nie mit ihr gesprochen. Er hatte sie überhaupt nicht wahrgenommen. „Er wusste nichts von seiner Vergangenheit, wusste nicht, ob er eine Zukunft hatte. Er kannte nur seine Gegenwart. Seine verhasste und qualvolle Gegenwart. Er war ein Sklave, eingesperrt wie ein Tier.“

Wie schon beim ersten Mal wurde ihr plötzlich schwindelig. Dieses Mal las Jane weiter, auch dann noch, als...