Jesus und Tiberius - Zwei Söhne Gottes

von: Carsten Peter Thiede

Luchterhand Literaturverlag, 2009

ISBN: 9783641011260 , 414 Seiten

Format: ePUB, OL

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Preis: 7,99 EUR

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Jesus und Tiberius - Zwei Söhne Gottes


 

Der Stein des Pilatus (S. 237-238)

Pontius Pilatus ist der römische Präfekt, von dem wir mehr wissen als von jedem anderen. Das liegt nicht nur an den vier Evangelien, die ihm in der Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth viel Platz einräumen. Philo von Alexandria, Flavius Josephus und Tacitus erwähnen ihn, zum Teil ausführlich und mit negativen Urteilen, die das Neue Testament bestätigen. In der Zeit nach diesen Autoren des 1. und (Tacitus) frühen 2. Jahrhunderts wird er bald von Geschichten umgeben, die mit den alten Quellen nicht mehr viel zu tun haben.

So habe Pilatus einen Bericht über die Hinrichtung Jesu an Kaiser Tiberius geschickt – das ist an sich nicht unwahrscheinlich, denn es ging aus römischer Sicht um einen Hochverratsprozeß, und solche Prozesse hatte Tiberius, mit Sejans tatkräftiger Hilfe, reichsweit gefördert und aufmerksam verfolgt.1 Justin, der frühchristliche Autor aus Sichem (dem heutigen Nablus), der um 165 n. Chr. unter Kaiser Mark Aurel in Rom hingerichtet wurde, wollte diese Akten noch gekannt haben und wies in seiner ersten Apologie, ca. 155 n. Chr., gerade die Gegner des Christentums darauf hin:

Hier könne sich jeder davon überzeugen, daß die Evangelien wahrheitsgemäß berichten.2 Gut vierzig Jahre später bestätigte ein weiterer frühchristlicher Autor, der aus Karthago stammende Tertullian, die Auskunft Justins.3 Tertullian zeigte sich sogar überzeugt, daß Pilatus nicht lange nach der Kreuzigung Christ wurde.4 Die äthiopische Kirche, eine der ältesten der Christenheit, machte ihn – man möchte sagen, folgerichtig – zum Heiligen. Sein Tag im äthiopischen Heiligenkalender ist der 25. Juni, und wer sich an diesem Tag in Jerusalem aufhält, kann noch heute, nur wenige Schritte von der Hinrichtungsstätte Jesu entfernt, das Schauspiel der Verehrung seines Henkers als eines Heiligen miterleben.

Was auch immer Pilatus an Tiberius geschrieben haben mag, es ist wie alle Berichte aller Präfekten und Prokuratoren verlorengegangen. Die heute noch zu lesenden sogenannten Pilatusakten sind frühestens im 4. nachchristlichen Jahrhundert entstanden. 5 Auch ein Brief des Pilatus an den späteren Kaiser Claudius hat sich als Fälschung erwiesen, und so gilt nach heutigem Kenntnisstand, daß kein von Pilatus selbst autorisiertes Schriftstück erhalten geblieben ist. Ein Briefwechsel mit Sejan wurde auffälligerweise nie behauptet oder gefälscht, so scheinen auch die alten Autoren, die von einem direkten Kontakt des Pilatus mit Tiberius wußten oder ihn jedenfalls vermuteten, den Prätorianerpräfekten nicht für die maßgebliche Kraft hinter Pilatus gehalten zu haben.

Um so wichtiger war für die Altertumswissenschaftler – und nicht zuletzt für all jene Hyperskeptiker, die historischen Berichten über eine Person der Antike erst dann trauen wollen, wenn es auch archäologische Belege über sie gibt – eine Entdeckung, die 1961 in Caesarea gelang. Dieses Caesarea hatte Herodes der Große als prachtvolle Hafenstadt ausgebaut und nicht zuletzt mit einem Tempel des Gottes Augustus versehen. 7 Seit 6 n. Chr. war es Verwaltungssitz der judäischen Provinz. Hier trat der erste Präfekt, Coponius, von 6 bis 9 n. Chr. sein Amt an, und hier residierten seine Nachfolger Ambibuchus (9–12 n. Chr.), Annius Rufus (12–15) und der bereits von Tiberius berufene Valerius Gratus (15–26), bis schließlich 26 n. Chr. der von Sejan und Tiberius protegierte Pontius Pilatus an der Reihe war.