Hedwig Courths-Mahler - Folge 099 - Ich darf dich nicht lieben

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732509485 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 099 - Ich darf dich nicht lieben


 

Gilda von Verden und Graf Harald Hochberg sahen einander zum ersten Mal an einem Augusttag. Sie begegneten sich in einer stillen Straße des Berliner Westens.

Als Harald die schlanke Mädchengestalt auf sich zukommen sah, weiteten sich seine Augen. Mit sieggewohntem Blick zwang er sie, ihn anzusehen und hielt ihren Blick fest, so dass dunkle Röte in ihr Gesicht stieg.

Es war an einem Straßenübergang, wo sie zusammentrafen. In dem Moment, da sie sich ganz nah waren, fuhr plötzlich ein Auto um die Ecke, dicht hinter Gilda vorbei. Sie musste schnell ausweichen, glitt auf einer Obstschale aus und wäre unfehlbar gestürzt, wenn Graf Hochberg sie nicht in seinen Armen aufgefangen hätte.

„Da kommt das Glück!“, rief er übermütig und hielt den schlanken Mädchenkörper fest in seinen Armen.

Gilda wollte sich losmachen, stieß aber zugleich einen Schmerzensruf aus. Ihr Gesicht war mit einem Mal sehr bleich.

Graf Hochberg war erschrocken. „Haben Sie sich wehgetan, gnädiges Fräulein?“ Seine Stimme hatte den scherzhaften Ton verloren und klang besorgt.

Sie musste sich auf seinen Arm stützen, so peinlich ihr das auch war. „Mein Fuß – ich glaube, ich habe mir den Knöchel verstaucht. Bitte, mein Herr, wollen Sie mir einen Wagen herbeirufen?“, stammelte sie.

Das war freilich nicht so einfach, denn er konnte sie unmöglich in diesem hilflosen Zustand allein lassen. Ein Wagen war aber nicht zu sehen und auch kein Mensch, der einen herbeiholen konnte. Suchend sah er sich um, und da fiel sein Blick auf einen Blumenladen hinter ihnen.

Er nannte flüchtig seinen Namen, den sie aber nicht verstand, dann sagte er: „Sie gestatten, dass ich Sie einstweilen in diesen Laden führe, bis ein Wagen für Sie herbeigeschafft ist.“

Sie nickte und wollte, auf seinen Arm gestützt, zu dem Laden gehen, aber ihr Knöchel schmerzte so stark, dass sie zusammenzuckte, obwohl sie die Zähne tapfer zusammenbiss. Er sah, wie sie litt. Da beugte er sich kurz entschlossen zu ihr nieder.

„Sie gestatten? Not kennt kein Gebot.“ Mit diesen Worten hob er sie empor und trug sie zu dem Laden hinüber.

Die Verkäuferin war intelligent genug, sofort zu begreifen, dass es sich hier um einen kleinen Unfall handelte. Sie brachte einen Korbsessel herbei und erklärte, dass sie nach einem Wagen telefonieren könne.

„Bitte, wenn es keine Schwierigkeiten macht, rufen Sie gleich zwei Autos herbei“, sagte er.

„Das wird sofort geschehen.“ Graf Hochberg neigte sich zu Gilda herab. „Jetzt gestatten Sie mir, nach Ihrem Fuß zu sehen. Sicherlich ist es gut, wenn Sie sofort eine kühle Kompresse auflegen. Die Verkäuferin bringt uns wohl etwas Leinwand. Sonst muss auch ein Taschentuch genügen.“

Ohne Umstände kniete er nieder und löste ihr sorgsam den feinen Lederschuh von dem verletzten Fuß.

Gilda hatte so große Schmerzen, dass sie es dankbar geschehen ließ.

Den Strumpf streifte sie selbst ab, dann nahm Graf Hochberg den kleinen entblößten Fuß in seine Hand, betrachtete prüfend den bereits angeschwollenen Knöchel. Die Verkäuferin brachte nun Wasser und Tuch herbei.

Gilda zog ihren Fuß, den der Graf betrachtete, zurück. „Ich will Sie nicht weiter bemühen, mein Herr. Das Fräulein kann mir die Kompressen auflegen.“

Die Verkäuferin war sogleich bereit, aber er nahm ihr das angefeuchtete Tuch aus der Hand. „Lassen Sie mich mein Samariterwerk vollenden, gnädiges Fräulein“, sagte er. Mit zarter Sorgfalt legte er das nasse Tuch auf die Geschwulst. Kurz darauf fuhren schon die beiden Autos vor. Gilda wollte, da der Umschlag die Schmerzen milderte, selbst gehen. Aber Hochberg duldete das nicht. Er nahm sie abermals, trotz ihres Protestes, auf den Arm und trug sie zum Auto.

Behutsam setzte er sie in den Fond und stützte ihr den Fuß. Die Verkäuferin brachte ihr Schuh und Strumpf. Er nahm die Gegenstände, sah wohlgefällig auf den kleinen Schuh und legte ihn zögernd auf das Wagenpolster. „Sitzen Sie bequem, gnädiges Fräulein?“, fragte er.

„Ich danke sehr, mein Herr, auch für alle Ihre Bemühungen“, antwortete Gilda, in deren Antlitz jetzt wieder rosige Farbe gestiegen war.

„Haben Sie noch große Schmerzen?“

„Nein, es geht“, sagte sie tapfer. Er sah ihr tief in die Augen. Ruhig und gütig war sein Blick, warm und schmeichelnd, dass Gildas junges Herz erzitterte. Noch nie in ihrem Leben war sie einem Mann begegnet, der einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte. Sein Blick lähmte ihre Energie und löste doch zugleich ein wohliges Gefühl des Geborgenseins in ihr aus.

„Darf ich Sie begleiten? Sie haben vielleicht daheim nicht gleich die nötige Hilfe bei der Hand?“

„Nein, nein, ich danke sehr; zu Hause fehlt es mir nicht an Hilfe.“

Er hatte ihre Weigerung vorausgesehen. „Wollen Sie mir, bitte, für den Fahrer Ihre Adresse sagen“, bat er.

„Kurfürstendamm 42.“

Er instruierte den Fahrer und verneigte sich vor Gilda. „So wünsche ich Ihnen gute Besserung, gnädiges Fräulein.“

„Danke sehr, mein Herr. Ich muss Ihre Schuldnerin bleiben.“

Er lachte. „Vielleicht führt Sie ein glücklicher Zufall mir noch einmal in den Weg, damit ich mich überzeugen kann, ob Sie wieder fest auf den Füßen stehen. Dann wäre ich belohnt. Aber ich bin es schon ohnedies, weil ich Ihnen einen kleinen Dienst leisten konnte. Auf Wiedersehen!“ Er verneigte sich nochmals.

Dann trat er rasch an das andere Auto heran. „Kurfürstendamm 43! Sehen Sie zu, dass Sie dem eben abgefahrenen Auto zuvorkommen können; es wird vor Nummer 42 halten“, sagte er zu dem Fahrer und sprang in den Wagen. Als dieser davonfuhr, dachte er: Solch ein reizendes Mädchen legt einem der Zufall nicht alle Tage in die Arme, ich möchte sie nicht aus den Augen verlieren.

Als nach einiger Zeit sein Wagen hielt, sprang er heraus und bedeutete dem Fahrer, er möge warten.

In diesem Augenblick fuhr das Auto mit Gilda am Nebenhaus vor. Der Fahrer ging zur Portierloge, sprach dort einige Worte in das Fenster hinein und kehrte dann zum Wagen zurück.

Hochberg wäre gern wieder zu Hilfe geeilt, aber er fürchtete, es sei ihr unangenehm wegen der Hausbewohner. Es dauerte auch nur Minuten, da kamen ein Diener und eine Angestellte heraus, eilten an den Wagen und halfen der jungen Dame beim Aussteigen.

Als sie ausgestiegen war, erblickte sie den Grafen. Er verneigte sich grüßend und sah sie noch einmal an mit dem Blick, der schon so viele Frauenherzen betört hatte. Sie neigte fast unmerklich das Haupt und wandte sich ab.

Im Hausflur angelangt, fuhr sie mit dem Fahrstuhl bis zur ersten Etage empor. Dort wohnte die verwitwete Frau Grabow, Gilda von Verdens Pflegemutter. Diese kam ihr aufgeregt entgegen. Sie war eine kleine, füllige Dame von etwas gewöhnlichem Aussehen.

Sogleich fuhr sie scheltend mit einer harten, schrillen Stimme auf ihre Pflegetochter los. „Mein Gott, was jagst du mir für einen Schrecken ein, Gilda! Was hast du denn mit deinem Fuß gemacht? Ausgerechnet jetzt, wo ich doch bald nach Baden-Baden zur Kur gehen will! Konntest du dich nicht vorsehen? Nun muss ich deinetwegen meine Reise verschieben. Du bist unglaublich rücksichtslos!“, zeterte sie.

Gilda, an diesen scharfen, scheltenden Ton gewöhnt, zuckte nur leise zusammen. „Bitte, beruhige dich, Mama! Ich habe mir nur den Knöchel ein wenig verstaucht. Das ist in einigen Tagen wieder heil und wird uns nicht an der Abreise hindern.“

„Dann hättest du mir nicht einen solchen Schrecken einjagen sollen. Ich denke, Gott weiß, was passiert ist, als der Portier heraufruft, dass Friedrich und Anna dich nach oben transportieren sollen. Du denkst natürlich nur an dich und weißt doch, dass mir die kleinste Aufregung schadet“, schalt die dickliche Person.

„Verzeih, es ging nicht anders, weil ich mit dem Fuß nicht auftreten kann.“

Frau Grabow war immer froh, wenn sie einen Vorwand hatte, ihr Gezeter loszulassen und ihrer stets schlechten Laune Luft zu machen. Der Arzt hatte ein tiefer gehendes organischen Leiden bei ihr entdeckt und verlangte, dass sie strenge Diät hielt. Das verschlimmerte ihre Laune, und sie machte ihrer Umgebung das Leben sauer. Die Dienstboten ließen sich das nicht gefallen. Aber Gilda war ein wehrloses Opfer, und so ließ die alte Dame allen Unmut an ihrer Pflegetochter aus. Sicher hätte sie auch jetzt noch lange gescholten, wenn die alte Berta nicht energisch die Tür zu Gildas Zimmer mit dem Bemerken geöffnet hätte: „Jetzt muss das gnädige Fräulein sich erst mal niedersetzen, sonst wird der Fuß noch schlimmer.“

Vor Berta hatte die alte Dame einigen Respekt; so ging sie scheltend davon.

Harald von Hochberg hatte neben seinem Auto gewartet, bis Gilda mit den Angestellten verschwunden war. Dann sah er an dem Haus empor, als müsse es ihm Aufschluss geben über seine schöne Unbekannte. Nach kurzem Zögern trat er an das Fenster der Portierloge heran. Als Einleitung der Unterhaltung legte er dem Pförtner ein Geldstück hin und sagte: „Können Sie mir Auskunft geben, bei wem das Personal angestellt ist, das eben hier ins Haus ging?“

Der Portier hatte den jungen Herrn schon eine Weile beobachtet und ahnte sehr wohl, dass dessen Frage der jungen Dame galt. „Das waren die Leute der Frau Grabow, der Besitzerin dieses Hauses. Die junge Dame, die sie führten, ist eine arme Waise, die ins Haus genommen wurde, als der Herr starb. Unter uns, Herr, das Fräulein ist nicht auf Rosen gebettet“, fügte er treuherzig hinzu.

Hochberg dankte. Er...