Sinners on Tour - Backstage-Küsse

von: Olivia Cunning

LYX, 2015

ISBN: 9783736300620 , 480 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 7,99 EUR

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Sinners on Tour - Backstage-Küsse


 

1


Ein Stapel Ausdrucke flatterte aus Myrnas Laptoptasche auf den Blumenteppich. Das war ja mal wieder unfassbar. Sie hatte den Seminarraum derart hastig verlassen, dass sie vergessen hatte, den Reißverschluss zuzuziehen. Mit einem lauten Seufzer beugte sie sich vor, um die umherliegenden Seiten aufzuheben. Konnte dieser Tag denn noch schlimmer werden?

In der Lobby, in der Nähe der Fahrstühle, riefen mehrere Leute »Auf ex, auf ex, auf ex« und jubelten enthusiastisch. Irgendjemand hatte an diesem Abend ganz offensichtlich sehr viel Spaß. Sie war es definitiv nicht.

Sie stopfte die Blätter in ihre Tasche und zog den Reißverschluss zu, bevor sie durch die bombastische Hotellobby ging und sich auf den Weg zu ihrem Zimmer im sechsten Stock machte. Ein langes, heißes Bad war jetzt eine sehr verlockende Vorstellung. Wieso hatte sie sich überhaupt erst vom stellvertretenden Dekan dazu überreden lassen, bei dieser dämlichen Konferenz einen Vortrag zu halten? Was für eine Zeitverschwendung. Die anderen Professoren aus ihrem Fachbereich würden eine innovative Idee nicht einmal erkennen, wenn diese vor ihrer Nase einen Kopfstand machte und die Nationalhymne sang. Und warum interessierte es sie überhaupt, was ihre Kollegen von ihren Methoden hielten? Die Studenten kamen gern in ihre Kurse, die immer voll waren. Es gab sogar Wartelisten für …

Hinter ihr waren Schritte zu hören. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Sie blieb stehen, während ihr Herz raste und sie schweißnasse Hände bekam.

Wer immer ihr folgte, er blieb mehrere Schritte hinter ihr stehen. Sie konnte ihn atmen hören.

Jeremy?

Nein. Es konnte unmöglich ihr Exmann sein. Er wusste nicht, wo er sie finden konnte. Oder doch? Dennoch lief ihr kalter Schweiß zwischen den Brüsten hinunter.

Sie umklammerte den Griff ihrer Laptoptasche und machte sich bereit, damit auf denjenigen einzuschlagen, der dumm genug war, sich an sie anzuschleichen.

»Ihr Seminar war wirklich großartig, Dr. Evans«, sagte eine ihr unbekannte Stimme hinter ihrem Rücken.

Das war nicht Jeremy. Gott sei Dank. Sie holte tief und zittrig Luft und warf einen Blick über die Schulter.

Ein schlanker Mann in den Vierzigern streckte ihr eine Hand entgegen. »Wer wäre je auf die Idee gekommen, sich bei einer Diskussion über die Psychologie des Menschen auf Gitarrenriffs zu beziehen? Ich nicht. Jedenfalls haben Sie mich mit der Methode überzeugt. Ich weiß zwar nicht, ob ich das so anbringen könnte wie Sie, mit Ihrem …«, er räusperte sich, »Enthusiasmus.« Dann grinste er, und sein Blick wanderte zum Ausschnitt ihres eng anliegenden grauen Businesskostüms.

Während ihr Herz noch immer wie wild klopfte, unterdrückte Myrna den Drang, den Kerl zu erwürgen, und schüttelte ihm die Hand. »Vielen Dank, Mr ähm …«

Von Ohr zu Ohr grinsend schloss er die Finger um ihre. »Doktor. Dr. Frank Elroy aus Stanford. Abnormale Psychologie. Ich leite die Abteilung.«

Ah, Doktor Arschloch. Doktor Aufgeblasen. Solche Typen habe ich schon unzählige Male kennengelernt.

Sie nickte und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Elroy.«

»Hätten Sie Lust, mit mir etwas trinken zu gehen?« Er deutete mit dem Kopf in Richtung der Cocktailbar, die sich zu ihrer Linken befand, und streichelte ihr mit dem Daumen über den Handrücken.

Myrna zuckte innerlich zusammen und konnte ihr Lächeln nur mit Mühe aufrechterhalten. Dieser Kerl war das genaue Gegenteil des Typs, auf den sie abfuhr. Er war langweilig. Nein, danke. Ihre momentane Abneigung gegen Langweiliges war tief verwurzelt. »Tut mir sehr leid, aber es passt mir gerade nicht. Ich war auf dem Weg in mein Zimmer, um schlafen zu gehen. Vielleicht ein anderes Mal.«

Er schien in sich zusammenzusacken wie ein Ballon, aus dem man die Luft herausgelassen hatte. »Natürlich. Verstehe. Sie müssen nach der lebhaften …«, er grinste erneut, »Diskussion erschöpft sein.«

Nach der Diskussion? War er überhaupt dort gewesen? Blutbad schien eine passendere Beschreibung dafür zu sein, und sie fühlte sich in diesem Augenblick auch sehr blutleer.

»Ja«, murmelte sie und kniff die Augen zusammen. Sie entzog ihm ihre Hand, wirbelte auf dem Absatz herum und ging auf den Fahrstuhl zu, wobei sie an der Hotelbar und mehreren ausladenden Topfpflanzen vorbeikam.

Lautes Gelächter, das aus der Cocktailbar herüberschallte, erregte ihre Aufmerksamkeit. Vier Männer saßen an einem halbrunden Tisch und lachten über einen fünften, der auf dem Rücken in der Tischmitte lag. Der Tisch, auf dem zahlreiche mehr oder weniger gefüllte Gläser standen, neigte sich unter dem Gewicht des Mannes gefährlich zu einer Seite. Seine Gefährten sprangen auf, um ihr Bier vor dem Verschütten zu bewahren.

»Sagt dem Raum, er soll aufhören, sich zu drehen«, rief der liegende Mann zu der nachgemachten Tiffanylampe hinauf, die über ihm hing.

»Du kriegst kein Bier mehr, Brian«, erklärte einer seiner Freunde.

Brian hielt einen Finger in die Luft. »Eins noch.« Es folgte ein zweiter Finger. »Oder zwei.« Noch ein Finger. »Viellllllllllleicht vier.«

Myrna grinste. Diese fünf Männer passten so gar nicht zu den anderen Hotelgästen, die sich in der Lounge und der Lobby aufhielten und größtenteils aus Konferenzteilnehmern bestanden, fast alle Professoren. Die ungewöhnliche Gruppe an diesem Tisch zog daher zahlreiche betretene oder entrüstete Blicke auf sich. Lag es an ihren Tattoos? Den zahlreichen Piercings und Schmuckstücken? Den gefärbten Haaren, den seltsamen Frisuren oder der schwarzen Kleidung? Was es auch war, sie benahmen sich eigentlich nur wie angeheiterte junge Männer. Und Myrna hätte wetten können, dass unter ihnen nicht ein einziger langweiliger Typ war.

Sie machte zögernd einen Schritt in Richtung Fahrstuhl. Am liebsten hätte sie sich eine Weile zu ihnen gesetzt, sie hätte ein wenig Spaß gut gebrauchen können – etwas anderes als die »anregende Unterhaltung« mit einem Intellektuellen. Von der Arbeit hatte sie vorerst genug.

Brian, der noch immer rücklings auf dem Tisch lag, spielte meisterhaft Luftgitarre und gab die dazu passenden Geräusche von sich. Myrna erkannte die Melodie sofort wieder. Sie hatte sie in ihrer Klassendiskussion über männliche Sinnlichkeit eingesetzt, da kein Mensch auf der Welt die Gitarre sinnlicher spielte als Master Sinclair. Augenblick mal! Konnte es sein, dass …? Nein, was sollte die Rockgruppe Sinners denn bei einer Konferenz für Collegelehrer zu suchen haben? Vermutlich waren das nur Fans der Band, allerdings kam sie bei dem Namen Brian ins Grübeln. Hieß der Leadgitarrist der Sinners nicht Brian Sinclair?

Einer der Männer am Tisch drehte den Kopf, um sich das Kinn an der Schulter zu kratzen. Trotz seiner verspiegelten Sonnenbrille erkannte sie den Leadsänger Sedric Lionheart sofort. Ihr Herz klopfte noch schneller. Es waren tatsächlich die Sinners.

»Ich bin so scheißbetrunken!«, rief Brian. Er ließ sich vom Tisch rollen, warf dabei mehrere leere Biergläser um und landete auf dem Schoß der beiden anderen Männer, die ihn jedoch ohne Umschweife auf den Boden fallen ließen.

Myrna schnaubte und sah sich sofort um, um sicherzustellen, dass niemand dieses undamenhafte Geräusch aus ihrem Mund mitbekommen hatte. Sie musste einfach hinübergehen und mit den Typen reden. Sie konnte ja so tun, als wäre sie allein aufgrund ihres Seminars an ihnen interessiert. Dabei stand sie total auf ihre Musik. Und sie sahen auch ziemlich gut aus. Genau ihr Typ. Sie waren wild. Oh ja. Hier würde sie garantiert das bekommen, was sie nach dem Tag, den sie hinter sich hatte, brauchte.

Also gab Myrna ihren Plan auf, sich in ihrem Zimmer zu verkriechen, und ging an der halbhohen Wand entlang, die den Loungebereich vom Gang trennte. Vor Brian, der sich gerade auf die Hände und Knie hochrappelte, blieb sie stehen. Sie stellte ihre ausgebeulte Laptoptasche auf den Boden und beugte sich vor, um ihm beim Aufstehen zu helfen. In dem Augenblick, in dem sie seinen Arm berührte, setzte ihr Herz einen Moment aus, um dann noch viel schneller zu schlagen.

Er besaß eine animalische Anziehungskraft. Hallo, Mister Willkommene Abwechslung!

Sein Blick wanderte an ihren Beinen und ihrem Körper entlang nach oben, bis sein Gesicht langsam erkennbar wurde. Seine Züge hätten von einem Bildhauer stammen können: ausdrucksstarker Unterkiefer, spitzes Kinn, hohe Wangenknochen. Ob es wohl anmaßend war, die Konturen seines Gesichts mit den Fingerspitzen nachzufahren? Oder seine Lippen? Sicherheitshalber konzentrierte sie sich auf ihre Hand, die seinen muskulösen Unterarm festhielt.

»Seien Sie mit dem Arm lieber vorsichtig«, sagte sie. »Es gibt nur wenige Gitarristen, die so gut sind wie Sie.«

Dank ihrer Hilfe kam er taumelnd auf die Beine. Als er gegen sie schwankte, stieg ihr sein Körpergeruch in die Nase und sie holte tief Luft, während sie schwärmerisch die Augen schloss. Ein urtümliches Verlangen durchflutete ihren Körper. Hatte sie gerade etwa laut gefaucht?

Seine starken Hände griffen nach ihren Schultern, und er hielt sich an ihr fest. Jedes Nervenende in ihrem Körper schien auf einmal in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden zu sein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal derart spontan zu einem Mann hingezogen gefühlt hatte.

Brian ließ sie los und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er blinzelte mehrmals, als müsste er sich sehr anstrengen, seinen Blick auf ihr Gesicht zu richten. »Sie...