Exzession - Roman

von: Iain Banks

Heyne, 2015

ISBN: 9783641163778

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 4,99 EUR

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Exzession - Roman


 

II


 

Das Schiff bebte; die wenigen übriggebliebenen Lichter flackerten, wurden dunkler und gingen ganz aus. Die Alarmanlagen dopplerten herunter bis zur Stille. Eine Reihe von heftigen Stößen durchlief die Schalenwände des Kajütgangs und hallte im zweiten und ersten Personalgefüge wider. Die Atmosphäre pulsierte von Aufprallechos; ein Windbö fauchte, verschwand. Die wabernde Luft trug Brand- und Verdampfungsgeruch mit sich; Aluminium, polymere Stoffe, in Verbindung mit Kohlefaser und Diamantfilm, supraleitfähige Kabel.

Irgendwo hörte die Drohne Sisela Ytheleus ein menschliches Rufen; dann folgte ein Stimmsignal, ähnlich dem von der Luft getragenen, das wild über die elektromagnetischen Frequenzen ausgestrahlt wurde. Augenblicklich wurde es verfälscht und schnell zu einem unverständlichen Rauschen vermindert. Das menschliche Rufen verwandelte sich in ein Schreien, dann brach das elektromagnetische Signal ab; das gleiche galt für den Ton.

Strahlenstöße trafen aus verschiedenen Richtungen ein, virtuell informationsfrei. Das Trägheitsfeld des Schiffs schwankte unsicher, fing sich aber wieder und stabilisierte sich. Eine Hülle mit Neutrinos huschte durch den Raum um den Kajütgang herum. Geräusche verebbten. Elektromagnetische Zeichen kamen murmelnd zum Schweigen; die Motoren und die wichtigsten Lebenserhaltungssysteme des Schiffs waren ausgeschaltet. Das gesamte elektromagnetische Spektrum war aller Aussage entleert. Wahrscheinlich hatte sich die Schlacht jetzt auf den die Künstliche Intelligenz enthaltenden Kern und die photonischen Sicherungsspeicher verlagert.

Dann schoss ein Energieschub durch ein in der hinteren Wand versenktes Mehrzweckkabel, wild oszillierend, um sich dann zu einem gleichmäßigen, vollkommen nichtssagenden Muster zu ordnen. Ein innerer Kamerafleck auf einem Strukturbalken in der Nähe erwachte und begann seine Abtastung per Scanner.

So schnell kann es doch nicht vorbei sein, oder?

In ihrem Versteck im Dunkeln vermutete die Drohne, dass es bereits zu spät war. Sie sollte warten, bis der Angriff seinen Höhepunkt erreicht hätte und der Angreifer denken würde, dass es nur noch ein Aufbäumen des letzten Bodensatzes von Widerstand sei, bevor er in Aktion treten würde, aber der Angriff war zu plötzlich erfolgt, zu überwältigend, zu schlagkräftig. Die Pläne, die das Schiff ausgearbeitet hatte und von denen sie ein so wichtiger Bestandteil war, konnten nur soundsoviel vorausberechnen, nur ein um soundsoviel größeres technisches Vermögen auf Seiten des Angreifers einräumen. Von einem bestimmten Punkt an gab es nichts mehr, was man hätte tun können; es gab keinen genialen Plan mehr, den man hätte entwerfen, und keine listige Strategie, die man hätte anwenden können, ohne dass sie einem in grundsätzlichen Dingen weiterentwickelten Feind lachhaft einfältig und naiv erschienen wäre. In diesem Augenblick befanden sie sich vielleicht noch nicht ganz an dem kritischen Wendepunkt, wo Widerstand völlig sinnlos wurde, aber – angesichts der Leichtigkeit, mit der das Elench-Schiff eingenommen wurde –, sie waren auch nicht mehr weit davon entfernt.

Bleib ruhig, ermahnte sich die Maschine. Behalte den Überblick; stelle dies und dich selbst in den Zusammenhang. Du bist vorbereitet, du bist abgehärtet, du bist abgesichert. Du wirst alles in deiner Macht Stehende tun, um so zu überleben, wie du bist, oder zumindest nicht unterzugehen. Es gibt einen Plan, der hier in Kraft treten soll. Spiel deine Rolle mit Geschick, Mut und Ehrenhaftigkeit, und keiner der Überlebenden und Erfolgreichen wird irgendetwas Schlechtes über dich denken.

Die Elencher hatten viele tausend Jahre damit verbracht, sich gegen jede Art von Technik und jedes zivilisatorische Artefakt abzuschotten, die der weite Raum der größeren Galaxis bot, immer danach trachtend, lieber zu verstehen als zu übertrumpfen, lieber selbst Veränderungen durchzumachen als anderen Veränderungen aufzuzwingen, sich mit den Besseren zu vereinen und an ihren Errungenschaften teilzuhaben, anstatt ihrerseits andere mitzureißen und ihnen etwas zu vermitteln, und dadurch und durch diesen verhältnismäßig friedfertigen modus operandi waren sie vielleicht mehr als alle anderen zu Meistern darin geworden – mit der möglichen Ausnahme der bedeutenden Gruppe halbmilitärischer Botschafter der Kultur, die als Kontaktabteilung bekannt war –, einem direkten Angriff standzuhalten, ohne dem Anschein nach eine Bedrohung darzustellen; aber obwohl die Galaxis von so vielen unterschiedlichen Forschern in jede erdenkliche Primärrichtung zu jeder auch noch so fernen Peripherie durchdrungen worden war, blieben beträchtliche Bereiche dieser in sich geschlossenen Arena effektiv unerforscht von den gegenwärtig sprießenden Mitmisch-Zivilisationen, einschließlich der Elencher (wie sehr diese Region und das Gebiet darüber hinaus von den älteren Spezies durchschaut wurde und ob sie sich überhaupt dafür interessierten, war schlichtweg unbekannt). Und in diesem alles verschluckenden riesigen Hohlkörper, in diesem Raum zwischen den Räumen zwischen den Sternen, um die Sonnen, Zwerge, Nebulae und Löcher herum, über den aus einiger Entfernung bestimmt worden war, dass ihm keine direkte Bedeutung zukam oder Bedrohung von ihm ausging, war es natürlich immer möglich, dass irgendeine Gefahr lauerte, vergleichsweise klein nach dem physikalischen Maßstab der gegenwärtigen aktiven Zivilisationen der Galaxis, aber dennoch fähig – aufgrund einer entwicklungsmäßigen Eigenart oder als Folge einer Form von weltlichem Limbo oder eines exklusionären Schlafzustandes –, es mit einer Gesellschaft aufzunehmen oder sie sogar zu übertreffen, die technisch so fortgeschritten und in Kontaktaufnahme so erfahren war wie die Elencher.

Die Drohne war innerlich ruhig und dachte so kühl und entspannt nach, wie sie es in diesen wenigen Augenblicken konnte, vor dem Hintergrund ihrer gegenwärtigen Zwangslage. Sie war vorbereitet, sie war bereit, und sie war keine gewöhnliche Maschine; sie entsprach dem Gipfel der Technik dieser Zivilisation, dafür konstruiert, jeder Aufspürung durch noch so raffinierte Instrumente zu entgehen, unter nahezu unvorstellbaren Bedingungen zu überleben, es mit buchstäblich jedem Gegner aufzunehmen und in konzentrischen Stadien des Widerstandes praktisch jeden erlittenen Schaden wettzumachen. Dass ihr Schiff, ihr Hersteller, die einzige Wesenheit, die sie wahrscheinlich besser kannte als sie sich selbst, anscheinend in diesem Augenblick korrumpiert, verführt, besiegt war, durfte ihre Urteilskraft oder ihr Selbstvertrauen nicht beeinträchtigen.

Der Displacer, dachte sie. Ich brauche lediglich in die Nähe des Displacer-Kokons zu kommen, das ist alles …

Dann spürte sie, wie ihr Körper gescannt wurde, und zwar von einem engbegrenzten Punkt aus, der nahe beim KI-Kern des Schiffes platziert war, und sie wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Der Angriff war ebenso elegant wie ungestüm, und die Übernahme so unvermittelt, dass es an Gleichzeitigkeit grenzte; die Kampftaktik der einfallenden fremden Bewusstseine wurde unterstützt durch den Denkprozess und das übertragene Wissen des inzwischen offensichtlich vollkommen überwältigten Schiffs.

Ohne Pause, um auch den geringsten zeitlichen Raum für einen Fehler auszuschließen, verschob die Drohne ihre eigene Persönlichkeit aus ihrem KI-Kern in ihren Sicherungsspeicher und machte gleichzeitig die Signalkaskade bereit, die ihre wichtigsten Pläne, Programme und Instruktionen zuerst an den elektronischen Nanoschaltkreis und dann an das atomechanische Substrat übermitteln würde, und schließlich – als absolut letzte Zuflucht – an ein freches kleines (obwohl mit seinen mehreren Kubikzentimetern immer noch verschwenderisch großes) halbbiologisches Gehirn. Die Drohne ließ das, was ihr echtes Gehirn gewesen war, verstummen und schaltete es aus, der einzige Ort, an dem sie während ihres ganzen Lebens jemals wirklich existiert hatte, und ließ das Bewusstseinsmuster, welches auch immer dort Wurzeln geschlagen haben mochte, an Energiemangel zugrunde gehen, wobei sich das zusammenbrechende Bewusstsein in Form von schwachen, informationslosen ausströmenden Neutrinos dem neuen Geist der Maschine aufpfropfte.

Die Drohne bewegte sich bereits; heraus aus der Körpernische in der Wand und in den Kajütgang. Sie beschleunigte im Korridor und spürte, wie sie vom Blick des Flecks der Deckenstrahlkamera verfolgt wurde. Strahlungsfelder glitten über den militarisierten Körper der Drohne, streichelnd, tastend, eindringend. Eine Inspektionsluke platzte direkt vor der Drohne in dem Kajütgang, und etwas explodierte heraus; Kabel brachen frei und füllten sich bis zum Überfließen mit elektrischem Strom. Die Drohne zoomte näher und schwenkte dann ab; eine Stromentladung knisterte direkt über der Maschine durch die Luft und brannte ein Loch in die gegenüberliegende Wand; die Drohne wand sich durch das Wrack und powerte weiter durch den Korridor, wandte sich flach in ihre Reiserichtung und streckte ein Aktionsfeld durch die Luft, um an einer Ecke zu bremsen, dann prallte sie von der gegenüberliegenden Wand ab und beschleunigte einen anderen Kajütgang hinauf. Es war einer der Querachsen-Korridore, und entsprechend lang. Die Drohne erreichte in der für Menschen atembaren Atmosphäre schnell die Schallgeschwindigkeit; eine Notöffnung schlug eine ganze Sekunde, nachdem sie hindurch war, hinter ihr zu.

Ein Raumanzug schoss aus einem abfallenden senkrechten Röhrengang am Ende des Kajütgangs hoch, krümmte sich zum Halt, bäumte sich dann auf und stolperte heraus, um sich der Maschine in den Weg zu stellen. Die Drohne hatte den Anzug bereits...