Dr. Stefan Frank 2274 - Bitte hilf mir, Dr. Frank!

von: Stefan Frank

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732507665 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Dr. Stefan Frank 2274 - Bitte hilf mir, Dr. Frank!


 

Auch Dr. Stefan Frank, der beliebte Allgemeinmediziner und Geburtshelfer aus Grünwald, war nur ein Mann. Und als er einen Blick auf die neue Patientin warf, die kurz vor Mittag plötzlich in seinem Behandlungsraum stand, war es auch schon um ihn geschehen.

Die bildhübsche junge Dame senkte den Kopf, formte ihre erdbeerroten Lippen zu einem Schmollmund und produzierte einen filmreifen Augenaufschlag, um den die berühmtesten weiblichen Hollywoodstars sie glühend beneidet hätten.

Schon der erste Blick in ihre großen tiefblauen Augen brachte Stefan Franks Herz in Sekundenschnelle zum Schmelzen.

Verspielt wickelte sie eine Strähne ihres schulterlangen, blonden Haares um ihren Zeigefinger. Dann legte sie den Kopf schief, lächelte und klimperte kokett mit den langen, dunklen Wimpern.

Anschließend drehte sie sich ein wenig zur Seite, hob die linke Schulter an, legte ihr Kinn darauf, senkte in gespielter Verlegenheit den Blick und stieß ein kurzes leises Kichern aus.

Allerdings klang es nicht so schrill und gekünstelt wie bei manch einer Frau, sondern so hell und rein, als würde man nur ganz sanft die hohen Saiten einer Harfe zupfen.

Pling – pling – pling …

Automatisch dehnten sich Stefans Lippen zu einem breiten Lächeln. Er legte den Kugelschreiber auf die Rezepte, die er eben unterschrieben hatte.

„Guten Tag, mein schönes Fräulein. Was kann ich denn für Sie tun?“

Die förmliche Anrede entlockte ihr ein amüsiertes Glucksen, dann wurde sie sehr ernst. Sie schlug die Zipfel einer kleinen weißen Kuscheldecke zurück, die sie mit einem Arm an ihren Körper gedrückt hielt.

„Olga hat ein Ohr ab.“

Ein weißes, schon sehr abgewetztes Plüschtier undefinierbarer Gattung kam unter der Decke zum Vorschein. Eines der runden Ohren hing nur noch an einem Stück Zwirnsfaden.

„Huch!“ Stefan schlug sich in gespieltem Entsetzen eine Hand vor den Mund. „Wie konnte denn das passieren?“

„Er wurde missgehandelt!“

„Misshandelt, meinst du? Er? Aber Olga ist doch ein Name für ein Mädchen.“

Sie zog ihre Unterlippe zwischen die Zähne, legte die Zungenspitze auf die Oberlippe und dachte nach. Dann schüttelte sie entschieden den Kopf.

„Nein! Olga ist ein Junge! Das sieht man doch, oder?“

„Okay!“ Stefan musste lachen. Dieser kleine Engel scherte sich offensichtlich kein bisschen um irgendwelche althergebrachten Regeln. Warum auch? „Aber jetzt sag mal, wer hat denn die … den armen Olga so übel zugerichtet?“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und warf einen prüfenden Blick durch das Fenster hinter Stefans Rücken. Dann schirmte sie ihren Mund mit einer Hand ab und beugte sich ein wenig weiter nach vorne.

„Frau Bärwald war das!“, flüsterte sie mit bedeutungsschwerer Stimme. Um diese Ungeheuerlichkeit zu unterstreichen, nickte sie dreimal überdeutlich.

„Oh! Und … wer ist …“ Auch Stefan warf einen Blick über die Schulter zurück und senkte dann seine Stimme zu einem Flüstern. „… Frau Bärwald?“

„Eine böse, böse Hexe“, kam postwendend die Antwort. „Die wohnt im Wald und frisst kleine Kinder!“

„Du meine Güte!“ Stefan verkniff sich ein Schmunzeln und griff zu einem der Formulare, die sich seitlich seines Schreibtischs in einem Regal stapelten. „Wir werden Olga operieren müssen. Dazu muss ich ihn aber erst einmal in meine Patientenkartei aufnehmen. Also: Wie alt ist er denn?“

„Uralt. Hundert.“

„Okay. Olga, hundert Jahre … ein Junge …“, trug Stefan in das Formular ein. „Und wie viel wiegt er ungefähr?“

„Olga ist ganz leicht. Er ist ja noch ein Baby. Siehst du das denn nicht?“

„Natürlich. Wo hatte ich nur meine Augen? Danke. Und isst Olga auch tüchtig?“

„Ja.“

„Was isst er denn am liebsten?“

„Bonbons. Was sonst?“

„Alles klar. Hat Olga Fieber?“

Sie legte prüfend eine Hand auf die Stirn des weißen Etwas.

„Ja, hat er!“, bestätigte sie dann.

„Wie hoch?“

„Hundert!“

„Das ist ziemlich viel. Da müssen wir uns mit der Operation beeilen.“ Stefan notierte auch noch diese Angaben. „So, deinen Namen brauche ich jetzt auch noch, schönes Fräulein.“

„Ella.“

„Ella. Und wie noch?“

„Fällt mir grade nicht ein. Ist das wichtig?“

„Ja, doch, das ist schon wichtig, Ella.“ Stefan nickte. „Falls Olga ins Krankenhaus muss, dann müssen wir dort deinen Namen angeben, damit nicht irgendwer daherkommen und behaupten kann, Olga würde ihm gehören.“

„Oh! Olga muss aber nicht ins Krankenhaus.“ Das kleine Mädchen schüttelte entschieden den Kopf. „Olga hat schon mal ein ganzes Bein ab gehabt, und da hat er auch nicht ins Krankenhaus gemusst.“

„Ein ganzes Bein? Schrecklich!“ Der Grünwalder Arzt warf noch einmal einen vorsichtigen Blick durch das Fenster hinter sich und erkundigte sich dann flüsternd: „Hat das denn auch Frau Bärwald gemacht?“

Ella senkte verlegen den Kopf.

„Nein, das war ich“, gestand sie. „Aber da war ich noch ein dummes kleines Kind. Heute mache ich so was nicht mehr.“

„Natürlich nicht. Heute bist du ja schon eine große und vernünftige Dame.“ Stefan erhob sich hinter seinem Schreibtisch. „Dann wollen wir mal Schwester Martha nach deinem Namen fragen.“

„Die weiß das?“

„Die weiß fast alles.“

Da es üblicherweise nicht vorkam, dass ein kleines Mädchen – Ella konnte höchstens vier Jahre alt sein – ganz alleine in seine Praxis schneite, ging Stefan Frank davon aus, dass die Kindesmutter draußen bei seiner langjährigen Arzthelferin, Martha Giesecke, eben noch den Fragebogen für neue Patienten ausfüllte.

Stefan öffnete die Tür einen Spaltbreit.

„Martha? Ist das Stammdatenblatt schon fertig ausgefüllt? Ich muss Olga sofort operieren und brauche dafür die Daten.“

„Ähm … wat ist los?“ Kopfschüttelnd kam die gebürtige Berlinerin in den Behandlungsraum. „Wat müssen Sie operieren?“ Als die Pflegerin das kleine Mädchen sah, stutzte sie. „Mensch, ja wer bist du denn?“

„Soll das heißen …“ Stefan wandte sich erstaunt zu Ella um. „Ist denn deine Mama nicht mitgekommen?“

„Nein. Hab ich doch keine!“ Die Antwort klang sehr ungeduldig. Ella schüttelte dazu den Kopf, zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen, so als müsste ohnehin jeder, der wenigstens ein bisschen Grips im Kopf hatte, darüber Bescheid wissen.

„Und dein Papa?“

„Der hat nie Zeit. Der muss immer arbeiten.“

„Ah! Wo arbeitet er denn?“

„Weiß ich doch nicht! Der zerschneidet fremde Leute, wenn sie ihm nicht gefallen.“

„Ach herrje!“ Langsam wurde es Stefan nun doch ein bisschen mulmig zumute. Eine Frau Bärwald, die kleine Kinder fraß, und ein Vater, der alle Leute, die ihm nicht gefielen, zerschnitt! Das klang nicht gerade nach einer netten Familie, in der ein kleines Mädchen gut aufgehoben war.

Er hatte dieses Kind hier noch nie gesehen. Aus der näheren Umgebung konnte Ella nicht stammen, hatte er doch beinahe ausnahmslos alle Kinder aus der Grünwalder Gartenstraße und dem ruhigen Viertel, in dem sie lag, eigenhändig auf die Welt gebracht.

Er warf Schwester Martha einen fragenden Blick zu, doch die zuckte nur ratlos mit den Schultern.

„Ick hab sie nicht mal reinkommen jesehen. Ick war kurz nebenan im Labor und habe die Teststreifen in der Harnprobe von Herrn Möller kontrolliert. Dann habe ick die Praxis abgeschlossen, weil es ohnehin schon Mittag ist.“ Martha beugte sich zu dem Kind hinab. „Wo wohnst du denn, Ella?“

„Frankfurt am Main, Kaiserstraße Nummer fünf!“, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

„In Frankfurt!“ Stefan und Martha blickten sich erschrocken an. Für eine Ausreißerin, die alleine von Frankfurt nach Grünwald getrampt war, war das Mädchen noch viel zu jung. Es musste eine andere Erklärung geben.

„Sag mal, Engelchen …“ Stefan ging zu seinem Schreibtisch zurück und holte das Grünwalder Telefonbuch aus der untersten Schublade. „Wie heißt denn diese Frau Bärwald mit Vornamen? Vielleicht finde ich sie im Telefonbuch, dann kann ich sie anrufen und fragen …“

„Bitte nicht!“, rief das Kind erschrocken aus. „Frau Bärwald ist ganz, ganz böse. Die wollte mich in den Bratofen stecken und mich dann aufessen. Ich hab dir doch gesagt, dass sie eine böse, böse Hexe ist, die kleine Kinder frisst.“

„Richtig, das hast du gesagt.“ Die Sache mit dem Bratofen hielt Stefan zwar für die Anleihe aus einem bestimmten Märchen, dennoch nahm er es sehr ernst, wenn kleine Kinder solche Äußerungen machten.

Mit direkten Fragen – das hatte er bereits erkannt – würde er aus Ella keine brauchbaren Informationen herausbekommen. Er musste sich dafür Zeit lassen und sehr behutsam vorgehen.

„Dann wollen wir jetzt erst mal Olga operieren“, schlug er deshalb vor. „Martha, bitte eine Spritze gegen Schmerzen und ein spezielles Nähbesteck für die Replantation von Ohren.“

***

Während seine kleine Tochter in der Praxis des Grünwalder Arztes mit einer richtigen Spritze vorsichtig etwas Luft in Olgas Hinterteil injizierte, lagen in der Münchner Universitätsklinik Dr. Daniel Hansens Nerven blank, als er hörte, wer ihn da so...