Medien - Diversität - Ungleichheit - Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz

von: Ulla Wischermann, Tanja Thomas

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531908601 , 273 Seiten

Format: PDF, OL

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Preis: 33,26 EUR

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Medien - Diversität - Ungleichheit - Zur medialen Konstruktion sozialer Differenz


 

Ethnisierung von Geschlecht und die diskursive Reproduktion von Differenz in der Fernsehdokumentation „Fremde Nachbarn. Muslime zwischen Integration und Isolation" (S. 121)

Stanislawa Paulus

Wenn in Deutschland in den Medien MuslimInnen dargestellt werden, ist dies nach wie vor durch Differenzproduktionen geprägt, in denen Fremdes und Eigenes1 diskursiv konstruiert wird. Bilder von vielfältigen Alltagswirklichkeiten innerhalb einer heterogenen Gesellschaft, die nicht dieses Differenzierungsraster bedienen, finden sich selten (vgl. Meier-Braun 2004: 7). Seit dem 11. September 2001 lässt sich zudem eine mediale ‚Muslimisierung‘ türkischer und arabischer Menschen in Deutschland feststellen, in der diese unabhängig von ihrer Religiosität oder Säkularität als Muslime identifiziert werden.

In diesen Identifikationen werden Themen wie kulturelle und religiöse Differenz, patriarchale Geschlechterverhältnisse, Gewalt und Kriminalität permanent aufgerufen und miteinander verschränkt (vgl. Farrokhzad 2002: 75). Dem Thema Geschlechterverhältnis kommt hierbei eine zentrale Funktion zu: Es dient als Gradmesser für Integriertheit und Modernität (vgl. Lutz/Huth-Hildebrandt 1998: 163). Diese Funktion kann es nur unter bestimmten diskursiven Voraussetzungen erfüllen: 1. geht mit ihm die generalisierende Setzung einer (potenziellen), patriarchalen Unterdrückung muslimischer Frauen durch muslimische Männer voraus, 2. wird ein patriarchales Geschlechterverhältnis als Marker ethnischer Differenz und als Zeichen eines Modernitätsdefizit gesetzt. Zugleich werden 3. patriarchale Verhältnisse der (christlichen) Mehrheitsgesellschaft als nicht existent postuliert und dem Blick entzogen (ebd.).

In der Produktion von Medienbildern über MuslimInnen ist das Thema patriarchaler, gewalttätiger Geschlechterverhältnisse derart zentral, dass kaum eine Darstellung von MuslimInnen ohne diesen thematischen Bezug auskommt. Dies gilt auch und gerade für die emanzipiert und modern gezeichneten muslimischen Frauen, die erzählerisch als Beispiel für eine westliche Orientierung eingesetzt werden. Die MuslimIn scheint in dominanten Mediendarstellungen außerhalb dieses thematischen Bezugs weder denk- noch formulierbar. Der Kategorie Geschlecht kommt in ihrem diskursiven Einsatz eine wesentliche Bedeutung in der Konstruktion des vermeintlich Eigenen und des Fremden zu. Wie Heidenreich schreibt, wird „Geschlecht im deutschen Ausländerdiskurs strategisch gerade zur Konstitution des Binarismus Deutscher/Ausländer eingesetzt" (Heidenreich 2006: 205).

Die Ethnisierungen von Geschlecht gehen zugleich mit einer Umdeutung struktureller Bedingungen in kulturelle Differenzen einher. So werden beispielsweise die ethnische Segregation des Arbeitsmarktes und die hohe Erwerbslosigkeit insbesondere von türkischen oder arabischen Frauen häufig über Traditionsgebundenheit und Familienorientierung erklärt (vgl. Castro Varela 2003: 14). Institutionell verankerte, soziale Ungleichheit wird durch ethnisierende und kulturalisierende Umdeutungen nicht nur der Reflexion entzogen, vielmehr wird sie auf der symbolischen Ebene des Diskursiven verfestigt. Konzepte, Begrifflichkeiten und Redeweisen, die Aussagen über den Themenkomplex Migration und Geschlecht strukturieren, befördern und legitimieren soziale Ausgrenzungen.

Dem Konzept der Subalternität Gramscis folgend, ist es bedeutsam, dass sich soziale Ungleichheiten nicht allein durch den (erschwerten) Zugang zu materiellen Gütern reproduzieren, sondern wesentlich durch Ausgrenzungen und Ausblendungen im Feld des Symbolischen – mit deren Hilfe sich hegemoniale Deutungsmacht verfestigt – aufrechterhalten werden. Aus diesem Grunde gilt es, Redeweisen über Migration, insbesondere in ihren produktiven, machtvollen Momenten zu untersuchen. Dieser Artikel fragt nach den diskursiven Bedingungen, unter denen bestimmte vergeschlechtlichte Bilder, Begriffe und Konzepte im Kontext der Berichterstattung über muslimische MigrantInnen Plausibilität erlangen: Durch welche diskursiven Logiken können sie als sag- und verstehbare Bilder überhaupt erst wirksam werden? Die hier verfolgte Zielsetzung richtet sich damit nicht auf eine Skandalisierung von medialen Inszenierungen.