Dr. Stefan Frank 2272 - Ein Baby für Dr. Bruckmann

von: Stefan Frank

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2015

ISBN: 9783732505289 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Dr. Stefan Frank 2272 - Ein Baby für Dr. Bruckmann


 

„Zwei Wochen noch“, sagte Dr. Eva Körner mit einem Lächeln zu ihrem jüngeren Kollegen Dr. Vincent Bruckmann, „dann fängt meine Kur an, und Sie müssen den Laden hier schmeißen, Herr Kollege!“

„Der Laden“ war die Unfallambulanz der Waldner-Klinik in München-Schwabing, die Eva Körner leitete. Seit Jahren arbeitete sie zu viel. Sie tat es gern, aber jetzt hatte ihr Hausarzt ihr dringend zu einer längeren Pause geraten.

„Sie sind ausgelaugt, Frau Körner, Sie dürfen so nicht weitermachen, sonst liegen Sie über kurz oder lang auf der Nase“, hatte er gesagt.

Zuerst hatte sie seinen Rat von sich geschoben, doch mit der Zeit war die Erkenntnis gewachsen, dass sie besser auf ihren Arzt hören sollte. Sie war noch nicht einmal vierzig Jahre alt, doch manchmal, wenn sie morgens in den Spiegel sah, erschrak sie über die graue Haut ihres Gesichts und die Müdigkeit in ihren Augen.

Und so war Dr. Vincent Bruckmann ins Spiel gekommen: ein junger Kollege, ebenfalls Unfallchirurg, noch nicht sehr erfahren, aber mit ausgezeichneten Referenzen und hervorragender Ausbildung. Er wollte möglichst unterschiedliche Erfahrungen machen und war bereit gewesen, für ein halbes Jahr an die Waldner-Klinik zu kommen, wo Eva Körner ihn zunächst einarbeiten würde.

Sie plante einen vierwöchigen Kur-Aufenthalt mit anschließendem zweiwöchigem Urlaub. Während ihrer Abwesenheit sollte Vincent Bruckmann sie vertreten und das Team der Unfallambulanz anschließend noch eine Weile entlasten.

Eigentlich hätte Eva Körners Assistent Jürgen Blatt sie vertreten sollen, doch er hatte von sich aus abgewunken. Die Leitung einer Station traute er sich nicht zu.

„Ich bin ein guter zweiter Mann“, hatte er zu Ulrich Waldner, dem Klinikchef, gesagt. „Aber an vorderster Front fühle ich mich nicht wohl.“

Vincent Bruckmann hatte ein etwas rundliches, liebenswürdiges Gesicht mit freundlichen braunen Augen, das man gerne ansah. Seine ebenfalls braunen, lockigen Haare vervollständigten den Eindruck eines sympathischen, vertrauenswürdigen Menschen. Eva Körner hatte bereits beobachtet, dass Dr. Bruckmann mit seinem Lächeln und seiner warmen Stimme bei manchen Patienten mehr erreichte als andere Ärzte mit vielen klugen Erklärungen.

Jetzt lächelte er unsicher. „Sie können es natürlich kaum erwarten, Frau Körner, hier wegzukommen. Aber ich muss sagen, mir wäre es lieber, ich hätte noch ein bisschen mehr Zeit zum Einarbeiten. Die Abläufe in einer solchen Station sind schon sehr vielfältig, und in richtigen Stress-Situationen …“

Er brach ab und setzte neu an.

„Ich weiß nicht, ob ich so ruhig bleiben kann wie Sie, wenn hier mehrere Verletzte gleichzeitig eintreffen. Dann muss man ja die Übersicht behalten, darf nicht panisch werden.“

„Dazu braucht man Erfahrung, das ist schon richtig. Ich konnte das am Anfang auch nicht, aber man lernt ja jeden Tag dazu. Außerdem sind Sie nicht allein. Das ist ein gutes Team hier; Herr Blatt wird Sie unterstützen, Schwester Veronika ebenfalls. Beide arbeiten schon lange in der Waldner-Klinik und sind mit den Abläufen in der Notaufnahme bestens vertraut.“

„Ich hoffe nur, ich enttäusche Sie nicht.“

„Dazu hätten Sie bis jetzt schon reichlich Gelegenheit gehabt, oder? Ich finde, Sie machen das sehr gut. Und ich kann auch sehen, dass Sie dazulernen. Wissen Sie noch, wie Ihr erster Tag bei uns verlaufen ist?“

„Erinnern Sie mich bloß nicht daran!“, flehte er und hob abwehrend die Hände. „Als ich abends nach Hause gegangen bin, war ich fest entschlossen, alle Vereinbarungen mit Herrn Waldner sofort rückgängig zu machen, weil ich mich für völlig ungeeignet hielt, in einer Notaufnahme zu arbeiten.“

„So geht es jedem am ersten Tag“, erklärte Eva Körner sachlich. „Denken Sie etwa, ich bin von Anfang an so ruhig geblieben, wenn hier das Chaos ausbrach? Mein erster Tag war schlimmer als Ihrer, glauben Sie mir. Ich habe so gut wie alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte. Und genau wie Sie habe ich sofort beschlossen, meine Kündigung einzureichen.“

„Wirklich?“

Mit einem Lächeln hob sie die rechte Hand. „Ich schwöre es!“

Die Türen der Notaufnahme öffneten sich, und mehrere Sanitäter kamen mit zwei fahrbaren Tragen herein.

„Unfall an der Leopoldstraße, zwei Kinder wurden auf einem Zebrastreifen von einem Kleinlaster erfasst …“

Die beiden Ärzte verteilten sich auf zwei Behandlungsräume, Eva Körner übernahm absichtlich das leichter verletzte Kind, um zu sehen, wie Vincent Bruckmann die Situation bewältigte. Es war ja richtig, was er gesagt hatte: Allzu viel Zeit zur Einarbeitung blieb nicht mehr.

Eine Stunde später tranken sie Kaffee. Die verletzten Kinder waren versorgt, ihre Eltern waren jetzt bei ihnen. Eins würde die Klinik heute noch verlassen können, das andere würde ein paar Tage bleiben müssen.

„Wenn ich nun allein gewesen wäre“, sagte Vincent nachdenklich, „Herr Blatt hätte noch keinen Dienst gehabt, ich wäre allein mit einer Schwester gewesen … Zwei verletzte Kinder, ich weiß nicht, welches ich zuerst versorgen soll …“

Eva unterbrach ihn.

„Doch, das wissen Sie!“, sagte sie nachdrücklich. „Ein Kind brauchte sofort Hilfe, das andere nicht unbedingt. Die Entscheidung, welcher Patient sofort versorgt werden muss, fällen Sie anhand der Informationen, die Sie von den Sanitätern bekommen. In den eher seltenen Fällen, wo mehrere Patienten unbedingt gleichzeitig versorgt werden müssen, bitten Sie Kollegen von den Stationen um Hilfe. Aber meistens schafft man das auch allein. Sie dürfen nicht vergessen, dass wir sehr gut ausgebildete Schwestern und Pfleger hier haben. Trauen Sie denen etwas zu, lassen Sie sie Ihnen helfen. Die können das, und sie tun es gern.“

„Es klingt so einfach, wenn Sie das so sagen: Ruhe bewahren und das Richtige tun.“

„Sie machen das schon, Herr Bruckmann.“

Wieder öffnete sich die Tür der Notaufnahme, doch dieses Mal wurden keine Patienten gebracht, sondern Dr. Stefan Frank kam herein. Er war Eva Körner freundschaftlich verbunden und besuchte sie öfter, wenn sie Dienst hatte.

„Stefan!“, rief sie erfreut. „Kommst du gerade erst, oder bist du schon wieder auf dem Rückweg?“

Er begrüßte sie mit einer Umarmung, Vincent reichte er die Hand.

„Ich komme gerade erst“, erklärte er.

„Dann trink einen Kaffee mit uns.“

Er lehnte nicht ab. Meistens trank er den Kaffee mit seinem langjährigen Freund Ulrich Waldner, doch heute war er bei Ulrich und seiner Frau Ruth zum Abendessen eingeladen, da fiel der Kaffee im Chefbüro aus.

„Kommen Sie eigentlich jeden Tag, Herr Frank?“, fragte Vincent.

„Ja, er kommt jeden Tag“, antwortete Eva für Stefan. „Er hat Belegbetten hier, und obwohl er seine Praxis in Grünwald hat, was – wie Sie vielleicht schon wissen – ziemlich weit draußen liegt, von Schwabing aus gesehen, besucht er seine stationär aufgenommenen Patienten jeden einzelnen Tag.“

„Sie praktizieren in Grünwald?“, fragte Vincent. „Das wusste ich nicht.“

„Ich wohne und praktiziere dort“, erklärte Stefan, „praktischerweise im selben Haus.“

„Das heißt, sie setzen sich nach Ihrer Sprechstunde ins Auto und fahren nach Schwabing?“

„So ist es. Ich finde, diejenigen meiner Patienten, die hier in der Klinik liegen, haben Anspruch darauf, dass ich mich um sie kümmere. Schließlich bin ich in der Regel derjenige, der sie hierher gebracht hat.“

„Dann haben Sie aber einen ziemlich langen Arbeitstag.“

„Ja“, gab Stefan Frank zu. „Aber wenn man Arzt wird, weiß man ja in der Regel, worauf man sich einlässt. Ich übe meinen Beruf immer noch mit Leidenschaft aus, kleine Unannehmlichkeiten gehören nun einmal dazu.“

Vincent hatte Stefan Frank bereits an seinem ersten Arbeitstag in der Klinik kennengelernt. Er war sofort beeindruckt gewesen von seinem älteren Kollegen, der so viel Ruhe ausstrahlte und für jeden Patienten das richtige Wort fand. Als er sich anschließend umgehört hatte, hatte er erfahren, dass Stefan Frank zwar nicht in der Waldner-Klinik arbeitete, aber dennoch dazugehörte. Jeder hier kannte und schätzte ihn.

„Und du, Eva?“, fragte Stefan Frank. „Wann entschwindest du in deine Kur?“

„In zwei Wochen. Zuerst wollte ich gar nicht weg, das weißt du ja, aber mittlerweile kann ich es kaum noch erwarten.“ Eva lächelte. Sie sah müde aus, wie eigentlich immer in letzter Zeit, aber die Vorfreude auf die baldige lange Pause ließ sie dennoch lebendiger wirken als sonst.

„Du hast dir eine Auszeit mehr als verdient. Und Sie, Herr Bruckmann? Wie gefällt Ihnen die Arbeit hier auf der Station?“

„Ich finde sie immer noch ziemlich einschüchternd“, erklärte Vincent mit der ihm eigenen Offenheit. „Darüber haben Frau Körner und ich gesprochen, bevor Sie gekommen sind. Sie meint, ich wachse da hinein, und ich hoffe nur, dass sie recht hat.“

„Natürlich hat sie recht“, erklärte Stefan Frank lächelnd. Er trank seinen Kaffee und stand auf. „Ich muss weiter, meine Patienten warten auf mich. Bis bald mal wieder.“

Eva und Vincent sahen ihm nach.

„Er ist ein beeindruckender Mann“, meinte Vincent. „Wie er mit den Patienten spricht, wie es ihm mit wenigen Worten gelingt, sie zu trösten und aufzurichten, ihnen Mut zu machen … So ein Arzt möchte ich auch gern werden.“

Eva...