Lassiter 2215 - Lassiter und die Waffenschmuggler

von: Jack Slade

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783732508051 , 64 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Lassiter 2215 - Lassiter und die Waffenschmuggler


 

Das Mädchen war kaum älter als zwanzig. Blond, schlank und üppig gebaut. In der zierlichen Faust hielt es einen großkalibrigen Revolver. Vor ihm im Staub lag leblos ein Mann in verschlissener Kleidung mit einem kreisrunden, blutenden Loch in der Stirn. Bevor sich Lassiter einen Reim darauf machen konnte, tauchte aus dem Schatten eines Vordachs ein zweiter Kerl auf, der irgendetwas brüllte. Die Mündung seines Colts war auf das Mädchen gerichtet.

Lassiter zog den 38er Remington und gab seinem Pferd die Sporen. Da krachte erneut ein Schuss. Der Mann mit dem Colt taumelte rückwärts, kippte zur Seite und blieb mit ausgestreckten Armen und gebrochenem Blick liegen.

Aus dem Saloon gegenüber trat eine Frau mit einer Winchester. Sie war ebenso blond, schlank und üppig wie das Mädchen, nur älter, aber mit denselben Gesichtszügen. Stumm blickten sie auf die Toten.

Der Lärm hatte die halbe Stadt geweckt. Verschlafene Gesichter pressten sich an die Fensterscheiben. Vereinzelt wagten sich Menschen aus den Häusern. Lassiter, der seinen Revolver wieder zurückgesteckt hatte, zügelte sein Pferd vor den Frauen. »Guter Schuss, Ma’am«, sagte er zu der Älteren.

»Dieser Bastard wollte meine Tochter erschießen! Sie haben das doch gesehen, Mister …?«

»Lassiter. Schenken Sie sich den Mister.«

»Ich bin Betty Kincaid und das ist Lola.«

Lassiter tippte mit zwei Fingern an den Rand seines Stetsons. Die beiden sahen wirklich prächtig aus. Ohne den Altersunterschied von gut zwanzig Jahren hätte man sie leicht für Zwillinge halten können. Die blonden Haarmähnen rahmten edel geschnittene Gesichter mit hohen Wangenknochen ein. Die großen blassblauen Augen leuchteten forsch. Unter den schmalen geraden Nasen saßen volle Lippen, so rot wie mexikanisches Chili.

»Ich habe gesehen, wie Sie den zweiten Mann in Notwehr erschossen, Betty«, sagte Lassiter. »Nicht aber, wie Ihre Tochter den ersten Kerl erledigt hat.«

»Letzte Nacht wollten mich die Outlaws im Stall vergewaltigen, als ich mein krankes Pferd pflegte«, ergriff nun Lola das Wort. Ihr praller Busen sprengte bei jedem Atemzug beinahe die Knöpfe der weißen Bluse, die sie zu einer verwaschenen Lewishose trug. »Es gelang mir, zu entkommen. Einer von ihnen lief mir vorhin wieder über den Weg und ich stellte ihn zur Rede. Als er seine Waffe zog, verteidigte ich mich. Ich hatte keine Ahnung, dass sein Kumpan im Hintergrund lauerte, bis Mum ihm eine Kugel verpasste!«

»Warum seid ihr überhaupt schon um diese frühe Stunde unterwegs?«, wollte Lassiter wissen.

Betty Kincaid deutete hinter sich auf den Rio Grande Saloon, aus dem sie mit der Winchester auf den Outlaw gefeuert hatte. »Wir haben erst seit Kurzem geschlossen.«

»Euch gehört der Saloon?«, fragte Lassiter ungläubig.

»Wir haben ihn gepachtet«, antwortete Betty, verstummte dann aber, denn ein schlaksiger Mann mit angegrautem Haar schritt eilig auf sie zu. An der schwarzen Lederweste trug er einen Blechstern.

»Was ist hier los?«, erkundigte sich Lewis Mortimer, der Town Marshal grimmig. Offenbar fühlte er sich um seine ausklingende Nachtruhe betrogen.

Betty und Lola berichteten ihm dasselbe, was sie auch Lassiter erzählt hatten. Der Gesetzeshüter blickte auf die Toten. »Das sind William und Wyatt Jakes. Ihre Steckbriefe hängen in meinem Office. Die Brüder werden in mehreren Bundesstaaten wegen Mordes, Brandstiftung und Vergewaltigung gesucht.« Der Town Marshal wandte sich an Lassiter, der inzwischen von seinem Pferd gestiegen war. Die wässrigen Augen in dem hageren, glatt rasierten Gesicht fixierten den Mann von der Brigade Sieben fest. »Waren Sie Zeuge der Schießerei, Fremder?«

Lassiter schilderte nun ebenfalls seine Beobachtungen. Schließlich nickte Mortimer. »Kommt mit ins Office, damit ich eure Aussagen schriftlich aufnehmen kann. Um die Jakes-Brüder kümmern sich der Leichenbeschauer und der Sargmacher.«

***

Lassiter quartierte sich in einem kleinen Zimmer in der oberen Etage des Rio Grande Saloon ein. Es passte ihm nicht, dass er, kaum mit einem Fuß in dem texanischen Nest, bereits Zeuge einer Schießerei geworden war. Für seinen neuen Auftrag wäre ihm weniger Aufmerksamkeit lieber gewesen.

Durch einen Mittelsmann von der Brigade Sieben, der Besitzer einer Pferdewechselstation in der Nähe von San Antonio war, hatte er genaue Anweisung bekommen. Er sollte sich als Vertrauter des ehemaligen Südstaaten-Rebellenführers Gregor McCord ausgeben, der Waffen von Texas nach Mexiko schmuggelte. McCord war vor kurzem bei einer Aktion der Brigade Sieben gestellt und seine Bande zerschlagen worden. Jetzt saß er in einem Bundesgefängnis und wartete auf seinen Prozess. Niemand außer der geheimen Organisation wusste davon.

Doch mit McCords Verhaftung hörte der Waffenschmuggel keineswegs auf. Im Gegenteil: Aus den Beständen mehrerer US-Army-Forts waren Hunderte Gewehre gestohlen worden, um sie über den Rio Grande in den Nachbarstaat Mexiko zu verschachern. Das legte die Vermutung nahe, dass ein weiterer Mob am Werk war. Lassiter sollte die Hintermänner ausfindig machen und sie notfalls mit Hilfe von Bundesmarshals der Justiz überstellen. Der illegale Waffenhandel im Grenzland von Laredo musste endgültig unterbunden werden.

Nach ein paar Stunden Schlaf auf seinem Zimmer ging Lassiter nach unten in den Saloon, der zu dieser Zeit schon gut besucht war. Der Tresen war genauso voll besetzt wie die meisten Tische. Selbst um den einzigen Spieltisch scharten sich bereits die ersten Kartenhaie.

Lassiter suchte sich eine freie Ecke und blickte durch das fleckige Fenster hinaus. Es war bereits Mittag. Wie ein weißglühender Fleck stand die Sonne am wolkenlosen, stahlblauen Himmel. Der Wind wehte Staubfahnen über die hitzeflimmernde Straße. Die Passanten bewegten sich fast ausschließlich in den Schatten der Vordächer. Nur wenige Reiter waren zu sehen.

Betty servierte Lassiter einen starken schwarzen Kaffee und eine reichliche Portion Eier mit Speck. Der Mann von der Brigade Sieben aß mit gesundem Appetit. Die Kincaid-Mädels, die aus dem aufgebockten Holzfass am Tresen Bier zapften, warfen ihm kesse Blicke zu, die er ungeniert erwiderte. Vielleicht ergab sich noch das eine oder andere. Er hatte nichts dagegen.

Kaum hatte er zu Ende gedacht, setzte sich Betty an seinen Tisch. »Bist du auf Durchreise, Lassiter?«

»Sozusagen«, antwortete er einsilbig.

»Und was heißt das genau?«

»Ich bin Geschäftsmann.«

»So siehst du nicht gerade aus. Eher wie ein Mann, der besser mit dem Colt als mit dem Schreibzeug umgehen kann.«

»Manchmal trügt der Eindruck.«

Betty lächelte, entblößte dabei blendend weiße Zähne. »Und was ist dein Geschäft?«, fragte sie belustigt.

»Waffen.«

»Das ist ein sehr einträgliches Geschäft«, erwiderte die Blondine ernster. »Und es ist gefährlich. Vor allem, wenn Waffen geschmuggelt werden.«

»Aus diesem Grund bin ich hier. Kennst du dich damit aus?«

Die Frau lachte. »Nein, ich bin nur eine Saloonpächterin. Aber vielleicht wissen andere etwas darüber. Der Big Boss in Laredo ist Don ›Coyote‹ Ashley, der Direktor der Cattle Bank. Er hat so ziemlich jeden in der Tasche. Angefangen vom Bürgermeister über die Stadtverwaltung bis hin zu Lewis Mortimer.«

»Den Town Marshal?«

Betty nickte. »Mächtige Leute kaufen sich zuallererst das Gesetz. Dann können sie nämlich tun und lassen, was sie wollen.«

»Das habe ich schon oft erlebt. Wie kommt Ashley eigentlich zu seinem Spitznamen?«

»Bestimmt nicht wegen seines Aussehens. Allerdings ist er genauso verfressen, durchtrieben, hinterhältig und feige wie ein Präriewolf.«

Lassiter wollte nicht zu sehr nachbohren, sondern zuerst mehr über die beiden Frauen erfahren. »Warum führst du einen Saloon in diesem Drecksnest?«, fragte er. »Das ist ein höchst ungewöhnlicher Broterwerb für eine Mutter und ihre Tochter. Wo ist Lolas Vater?«

Bettys Fröhlichkeit, die sie bis jetzt an den Tag gelegt hatte, schwand prompt. Niedergeschlagen blickte sie auf ihre feingliedrigen Hände, die auf der Tischplatte lagen. Ihre Finger zitterten. »Das ist eine lange Geschichte, Lassiter. Ich weiß nicht, ob du sie hören willst«, sagte sie bitter.

»Sonst würde ich nicht fragen.«

Die vierzigjährige Frau strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn, bevor sie zögerlich zu erzählen begann. »Vor acht Jahren waren wir eine ganz normale Familie – Lola, mein Mann Timothy und ich. Damals gehörte uns eine kleine Farm außerhalb von Laredo. Es war ein entbehrungsreiches aber glückliches Leben. Das glaubte ich zumindest. Doch der Kampf gegen die Natur, die Hitze, den Staub, die Unwetter zermürbte Tim immer mehr. Er wurde unzufriedener, wollte die Farm aufgeben, obwohl sie alles war, was wir besaßen. Eines Tages brach das Unglück vollends über uns herein …« Betty verstummte abrupt. Gefangen in der Erinnerung knetete sie nervös ihre Hände.

»Was ist geschehen?«, fragte Lassiter behutsam nach.

»Die fremden Männer kamen im Morgengrauen. Sie überfielen unsere Farm, raubten die Pferde, stahlen unser Erspartes und verschleppten Tim. Lola war damals zwölf Jahre alt.« Betty stockte erneut. Ein Schatten glitt über ihr Gesicht. Tränen schimmerten in ihren blassen blauen Augen. »Wochen darauf wurde auf der texanischen Seite des Rio Grande eine verkohlte Leiche ans Ufer gespült. Sie war völlig entstellt. Doch Statur und Kleidungsreste ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um...