Klassiker der Erotik 59: Illyrine oder die Klippen der Unerfahrenheit - Die erotische Autobiographie einer feinen Dame des 18. Jahrhunderts

von: Suzanne Giroux de Morency

Math. Lempertz, 2014

ISBN: 9783944964683 , 172 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,49 EUR

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Klassiker der Erotik 59: Illyrine oder die Klippen der Unerfahrenheit - Die erotische Autobiographie einer feinen Dame des 18. Jahrhunderts


 

Kapitel 1


Ich bin in Paris geboren und entstamme einer reichen Kaufmannsfamilie. Meine ehrwürdige und vortreffliche Mutter war die Tochter des Präsidenten R… Sie heiratete mit 30 Jahren in zweiter Ehe den Kaufmann N. Giroux. Weil sie als eine einzigartige Schönheit galt - doch sie war so tugendhaft, wie sie hübsch aussah verbannte sie mein Vater auf einen Landsitz, den er mitten in einer Landschaft gekauft hatte, die fast so unbewohnt wie die Wüsten Arabiens war. Kurz nach meiner Geburt wollten meine Eltern diese Einöde besiedeln, die ihnen gehörte. Ich sage besiedeln, das ist genau das richtige Wort, denn sie hatten 13 Kinder. Nach 12 Jahren war ich von allen meinen 12 Geschwistern, die noch am Leben waren, die Erstgeborene, die als einzige in Paris zur Welt kam und deren Körperbau, wie sich zeigte, einmal schwächlich sein würde.

Man brachte mich sogleich nach meiner Geburt in ein Landhaus zu einer Amme, wo meine Großmutter mütterlicherseits wohnte. Das 13. Kind, das meine Mutter zur Welt brachte, war das Sorgenkind meiner Eltern. Bald vergaß man gänzlich, wie schwächlich ich war. Aber meine Mutter hatte ein zu gutes und zartfühlendes Herz, um einen Sproß der Familie der vollständigen Vergessenheit anheimfallen zu lassen.

Was meinen Vater anbelangt, spielte eine Tochter, die vier Brüder hatte, bei ihm nur eine untergeordnete Rolle. Wie es auch sei - ich wurde von meiner ehrwürdigen Großmutter geliebt und wuchs in ihrer Obhut auf. Ich hatte sie sehr liebgewonnen, als mein Vater plötzlich auf den Gedanken kam, mich in den Schoß der Familie zurückzurufen. Damals hatte ich schon das 12. Lebensjahr vollendet und gab zu großen Hoffnungen Anlaß. Die Zukunft wird beweisen, ob ich diese Hoffnungen erfüllt habe. In vielen Dörfern, ja ich wage sogar zu sagen, in den benachbarten Städten, galt ich als das reizvollste junge Mädchen dieser Gegend. Aber zu meinem Unglück hat es der Natur gefallen, meine Schwestern mit denselben Vorzügen auszustatten, die man bei mir zu Recht bewunderte. Vielleicht waren sie auch hübscher?

Ich lebte nun im Hause meines Vaters, aber ich hatte keineswegs den ersten Rang inne, obwohl ich die Erstgeborene war. Meine Geschwister betrachteten mich nämlich als einen Eindringling, weil sie sich aneinander gewöhnt hatten. Meine Eltern wiederum schenkten ihre Liebe den Kindern, die sie selbst großgezogen hatten. Ich spielte deshalb nur eine unbedeutende Rolle. Bald litt darunter mein Stolz. Sehr bedauerte ich es, daß ich nicht mehr bei meiner Großmutter lebte, wo ich machen konnte, was ich wollte. Dies ist auch der Grund für meine Abneigung gegen mein Elternhaus, wo ich mich ständig den Launen meiner jüngeren Geschwister unterordnen mußte, obgleich ich - wie man sagte, aufgrund meiner Erstgeburt - vernünftiger sein sollte. Auch habe ich schon erwähnt, wie ich glaube, daß meine Schwestern sehr schön waren. Mein Vater, der seine Kinder in dem Grad liebte, wie sie seinem Stolz schmeichelten, ließ mich grausam meine Unterlegenheit gegenüber meinen Schwestern fühlen. Deshalb meine ich, daß die Eltern gar nicht genug Sorgfalt aufwenden können, um die kleinen Rivalitäten und die verletzenden Vergleiche der Kinder untereinander nicht aufkommen zu lassen. Sie rufen fast immer feindselige Gefühle hervor, die man nur sehr schwer wieder beseitigen kann.

Ich halte mich nicht lange mit meiner Kindheit auf, weil ich mich jenem glücklichen und interessanten Alter widmen will, das auf sie folgte. Das schlechte Verhältnis, das zwischen mir und meinen Geschwistern bestand, führte schließlich dazu, daß man mich aus dem Elternhaus nahm. Ein Kloster war der Zufluchtsort, den man für mich aus wählte. Ich hätte es lieber vorgezogen, zu meiner lieben Großmutter zurückkehren zu können. Weil man aber der Meinung war, daß sie mich verwöhnt habe, hielt man es nicht für ratsam, mich zu ihr zurückzuschicken.

So kam ich in das Kloster der Ursulinerinnen von… Ich war zwölfeinhalb Jahre alt, von großer Statur und hatte eine hübsche Figur. Man überhäufte mich, wie es so Brauch ist, in den ersten Tagen mit Liebkosungen. Mein Charakter, der von Natur aus leutselig war, fand bald eine Möglichkeit, sich zu bestätigen, weil ich durch kein Gebot bei diesen fremden Menschen gezwungen war, mich jemandem anzuschließen. Meine Wahl war frei, und ich schenkte mein Herz dem erstbesten Menschen, dessen Wesen große Ähnlichkeit mit dem meinen hatte. Man darf aber nicht vergessen, daß ich eben erst gelernt hatte, zu denken und zu fühlen. Ich mußte lieben, und in dem Augenblick, wo ich aufhöre zu lieben und geliebt zu werden, wird mein Leben zu Ende sein. Ja, meine Freundin, das wäre mein Tod.

Im Kloster hatte ich nur mit Frauen ein engeres Verhältnis, weil ich ja vom Umgang mit dem anderen Geschlecht völlig abgeschlossen war, dem ich meine Gefühle hätte schenken können. Aber diese Beziehungen waren ganz harmlos, weil ich weder die Sinneslust noch den Zweck der Leidenschaft kannte.

Ein ganz besonders enges Verhältnis hatte ich zu zwei Mitschwestern, die auch sehr hübsch waren. Obgleich ich eine Frau war, verliebte ich mich dennoch in diese beiden, die von der Natur reichlich mit den Gaben der Schönheit beschenkt worden waren. Mein kleines Herz geriet schon durch das zärtliche Verhältnis mit meinen zwei Freundinnen in Entzücken. Das gleiche lebhafte Gefühl habe ich für meine erste Klassenlehrerin empfunden; ein Gefühl, von dem ich selbst heute, wie ich behaupte, nicht deutlich sagen kann, welcher Natur es war.

Madame St. B. hatte eine Figur wie eine Römerin. Aber ich will sie nicht als regelrecht schön, sondern eher als würdevoll bezeichnen. Sie besaß einen schmachtenden und sentimentalen Gesichtsausdruck, der während meines ganzen Lebens, wenn ich ihm bei Frauen begegnete, eine verführerische Wirkung auf mich hatte. Schon von frühester Jugend an, meine Freundin, zeigt sich unsere Geschmacksrichtung. Diese bezaubernde Frau empfand für mich Zuneigung. In sehr kurzer Zeit machte ich dank ihrer Bemühungen beachtliche Fortschritte. Niemals hat sie mich bestraft. Sie hat sich allein der Macht bedient, die man immer über mich ausüben konnte, nämlich die der Freundschaft. Ohne dieses Gefühl, das man bei mir weckte und mich spüren ließ, hätte man bei keiner Gelegenheit etwas bei mir erreichen können. Wenn ich mir irgendein Verdienst erworben habe, dann verdanke ich es der Freundschaft. Wenn ich aber einige Tugenden besitze, dann nur dank der Liebe. Das sind meine Götter! Ihnen allein habe ich geopfert und meine Huldigung geleistet!

In kurzer Zeit wurde ich in der Obhut meiner liebenswürdigen Lehrerin die gebildetste von allen Kostgängerinnen. Von Natur aus besaß ich Fantasie, Scharfsinn und ein sehr gutes Gedächtnis. Weil ich nicht danach strebte, stolz auf diese Gaben zu sein, erwarb ich mir auch keine Feinde. Durch den sechsmonatigen Aufenthalt in meiner großen Familie hatte ich mir schon genug Schlauheit erworben, um meinen Charakter dem der anderen anzupassen. Ein Gefühl von Mitleid hatte mich so tolerant gemacht, daß ich immer die Partei der Schwachen und Abwesenden vertrat.

Verhätschelt von meinen Lehrerinnen und geliebt von meinen Mitschülerinnen verbrachte ich zwei Jahre im Kloster, die vielleicht die schönsten oder doch wenigstens die ruhigsten in meinem Leben waren. Ich war fast 14 Jahre alt, und meine Neugierde trieb mich an, die Welt kennenzulernen. Nun hatte ich das heiratsfähige Alter erreicht. Und gewisse Begierden, deren Grund ich nicht kannte, verrieten mir undeutlich, daß mein Leben für etwas anderes als das Kloster bestimmt war. Meine Eltern nahmen mich aus dem Kloster, und ich verließ es mit Kummer und Freude. Wenn auch die Hälfte meines Herzens bei meinen Freundinnen im Kloster blieb, mit welcher Freude schenkte ich die andere meiner Familie!

Mein Einzug in mein Elternhaus war für mich ein Triumphzug. Man stellte fest, daß ich mich sehr entwickelt und viel dazugelernt hatte. Aber meine Schwestern waren so schön! Mein Stolz war gekränkt. Im Kloster war niemand, der mir überlegen gewesen war. Aber was bestand jetzt für ein Unterschied! Meinem Vater machte es eine besondere Freude, mich ihre Überlegenheit spüren zu lassen. Nach seinem Beispiel fügte mir das Hauspersonal und Fremde, die uns besuchten, oft dieselbe Kränkung zu. Da meine Schwestern viel jünger als ich waren, bediente ich mich sehr geschickt dieses Altersunterschiedes, um über diese Gunstbeweise hinwegzusehen, die man ihnen erwies. Ich bekenne, daß ich immer zur Eifersucht neigte, aber heute, wenn mich auch die große Lebenserfahrung nicht vollständig von dieser verderblichen Eigenschaft geheilt hat, weiß ich doch wenigstens sie zu bändigen.

Es dauerte nicht lange, bis ich wegen der Bevorzugung Genugtuung erhielt, die meine Schwestern genossen. In unserer Gegend nämlich grassierten die unechten Blattern. Ich hatte sie schon vor 5 oder 6 Jahren gehabt, aber bei mir waren keine Narben zurückgeblieben. Meine Schwestern dagegen hatten noch nicht diesen grausamen Tribut...