Kritik des Neoliberalismus

von: Christoph Butterwegge, Bettina Lösch, Ralf Ptak

VS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV), 2008

ISBN: 9783531909325 , 291 Seiten

2. Auflage

Format: PDF, OL

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Preis: 19,99 EUR

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Kritik des Neoliberalismus


 

Grundlagen des Neoliberalismus (S. 13)

Ralf Ptak

Zweifellos ist „Neoliberalismus" einer der schillerndsten Begriffe unserer Zeit. In der internationalen Diskussion steht er für die Kritik und das Unbehagen gegenüber einer entwurzelten Ökonomie im globalen Maßstab. Diese negative Deutung ist noch ein relativ junges Phänomen, obwohl der Neoliberalismus auf eine 70-jährige Geschichte zurückblicken kann. Zwar diskutierte man schon in der „alten" Bundesrepublik während der 50erund 60er-Jahre über die marktoptimistischen Positionen der neoliberalen Stichwortgeber von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.

Auch das neoliberale Wirtschaftsprogramm des chilenischen Diktators Augusto Pinochet fand zusammen mit seiner „Verfassung der Freiheit" um die Mitte der 1970er-Jahre internationale Beachtung. Formuliert hatten es die „Chicago- Boys", eine Gruppe radikaler neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler um den Nobelpreisträger Milton Friedman an der Universität in Chicago, die das lateinamerikanische Land unter diktatorischen Bedingungen zum ersten realen Großversuch des Neoliberalismus werden ließen. Gleichwohl blieb der Neoliberalismus damals im Kern ein Spezialthema wenig einflussreicher akademischer Zirkel.

Das änderte sich in den 90er-Jahren, als die Folgen jenes internationalen Politikwechsels offen zutage traten, der zu Beginn der 70er-Jahre eingeleitet worden war. Die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Flexibilisierung der Wechselkurse der nationalen Währungen, die Intensivierung des Freihandels, der massive Rückbau der Sozialstaaten sowie eine Wirtschaftspolitik, die auf die einseitige Verbesserung der Angebotsbedingungen von Unternehmen zielt, hatten die Konturen einer neuen Wirtschafts- und Sozial( un)ordnung geformt und sichtbar werden lassen.

Überall auf der Welt waren und sind die Auswirkungen des neuen Paradigmas zu spüren – wenngleich in unterschiedlicher Qualität und Quantität. Mit der neoliberalen Globalisierung vollzog sich insofern nicht nur eine Verallgemeinerung der sozialen und ökonomischen Probleme, sondern auch eine Internationalisierung der Diskussionen über die Ursachen dieser Neuordnung der Welt. Am Ende des 20. Jahrhunderts avancierte der Neoliberalismus zur dominanten Ideologie des Kapitalismus, deren Leitsätze international den Referenzrahmen für die Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik vorgeben.

Dabei ist der Machtanspruch des Neoliberalismus total und universell – total im Sinne einer umfassenden Entpolitisierung des Gesellschaftlichen und universell im Hinblick auf seinen globalen Geltungsanspruch. Wider diese Totalität hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt eine breite internationale Bewegung gegen das Vordringen neoliberaler Politiken formiert – der Neoliberalismus wurde zum negativen Inbegriff des entfesselten, global agierenden Kapitalismus.

Für die Gegner der Kritiker, etwa den Leiter des Wirtschaftsressorts der Zeit, Uwe Jean Heuser, ist deshalb „der Begriff des Neoliberalen (...) hoffnungslos politisiert und seiner ursprünglichen Bedeutung entfremdet" worden.2 In seiner als „Einführung" ausgegebenen Verteidigung des Neoliberalismus spricht Gerhard Willke gar vom „Elend der Neoliberalismuskritik", um diese als völlig unangemessen erscheinen zu lassen.3 Tatsächlich hat die Popularisierung des Begriffs „Neoliberalismus" diesen zu einem politischen Schlagwort werden lassen, dem heute verschiedenste Bedeutungen zugewiesen werden.

Die einen sehen darin eine rein ideologische Bewegung, andere verstehen darunter ausschließlich die expansionistische Politik der US-amerikanischen Supermacht, und wieder andere erkennen im Neoliberalismus einen allgemeinen Trend zur Ökonomisierung der Gesellschaft. Diese Bedeutungsvielfalt ist allerdings charakteristisch für ein politisches Schlagwort und sagt zunächst nichts über die Qualität der Kritik am Neoliberalismus aus, wie dessen Verteidiger suggerieren wollen. Sie kennzeichnet auch andere Schlüsselbegriffe, z. B. die „Soziale Marktwirtschaft", welche ihrem theoretischen Ursprung nach ein Konzept des deutschen Neoliberalismus der 1940er-Jahre war und heute im Bewusstsein der Bevölkerung mit unterschiedlichsten wohlfahrtsstaatlichen Arrangements verbunden wird.