Hedwig Courths-Mahler - Folge 047 - Ich will

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783732502899 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 047 - Ich will


 

Kommerzienrat Hochstetten hatte es durchgesetzt, dass die neue Zweigbahn zwischen dem Gut des Barons Letzingen und seinem eigenen Elektrizitätswerk eine Station erhielt. Das war von großem Nutzen für die vielen hundert Arbeiter, die Hochstetten in seinen Fabriken und dem Elektrizitätswerk beschäftigte. Sie wohnten fast ausnahmslos in der nahen Stadt. Sie brauchten nun den Weg nicht mehr zu Fuß zurückzulegen, sondern konnten mit billigen Arbeiterkarten die Bahn benutzen.

Auch die zahlreichen umliegenden Güter profitierten davon. Sie vermochten die Erzeugnisse der Landwirtschaft bequemer nach der Stadt zu befördern, deren Einwohner willige Abnehmer dafür waren. Hauptsächlich Baron Letzingen war gut dabei weggekommen. Für ihn lag die Station am günstigsten. Die Gutsbesitzer der Umgegend, die fast ausnahmslos altadeligen Geschlechtern angehörten, hatten allen Grund, Hochstetten dankbar zu sein. Er war mit seinen großartigen Unternehmungen so recht ein Segen für die ganze Gegend geworden. Es war ein frischer Zug in die stagnierenden Agrarierverhältnisse gekommen, seit Hochstetten Konservenfabriken in großem Stil angelegt hatte. Man wusste nun, wo man zurzeit des Überflusses mit Obst und Gemüse gute Preise erzielen konnte. Hochstetten kaufte alles. Vieh, Geflügel und Wild nicht ausgeschlossen.

Obwohl Hochstetten ein bürgerlicher Emporkömmling war, verkehrten alle adeligen Gutsbesitzer in seinem Haus. Aber sie taten es nur aus egoistischen Gründen, um sich geschäftlich gut mit ihm zu stellen. Heimlich spöttelten sie nicht wenig über ihn. Der kleine, behäbige Mann war keine elegante Erscheinung, obwohl er immer tadellos gekleidet war. In seinem grobzügigen Gesicht waren nur die klugen braunen Augen und die feste, charakteristische Stirn von Bedeutung. Er hatte in seinem Leben zu viel gearbeitet, um sich den leichten, sicheren Umgangston und den nötigen gesellschaftlichen Schliff aneignen zu können. Als Geschäftsmann war er sicher, energisch, tatkräftig und umsichtig. In Gesellschaft dagegen zeigte er sich schweigsam, etwas linkisch und unbeholfen. Gerade weil er selbst fühlte, dass ihm in dieser Beziehung manches fehlte, war er unsicher, und das gab manche kleine Entgleisung, die von denen, die ihm so viel Dank schuldeten, nicht immer mit einer in diesem Fall angebrachten Delikatesse übersehen wurde. Weil man seine Überlegenheit in geschäftlichen Dingen fühlte und sein nach Millionen zählendes Vermögen den Neid der um ihre Existenz ringenden Edelleute erweckte, hielt man sich nach kleinlicher Menschenart schadlos, indem man seine kleinen Fehler glossierte und aufbauschte.

Noch mehr spottete man über seine Schwester. „Tante Josephine“, wie man sie allgemein nannte, war das Ziel zahlloser Witze und Witzchen. Gleich ihrem Bruder in schlichten Verhältnissen aufgewachsen, führte sie seit dem Tod ihrer Schwägerin den Haushalt. Sie war selbst seit Jahren verwitwet. Die sonst sehr liebenswerte und tüchtige Frau krankte an der Sucht, vornehm wirken zu wollen. Sie schwärmte für den Adel und war hoch beglückt, dass im Hause ihres Bruders alle Edelleute aus der Umgegend und die Offiziere der beiden in der Stadt stehenden Regimenter verkehrten.

Hochstetten hatte eine einzige Tochter. Renate Hochstetten hatte eine vortreffliche Erziehung erhalten. Ihr Vater wusste den Wert einer solchen doppelt zu schätzen, weil er sie selbst nicht genossen hatte. Renate hatte von ihrer früh verstorbenen Mutter eine schlanke, feingliedrige Gestalt und anmutige Züge geerbt. An den Vater gemahnten nur die klugen, braunen Augen und die feste, klare Stirn.

Sie war ein schönes Mädchen, und da sie die einzige Erbin ihres Vaters war, bewarben sich viele Freier um ihre Gunst.

Aber Renate hatte einen eigenwilligen, unberechenbaren Charakter. Nachdem sie, aus der Pension zurückgekehrt, das Leben und Treiben in ihres Vaters Haus mit offenen Augen beobachtet hatte, wurde aus dem liebenswürdigen, sorglos heiteren Kind ein seltsam verändertes Wesen. Bitterkeit und Verachtung der Menschen, die sich in ihre Umgebung drängten, erfüllten ihr Herz.

Sie liebte ihren Vater und ihre Tante Josephine von Herzen. Auch ihr entgingen die kleinen Mängel der beiden nicht, aber sie wusste, dass sie durch große Tugenden und Vorzüge reichlich aufgewogen wurden.

Es konnte ihrem scharfen Blick nicht entgehen, wie man sich in der Gesellschaft heimlich über die beiden ihr so lieben Menschen lustig machte. Manche Bemerkung, manches Spottlächeln fing sie auf. Dieselben Männer, die ihr huldigten und sich um ihre Gunst bewarben, blickten verächtlich auf den Emporkömmling, von dem sie sich manche Wohltat gefallen ließen. In der ersten Zeit stieg oft ein wilder Zorn in ihr auf bei dieser Erkenntnis. Am liebsten hätte sie diesen Menschen ins Gesicht gesagt, wie erbärmlich sie ihr erschienen. Manche heiße Träne weinte sie im Stillen. Ihr feines Empfinden wurde nur zu oft verletzt. Nach und nach wurde sie wohl ruhiger, aber sie lernte die Menschen verachten und fing an, sich für die erlittenen Demütigungen zu rächen.

Sie trieb nun ihrerseits ein Spiel mit all den Bewerbern um ihre Gunst. Und wenn sie einen recht schlimm behandelt hatte, so erfüllte sie tiefe Genugtuung. All ihre Liebe und Güte drängten sich zusammen und strömten auf den Vater und die Tante Josephine aus. Aber niemand war Zeuge ihrer weichen Stimmungen. Diese verbarg sie fast ängstlich vor allen Menschen. Nach außen zeigte sie ein launenhaftes, spöttisches und kühl überlegenes Wesen oder eine kokette Liebenswürdigkeit, wenn sie einen Freier ermutigen wollte, sich einen Korb zu holen.

So war sie bald in den Ruf einer herzlosen Kokette gekommen. Aber obwohl mancher enttäuscht abziehen musste: Ihr mit Schönheit gepaarter Reichtum zog immer neue Bewerber an. Jeder hoffte, dass er der eine sein würde, dem dieses spröde Mädchen Herz und Hand reichte. So war Renate zweiundzwanzig Jahre alt geworden, ohne daran zu denken, sich zu verheiraten.

Unter all den jungen Herren, die im Hause ihres Vaters verkehrten, war nur ein einziger, der sich nie um Renates Gunst bewarb. Das war Baron Letzingen. Sie hielt ihn für adelsstolzer und hochmütiger als alle anderen und fühlte sehr wohl, dass er fast verächtlich über sie hinwegsah. Nie suchte er ihre Nähe, nie sagte er ihr eine Schmeichelei, wie sie sie von anderen bis zum Überdruss hörte. Stets zeigte er ihr eine kühle überlegene Miene und schien ihr oft direkt auszuweichen. Er war ihr darum der Unausstehlichste von allen jungen Männern, die sie kannte.

Heinz Letzingen verkehrte sehr viel in der Waldburg. So hieß das schlossähnliche Gebäude, das sich Hochstetten vor Jahren zwischen Letzingen und seinen Fabriken hatte erbauen lassen. Der große, herrliche alte Park, der die Waldburg umgab, war ursprünglich Letzingener Forstbesitz gewesen. Hochstetten hatte dieses Stück Wald dem alten Baron Letzingen, Heinz’ Vater, zu einem sehr ansehnlichen Preis abgekauft. Die Summe hatte Baron Letzingen geholfen, seinen Besitz wieder emporzubringen. Klug opferte er dieses Stück Wald, um den übrigen Besitz zu retten.

Dazu kam, dass durch Hochstettens geschäftliche Beziehungen zu Letzingen dessen Erzeugnisse nutzbringender verwendet werden konnten. Als der alte Baron vor zwei Jahren starb, konnte er seinem Sohn einen geordneten Wohlstand und einen fast schuldenfreien Besitz hinterlassen. Heinz Letzingen stand auch jetzt noch in reger geschäftlicher Verbindung mit dem Kommerzienrat. Deshalb war er oft in der Waldburg.

Dieses schöne, im Stil der Hochrenaissance errichtete Gebäude war sehr geräumig und mit allem neuzeitlichen Komfort ausgestattet. Hochstetten benutzte es mit seiner Familie als ständigen Wohnsitz. Immer herrschte eine sehr lebhafte Geselligkeit in den Räumen, deren Einrichtung Hochstetten von sachverständigen Händen hatte ausführen lassen. Fast jeden Tag waren Gäste in der Waldburg anzutreffen.

Renate hatte eine einzige Freundin, die sie in der Pension kennen gelernt hatte, Ursula von Ranzow, und sie war oft auf Wochen in der Waldburg zu Gast.

Auch heute hatte sie Renate wieder von der Station abgeholt. Die beiden jungen Damen hatten dann mit Tante Josephine in Renates Salon den Tee eingenommen und waren jetzt auf einem Spaziergang im Park.

Ursula, Reichsfreiin von Ranzow, war ein unscheinbares, etwas verblasstes Geschöpf. Das schmale Gesichtchen erhielt jedoch durch ein Paar liebe, blaue Augen einen angenehmen Ausdruck. Sie war Waise, sehr arm und von einer engherzigen Tante abhängig, bei der sie gewissermaßen das Gnadenbrot aß.

Ihr Bruder Rolf war Offizier in der Stadt und verkehrte viel im Hause Hochstettens. Er gehörte zu Renates eifrigsten Bewerbern. Ursula freute sich jedes Mal unsagbar, wenn sie eine Einladung nach der Waldburg erhielt. Dort verlebte sie die glücklichsten Tage ihres Lebens. Sie liebte und bewunderte Renate aufrichtig und schwärmte geradezu für sie. Ihr gegenüber zeigte sich Renate wie sie wirklich war. Der Kommerzienrat und Tante Josephine hatten das anspruchslose, stille Mädchen sehr gern und freuten sich immer, wenn sie kam.

Arm in Arm schritten die beiden ungleichen Mädchengestalten durch den Park. Renate war ungleich schöner, frischer und eleganter als Ursula, deren schlichtes Kleidchen deutlich die billige Hausschneiderin verriet.

Auf einer Bank nahmen sie Platz, als sie sich müde gelaufen hatten und plauderten weiter.

Sie hatten nicht bemerkt, dass ein etwa dreißigjähriger Mann schnell in das dichte Gebüsch trat, als er sie von weitem erblickte. Es schien, als wollte er ihnen nicht begegnen. dass sie dicht neben dem Gebüsch auf der Bank Platz nahmen, schien ihm unangenehm zu...