Hedwig Courths-Mahler - Folge 037 - Hans Ritter und seine Frau

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783732502790 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 037 - Hans Ritter und seine Frau


 

Felicitas Wendland saß in ihrem Stübchen, das Tante Laura, die Frau des Hofrats Schlüter, ihr angewiesen hatte, als sie nach dem Tod ihres Vaters bei ihren Verwandten Aufnahme fand. Hofrat Schlüter bewohnte mit seiner Familie eine Amtswohnung in einem alten Gebäude. Es sah von außen nicht sehr freundlich aus, aber die Räume, die der Familie des Hofrats zur Verfügung standen, waren groß und behaglich. Es gehörten sogar zwei Säle dazu, deren Fußböden die Frau Hofrat blitzblank hatte bohnern lassen, so dass man bei festlichen Anlässen famos darauf tanzen konnte.

Felicitas besaß aber nur das kleine Zimmer für sich. Ihre Tante hatte gemeint, die junge Dame müsse sich bescheiden lernen. Felicitas war ja jetzt nicht mehr die einst so gefeierte Tochter eines bekannten Wissenschaftlers, die im Haus des Vaters eine große Rolle gespielt hatte, sondern nur eine arme Waise, die froh sein musste, bei ihren Verwandten Aufnahme gefunden zu haben.

Ihr Vater war der Bruder der Frau Hofrat, auf den sie bei Lebzeiten sehr stolz gewesen war. Jetzt dachte sie aber nicht gern an ihn, jetzt sagte sie nur immer seufzend: „Mein Bruder hätte kein so großes Haus führen, sondern lieber ein bisschen für die Zukunft sorgen sollen, damit seine Tochter nun nicht auf uns angewiesen wäre.“

Man war nicht gerade feinfühlig Felicitas gegenüber. Am nettesten zu ihr war der Hofrat selbst, aber er war meist abwesend und spielte außerdem in seinem Haus eine ziemlich untergeordnete Rolle. Tante Laura gab den Ton an, und sie tat das mit einem kolossalen Aufwand von Stolz und Würde.

Sie behandelte Felicitas so, dass sie nicht einen Augenblick im Zweifel bleiben konnte über die Größe des Opfers, das man ihr brachte.

Auch Lorchen und Bärbchen, die beiden erwachsenen Töchter des Hofrats, waren nicht besonders liebenswürdig zu ihr. Früher war das anders gewesen. Aber damals hatte sich das auch gelohnt. Der Onkel war sehr freigiebig; und er gab immer so reizende Feste, auf denen sich die jungen Herren auch gegen die Nichten des Gastgebers sehr zuvorkommend benahmen.

Lorchen und Bärbchen waren durchaus keine hässlichen Mädchen – o nein, es waren hübsche, blonde frische Dinger. Aber ein wenig Durchschnittstypus. Sie besaßen nicht die elegante Schlankheit, die edlen Linien und die graziösen Bewegungen ihrer Kusine. Ihre wässerigen, blauen Augen mit weißblonden Wimpern waren nicht sehr ausdrucksvoll und deshalb sahen fast alle Menschen – hauptsächlich natürlich die Herren – viel lieber in die wundervollen braunen Augen der Kusine als in die von Lorchen und Bärbchen. Und das war doch nicht sehr angenehm.

Außerdem – wie sich Felicitas zu kleiden verstand! In den schlichtesten Trauerfähnchen hatte sie schon wie eine Prinzessin ausgesehen, und nun legte sie die Trauer ab, um bald wieder farbige Kleider zu tragen. Besonders in Weiß sah sie immer unerhört schön aus.

Nun sollte sie wieder mit in Gesellschaft gehen, da das Trauerjahr zu Ende war. Lorchen und Bärbchen fanden zwar, dass die arme Felicitas dazu gar nicht berechtigt sei, aber die Hofrätin meinte, der Leute wegen könne man sie nicht mehr zu Hause lassen.

Einen Trost hatten die Schwestern jetzt aber. Sie hatten für das bevorstehende große Ballfest, das Hofrats jeden Winter gaben, neue „himmlische“ Roben bekommen. Felicitas aber musste sich ein altes Kleid aufarbeiten. Sie besaß zwar aus der Glanzzeit im Haus ihres Vaters noch eine Menge sehr schöner und zum Teil auch kostbarer Toiletten, aber die waren doch nicht mehr modern.

So saß nun Felicitas in ihrem Stübchen und bemühte sich, ein Abendkleid aus elfenbeinfarbigen Spitzen zu modernisieren; und während sie eifrig, mit glühenden Wangen an ihrem Kleid nähte, flog immer wieder ein glückliches, sehnsüchtiges Lächeln über ihr schönes Gesicht.

Wozu brauchte sie teure, glänzende Toiletten – dieses Kleid tat es auch! In kurzer Zeit würde sie doch ein ganz anderes Leben beginnen und noch mehr sparen, ein Leben, in dem es keine großen glänzenden Gesellschaften geben würde, aber dafür ein reiches, stilles Glück.

Ach, wie sie sich darauf freute, in einem eigenen kleinen Heim schalten und walten zu können!

Sie lachte glücklich in sich hinein und nahm schnell aus einem verschlossenen Kästchen, das neben ihr auf dem Tisch stand, die Fotografie eines jungen Mannes. Mit leuchtenden Augen blickte sie in das schöne Gesicht. „Harry, mein Harry! Nun werden wir uns bald, bald angehören dürfen für immer“, flüsterte sie.

Glückstrahlend legte sie das Bild wieder in das Kästchen und verschloss es. Dann nähte sie eifrig weiter.

„Schön will ich aussehen für dich, Harry! Du sollst stolz auf mich sein!“

Sie freute sich sehr auf diesen ersten Ball, den sie nach des Vaters Tod besuchen wollte. Ehrlich und tief hatte sie den Vater betrauert, der zu ihr immer liebevoll gewesen war, wenn er es auch nicht verstanden hatte, für ihre Zukunft zu sorgen. Sie wollte ihm immer ein herzliches Andenken bewahren. Aber nun regte sich doch wieder die Jugend in ihrem Herzen.

Und vor allem – sie würde Harry Forst auf diesem Fest im Haus der Tante sehen! Er war eingeladen worden und hatte zugesagt, das wusste sie von ihm selbst. Als sie ihm neulich auf der Straße begegnet war, und sie sich, anscheinend nur einige höfliche Worte wechselnd, begrüßt hatten, hatte sie ihn danach gefragt.

Ach, wie sie sich danach sehnte, einmal wieder eine Weile ungestört mit ihm plaudern zu können! Nur selten waren sie im Trauerjahr zusammengetroffen, immer nur einige verstohlene Worte wechselnd. Das würde nun anders werden. Nun würde er sein Schweigen brechen und offiziell um ihre Hand anhalten. Eigentlich war das ja gar nicht mehr nötig. Sie waren längst einig, und da sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren mündig war, hatte ihr niemand dreinzureden. Aber der Form halber musste Harry dem Onkel und der Tante Mitteilung machen von ihrer Verlobung.

Als Felicitas die letzten Stiche an ihrem Kleid nähte, wurde die Tür geöffnet, und Bärbchen Schlüter trat ein.

„Mein Gott, Fee, du bist noch immer nicht fertig?“, rief sie missbilligend.

Felicitas hob lächelnd den Kopf. „Nur diese Falte noch festnähen, Bärbchen, dann ist es geschehen.“

Bärbchen trat näher und sah mit neugierigem, gespanntem Ausdruck auf das Kleid herab.

„Wozu du dir nur die Menge Arbeit gemacht hast? Das Kleid war doch auch ohnehin noch sehr hübsch!“

„Mir war es nicht schön genug.“

„Nun, ich an deiner Stelle hätte es lieber getragen wie es war. Am Ende verdirbst du mit der Änderung nur den guten Sitz.“

Fast übermütig blitzten Felicitas herrliche Augen in die blassblauen Bärbchens. „Keine Sorge, Kusinchen, das tue ich gewiss nicht.“

„Nun, nun, sei nur nicht so sicher! Mama sagt immer, bei Änderungen kommt nichts heraus. Zieh doch das Kleid mal an, Fee!“, forderte sie ungeduldig.

„Sofort, Bärbchen.“

„Komm, wenn du es angezogen hast, ins Wohnzimmer hinüber, damit Mama und Lorchen es auch sehen!“

„Ja, Bärbchen, ich komme“, erwiderte Felicitas.

Bärbchen verschwand missmutig.

Als Felicitas ins Wohnzimmer trat, saß ihre Tante mit einer Handarbeit am Fenster. Lorchen, das getreue Ebenbild Bärbchens, blätterte in einem Modejournal.

Felicitas trug das geänderte Spitzenkleid. Es schmiegte sich in tadellosem Sitz um die jugendschöne Brust und um die schlanken Hüften. Die Damen waren starr. Felicitas sah so wunderschön aus, dass es ihnen die Rede verschlug.

Eine Weile blieb es still. Endlich brach die Hofrätin, die sich zuerst fasste, das Schweigen. „Du hast wirklich ein unglaubliches Geschick, Fee; das muss man dir lassen. Das Kleid sieht wie neu aus“, sagte sie sauersüß.

„Mein Gott! Du müsstest Schneiderin werden bei deiner Veranlagung!“, rief Lorchen, ihr kurzes Näschen hochmütig emporhebend.

Fee wusste, dass man sie nur kränken wollte. Das war sie schon gewöhnt. Aber die Hoffnung, das Haus mit seinen „liebenswürdigen“ Besitzern bald für immer verlassen zu können, ließ alles an ihr abgleiten.

„Nun, warum nicht Schneiderin?“, fragte sie mit leiser Ironie. „Wer weiß, vielleicht nütze ich einmal mein Geschick aus und gründe einen Modesalon. Das ist nichts Neues mehr. Es gibt viele Damen, die das tun, und früher einmal ’bessere Zeiten’ kannten. Neulich habe ich sogar gelesen, dass die Witwe eines englischen Lords einen Modesalon eröffnet hat. Sie soll ein Vermögen damit verdienen.“

Die Hofrätin sah sie strafend an. „Aber Fee, solch ein Gedanke! Das mag eine sonderbare Lady sein. In den Zeitungen steht viel, was nicht wahr ist. Du solltest so etwas nicht einmal denken, viel weniger aussprechen. Immerhin bist du ja noch die Tochter eines in weiten Kreisen bekannten Mannes.“

Fee strich sinnend an ihrem Kleid herab.

„Ist denn dieser Gedanke ein Unrecht, liebe Tante? Ich muss dir sagen, dass ich mich nicht scheuen würde, ihn auszuführen, wenn – nun ja, wenn ich nicht in eurem Haus Aufnahme gefunden hätte.“

Die Hofrätin legte erregt ihre Handarbeit weg.

„Gottlob, dass wir dich davor behütet haben! Du weißt wirklich nicht, was du sprichst, Fee. Dein Vater würde sich im Grab umdrehen, könnte er dich hören.“

Fee seufzte leise. Aber dann flog ein sonniges Lächeln über ihr Gesicht.

„Ach, Tante Laura, Papa war ein Tatmensch, der eine solche Frage niemals tragisch genommen hätte. Dazu stand er viel zu sehr über den Dingen....