Der Duft der Omega-Wölfe 2

von: Sigrid Lenz

dead soft verlag, 2014

ISBN: 9783944737539 , 316 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 5,99 EUR

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Der Duft der Omega-Wölfe 2


 

Kapitel 2


 

Er wachte auf, als er die Treppen heruntergestoßen wurde, jeder Teil seines Körpers, den er bislang nicht gespürt hatte, nun ebenfalls schmerzte.

Sie zerrten ihn aus dem Gebäude. Er presste die Lider geschlossen gegen das Licht, das ihm grell in die Augen stach, sobald er sich im Freien befand. Als sie ihn losließen, blieb er liegen, lange Zeit unfähig sich zu rühren.

Das Licht verlor bereits an Intensität, als es ihm gelang, sich hoch zu kämpfen. Seine tastenden Hände fanden die Stoßstange des Wagens, in dem er gekommen war. Obwohl eines seiner Augen sich zugeschwollen anfühlte, erkannte er ihn. Die Tür war angelehnt, der Schlüssel steckte und Vernon sollte wohl Dankbarkeit empfinden, doch er fühlte nichts als Verlust, Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Er hatte Dariel gesehen. Es war Dariel gewesen in diesem Raum und Vernon ihm für einen Augenblick nahe. Der Zweifel wich dem Entsetzen über seine eigene Unfähigkeit, sein eigenes Versagen. Die Wut, die er nun suchte, verflog je näher er ihr kam, bis sie nur noch Erschöpfung zurückließ. Vernon zog sich in den Fahrersitz, startete den Motor und lenkte das Gefährt unsicher zurück auf die Fahrbahn. Er konzentrierte sich darauf, bei Bewusstsein zu bleiben, den Schmerz zu ignorieren, die Verzweiflung zu überwinden.

 

Als er das Motel erreichte, blieb er einen Augenblick im Wagen sitzen und lehnte die Stirn gegen das Lenkrad. Die Schritte bis zur Tür zogen sich. Er hörte nicht, dass die sich öffnete, sah Dominik kaum, der sich mit beiden Händen an den Rahmen klammerte, bevor er aus dem Raum eilte, seinen Arm vorsichtig um ihn legte und ihn stützte, während Vernon blind vor Blut und Tränen in das Zimmer stolperte.

Dominik sagte kein Wort, drückte ihn nur auf eines der beiden Betten und verschwand, um einen Augenblick später zurückzukehren. Vernon saß still, reglos, die Augen geschlossen, seine Gedanken ein Chaos ohne Ausweg, ohne Ziel, ohne Sinn. Er spürte kaum, dass Dominik seine Stirn und sein Gesicht erst abtupfte, dann reinigte. Das Brennen des Desinfektionsmittels bedeutete nichts im Vergleich zu dem Schmerz in seiner Seele. Nicht einmal Dominik darauf hinzuweisen, wie unnötig seine Bemühungen waren, fiel ihm ein. Auch nicht, als der ihm sein Hemd auszog, die Prellungen kühlte, die Wunden verband und ihn wortlos in den Stand zog, um seine Hose zu entfernen. Es war ihm nicht einmal peinlich, in Unterwäsche vor dem Menschen zu stehen, und wieder zu sitzen, die Augen vorsichtig zu öffnen, als der ihm die Socken von den Füßen rollte. Seine Knöchel wirkten geschwollen und Vernon versuchte sich zu erinnern, ob die Wächter Anstalten unternommen hatten, sie zu brechen oder zu quetschen. Doch gab er den Versuch auf, als Dominik mit einem kalten Waschlappen die Schwellung eindämmte.

„Es geht schon“, sagte er, unterbrach als Erster das Schweigen. „Das heilt von selbst.“

Dominik sah zu ihm hoch und lächelte. „Ist schon in Ordnung“, antwortete er, stand auf und setzte sich neben ihn.

Vernon vermisste auf einmal und unerwartet die Fürsorge, die Hände auf seiner Haut und auf seinem Körper. Die Wärme des anderen und die Kälte der lindernden Maßnahmen, die ihn heilten und trösteten. Das Gefühl kam unerwartet und plötzlich, überraschte ihn in seiner Intensität.

Dass Dominik den Arm um seine Schultern legte und ihn zögernd an sich zog, erstaunte ihn. Mehr noch überraschte ihn jedoch seine eigene Reaktion. Intuitiv, ohne Absicht, ohne die Bewegung wirklich wahrzunehmen, sank er gegen Dominik, bis sein Kopf an dessen Schulter lag. Wie von selbst schlangen seine Arme sich um Dominiks Körper und lediglich die Tatsache, dass dessen Hemd sich nach einer Weile feucht anfühlte, wies darauf hin, dass er es mit seinen Tränen durchtränkte. Das Schluchzen kam lautlos und so natürlich, dass es ihn nicht einmal entgeisterte.

Für einen Augenblick fühlte er sich sicher, seltsam, fälschlich und doch gänzlich geborgen. Und das in den Armen eines Menschen, eines Wesens, das ihn nicht schützen konnte, das nicht einmal annähernd seine Stärke besaß. Und das doch die Kraft hatte, ihm den notwendigen Trost zu schenken.

Vernon schob die Einwände von sich, die Vorstellung dessen, was andere Wölfe zu ihm sagen, von ihm denken würden. Sein Körper schmerzte, obwohl er bereits heilte, doch die Schwäche in ihm würde niemals vergehen. Sein Alpha war ein Witz, eine Fassade, mühsam aufrechterhalten und doch eine Lüge, hinter der sich nichts verbarg. Nichts als Leere und Unvermögen. Versagen, Enttäuschung und das Wissen, zu der Hülle des Wolfes geworden zu sein, der er hätte werden sollen.

Seine Tränen versiegten, sein Schluchzen verging und er blieb nur noch der Kern, die Essenz seiner selbst, ohne Lügen oder Vorgaben. Ohne sich dagegen zu wehren, Trost bei Dominik zu suchen und zu finden.

Es schien ihm eine Ewigkeit vergangen zu sein, als er die Umarmung löste, zögernd und langsam. Dunkelheit war längst eingebrochen. Keiner von ihnen hatte sich genug bewegt, um das Licht einzuschalten.

Dominik sprach immer noch nicht und Vernon war dankbar über dessen stumme Akzeptanz, das stillschweigende Verständnis. Er legte die Hände ineinander und betrachtete sie, nun imstande, an nichts zu denken als an die Bewegung seiner Finger, den Schmerz abzublocken, die Trauer zu überwinden.

Erst als Dominik sich zur Seite lehnte, um das Nachtlicht anzuschalten, wurde ihm bewusst, dass der weniger sehen konnte, weniger riechen als er. Er sah ihn an – Dominik wich seinem Blick aus und hob stattdessen eine Ecke des Verbandes an Vernons Seite an. Seine Rippe schmerzte nicht mehr und ohne hinzusehen, wusste Vernon, dass die rote Färbung verblasst war. Trotzdem bewegten sich Dominiks Finger vorsichtig und langsam über seine Haut, ähnlich einer Liebkosung.

Vernon fühlte sein Herz in der Brust. Es trommelte und dann lag Dominiks Hand auf seiner Brust, genau darüber, fühlte die Schläge. Erst jetzt begegnete Dominik, wenn auch zögernd, Vernons Blick.

„Geht es dir besser?“, fragte er, seine Stimme leiser, unsicherer als gewöhnlich und Vernon nickte nur.

„Was, was tust du?“, fragte er anstelle einer Antwort und spürte die Bewegung seines Kehlkopfes, als er trocken schluckte.

Um Dominiks Lippen zuckte es, doch ein Lächeln bildete sich nicht. Er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nur, dass es dir besser geht“, sagte er schließlich und ließ seine Hand zwischen sie beide auf die Matratze sinken.

Ohne nachzudenken bedeckte Vernon die mit seiner eigenen. Er atmete aus und nickte.

„Ich habe ihn verloren, wieder.“

Dominik sah ihn an und Vernon fuhr fort, lauschte auf die Worte, die in seiner Kehle vibrierten. „Wenn er es war, wenn ich nicht vollkommen durchdrehe.“ Er lachte freudlos. „Die Anzeichen sprechen dafür.“

Dominik wich seinem Blick aus, seufzte. „Die haben dich ganz schön zugerichtet.“

„Eine Warnung.“ Vernon atmete aus. „Wieder.“

„Hat es funktioniert?“ Der Blick, der Vernon nun traf, war neugierig, spiegelte ein wenig den Dominik wieder, den er kannte.

Er dachte nach, griff nach dem Wasser, das er bislang nicht angerührt hatte, leerte den Zahnputzbecher in einem Zug. „Vielleicht“, gab er zu. „Ich bin der Sache müde. Ich – bin fast geneigt zu glauben, dass sie alle recht haben. Zudem …“ Er zögerte, räusperte sich. Seine Stimme klang belegt. „Zudem bin ich nicht sicher, was schlimmer wäre. Dass ich Dariel wirklich dort gesehen hätte, in diesem …“ Er verstummte, schloss die Augen, schob das schmutzige Bett, das undeutliche Bild des knienden Omegas darauf zur Seite.

„Und damit zugelassen habe, dass ihm all das zustößt.“ Er räusperte sich wieder. „Oder dass er bereits seit Langem tot und verscharrt in seinem Grab liegt.“

Es auszusprechen erleichterte die Vorstellung nicht. Vernon blinzelte, schüttelte den Kopf. „Dann wäre ihm zumindest dieses Haus erspart geblieben.“

Dominiks Hand lag plötzlich auf seiner Schulter. „Es ist nicht deine Schuld“, sagte er. „Du hast immer getan, was in deiner Macht stand. Und ich wette, dass du es auch weiterhin versuchen wirst.“

Vernon senkte den Kopf. „Auf diese Wette würde ich nichts geben. Vielleicht komme ich endlich zu Verstand. Oder kann es wenigstens vorgeben.“ Er rieb sich die Schläfen, die Wangen, spürte wieder und mit Abscheu die Feuchtigkeit auf seiner Haut. Heftig schüttelte er den Kopf. „Sieh mich an. Ich bin eine Peinlichkeit, eine Schande für meinen Klan, für meinen Vater. Vielleicht – vielleicht habe ich es nur nie intensiv genug versucht. Vielleicht, wenn es mir gelingt, ein für alle Mal abzuschließen, bekomme ich noch eine Chance.“

Dominiks Handrücken wanderte über Vernons Wange und der hob den gerade erst gesenkten Kopf an. „Ich mache mir was vor, ist es nicht so?“, fragte er gepresst.

Dominik legte den Kopf schräg. Sein Blick wanderte zu Vernons Lippen. „Ich weiß es nicht“, sagte er leise. „Das musst du entscheiden.“

Vernon sah zur Seite, studierte den Kunstdruck an der Wand ohne ihn wirklich wahrzunehmen, nur um Dominiks Blick auszuweichen.

„Ich habe es doch versucht“, sagte er. „Ich dachte, dass ich bereits ganz gut darin sei. Zu vergessen, nach Neuem Ausschau zu halten, mit meinesgleichen abzuhängen.“

„Deinesgleichen?“ Dominik hob die Augenbrauen. Vernons Blick huschte zu den vertrauten Zügen.

„Du weißt, was ich meine“, sagte er. „Alphas.“ Seine Stimme nahm einen bitteren Ton an....