Der Marsianer - Roman

von: Andy Weir

Heyne, 2014

ISBN: 9783641144005 , 512 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Der Marsianer - Roman


 

1

Logbuch: Sol 6

Ich bin so was von im Arsch.

Das ist meine wohlüberlegte Meinung.

Im Arsch.

Sechs Tage nach Beginn der vermeintlich großartigsten zwei Monate meines Lebens setzte der Albtraum ein.

Ich weiß nicht, wer dies hier überhaupt lesen wird. Vermutlich wird es irgendwann einmal jemand finden. Vielleicht in hundert Jahren.

Für die Akten: Ich bin nicht an Sol 6 gestorben. Die anderen Crewmitglieder dachten dies sicherlich, und das kann ich ihnen nicht zum Vorwurf machen. Vielleicht gibt es einen nationalen Trauertag für mich, und auf meiner Wikipediaseite kann man es nachlesen: »Mark Watney ist der einzige Mensch, der je auf dem Mars gestorben ist.«

Wahrscheinlich wird das sogar zutreffen, denn ich sterbe ganz bestimmt hier – aber mein Todestag ist nicht Sol 6, wie alle anderen annehmen.

Mal sehen, wo fange ich an?

Das Ares-Programm. Die Menschen greifen nach dem Mars und schicken zum ersten Mal Astronauten auf einen anderen Planeten, um den Horizont der Menschheit unermesslich zu erweitern, blabla. Ares 1 hat seinen Beitrag geleistet, die Crewmitglieder sind als Helden zurückgekehrt. Ihnen zu Ehren gab es Aufmärsche, sie waren berühmt, die Herzen aller Menschen flogen ihnen zu.

Ares 2 tat das Gleiche an einem anderen Ort auf dem Mars. Bei ihrer Rückkehr bekamen sie einen kräftigen Händedruck und eine Tasse heißen Kaffee.

Ares 3, das war meine Mission. Na gut, nicht meine allein. Commander Lewis war meine Vorgesetzte. Ich war einfach nur ein Mitglied ihrer Crew. Genau genommen war ich sogar das Besatzungsmitglied mit dem niedrigsten Rang. Ich hätte nur dann das Kommando der Mission übernommen, wenn ich der einzige Überlebende auf dem Mars gewesen wäre.

Was soll ich sagen? Ich habe das Kommando.

Ich frage mich, ob dieses Logbuch entdeckt wird, ehe der Rest der Crew an Altersschwäche stirbt. Vermutlich sind sie gut nach Hause gekommen. Leute, wenn ihr das hier lest: Es war nicht eure Schuld. Ihr habt getan, was ihr tun musstet. Ich an eurer Stelle hätte genau das Gleiche getan. Ich mache euch keine Vorwürfe, und ich bin froh, dass ihr überlebt habt.

Für den Fall, dass ein Laie dies liest, sollte ich vielleicht erst einmal erklären, wie die Marsmissionen ablaufen. Zuerst steigen wir auf herkömmliche Weise in eine Erdumlaufbahn auf und erreichen mit einem gewöhnlichen Raumschiff die Hermes. Alle Ares-Missionen benutzen die Hermes, um zum Mars und wieder zurück zu gelangen. Es ist ein sehr großes Schiff, das eine Menge Geld gekostet hat. Daher hat die NASA nur ein einziges gebaut.

Nachdem wir die Hermes erreicht hatten, brachten uns vier weitere unbemannte Missionen den Treibstoff und die Vorräte, während wir uns auf die Reise vorbereiteten. Als schließlich alles klar war, starteten wir zum Mars. Aber nicht sehr schnell. Die Zeiten des starken Schubs mit chemischen Triebwerken bis in den Mars-Orbit sind vorbei.

Die Hermes hat Ionentriebwerke. Aus dem Heck des Schiffs schleudern sie mit hoher Geschwindigkeit Argon ins Weltall, um einen winzigen Schub zu erzeugen. Dazu braucht man keine große Reaktionsmasse, sodass ein wenig Argon (und dazu ein Atomreaktor, der die Energie liefert) ausreichen, um uns ständig leicht zu beschleunigen. Sie würden staunen, wie schnell Sie werden, wenn Sie beharrlich mit geringem Schub beschleunigen.

Ich könnte Ihnen jetzt in aller Ausführlichkeit schildern, wie vergnüglich unsere Schiffsreise war, aber das schenke ich mir, denn ich habe keine Lust, mir das noch einmal selbst vor Augen zu führen. Es soll reichen zu sagen, dass wir nach 124 Tagen den Mars erreichten, ohne uns gegenseitig die Gurgeln durchgeschnitten zu haben.

Von dort aus flogen wir mit dem MLM (Marslandemodul) zur Oberfläche hinunter. Das MLM ist im Grunde nur eine große Blechdose mit ein paar kleinen Steuertriebwerken und Fallschirmen. Seine einzige Aufgabe besteht darin, sechs Menschen aus der Umlaufbahn auf die Marsoberfläche zu befördern, ohne sie umzubringen.

Jetzt kommen wir zum eigentlichen Clou der Marserkundung: Unser ganzes Zeug wurde im Voraus geliefert.

Insgesamt vierzehn unbemannte Missionen hatten alles, was wir für die Erforschung der Oberfläche brauchten, schon vorher dorthin gebracht. Die NASA hatte sich bemüht, alle Versorgungssonden in derselben Gegend zu landen, und es ziemlich gut hinbekommen. Die Vorräte sind nicht annähernd so empfindlich wie Menschen und können recht hart aufschlagen. Allerdings hüpfen sie dann ein wenig umher.

Natürlich haben sie uns erst zum Mars geschickt, als klar war, dass alle Vorräte die Oberfläche erreicht hatten und die Behälter nicht zerbrochen waren. Alles in allem dauert eine Marsmission etwa drei Jahre. Als die Crew von Ares 2 auf dem Heimweg war, flogen schon die ersten Vorräte für Ares 3 zum Mars.

Der wichtigste Bestandteil der vorab geschickten Güter war natürlich das MRM, das Marsrückkehrmodul. Damit sollten wir nach Abschluss der Bodenoperationen wieder zur Hermes hinauffliegen. Im Gegensatz zu den übrigen unsanft mit Ballons abgeworfenen Vorräten wurde das MRM sehr behutsam abgesetzt. Natürlich stand es jederzeit mit Houston in Funkverbindung, und falls es irgendein Problem damit gab, sollten wir am Mars vorbeifliegen und nach Hause zurückkehren, ohne überhaupt zu landen.

Das MRM ist ein ziemlich cooler Apparat. Dank einiger raffinierter chemischer Reaktionen mit der Marsatmosphäre kann man aus jedem Kilogramm Wasserstoff, das man mitbringt, dreizehn Kilogramm Treibstoff gewinnen. Allerdings ist das ein langwieriger Prozess. Es dauert vierundzwanzig Monate, den Tank zu füllen. Deshalb wird das MRM schon lange vor der Ankunft der Crew hergeschickt.

Sie werden verstehen, wie enttäuscht ich war, als ich entdeckte, dass das MRM verschwunden war.

Eine lächerliche Abfolge von Ereignissen führte dazu, dass ich fast gestorben wäre, und eine noch wahnwitzigere Serie von Ereignissen ließ mich überleben.

Die Mission ist darauf angelegt, Sandstürme bis zu einer Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern zu überstehen. Daher wurde Houston sehr nervös, als 175 Stundenkilometer schnelle Winde auf uns einprügelten. Wir zogen die Raumanzüge an und hockten uns mitten in die Wohnkuppel, um vor Druckverlust geschützt zu sein. Die Wohnkuppel war allerdings nicht das Problem.

Das MRM ist ein Raumschiff und hat viele empfindliche Teile. Bis zu einem gewissen Punkt kann es Stürme aushalten, aber eine Sandstrahlbehandlung übersteht es nicht ewig. Nach anderthalb Stunden unablässigem Wind gab die NASA den Befehl zum Abbruch. Niemand wollte eine mehrwöchige Mission schon nach sechs Tagen abbrechen, doch wenn das MRM zu stark beschädigt worden wäre, hätten wir alle auf dem Mars festgesessen.

Wir mussten in den Sturm hinaus und uns von der Wohnkuppel zum MRM durchschlagen. Das war gefährlich, aber was blieb uns anderes übrig?

Alle außer mir schafften es.

Die Hauptantennenschüssel, die unsere Signale von der Wohnkuppel zur Hermes übertrug, wirkte wie ein Fallschirm und wurde aus der Verankerung gerissen und weggefegt. Unterwegs krachte sie in die Empfangsantenne. Dann traf mich eine der langen Stabantennen wie ein Speer. Das Ding schlug durch meinen Raumanzug wie eine Gewehrkugel durch ein Stück Butter, und ich hatte die schlimmsten Schmerzen meines Lebens, als es mich an der Seite verletzte. Ich kann mich noch erinnern, wie mir die Luft wegblieb (genau genommen wurde sie mir sogar entrissen) und wie meine Ohren schmerzten und knackten, als mein Raumanzug Druck verlor.

Das Letzte, was ich bewusst wahrnahm, war Johannsen, die hilflos die Arme zu mir ausstreckte.

Der Sauerstoffalarm meines Anzugs weckte mich. Es war ein stetiges, nervtötendes Piepsen, das mir die unendlich tiefe Sehnsucht austrieb, einfach zu sterben.

Der Sturm war abgeflaut, ich lag mit dem Gesicht voran am Boden und war fast vollständig vom Sand begraben. Als ich benommen die ersten klaren Gedanken fassen konnte, wunderte ich mich, warum ich nicht längst tot war.

Die Antenne hatte genug Wucht gehabt, um den Anzug und meine Haut zu durchbohren, war aber an meinem Beckenknochen aufgehalten worden. Daher gab es nur je ein einziges Loch im Anzug und in mir.

Der Aufprall hatte mich ein paar Meter weggeschleudert, und ich war einen steilen Abhang hinabgerollt und mit dem Gesicht voran gelandet. Die Antenne hatte sich dabei verbogen und übte eine Menge Druck auf das Loch im Anzug aus. So war eine schwache Versiegelung entstanden.

Außerdem strömte reichlich Blut aus meiner Wunde zum Loch. Sobald es die Öffnung erreichte, verdunstete im Wind und im niedrigen Luftdruck das Wasser aus dem Blut und hinterließ eine klebrige Masse. Das Blut, das danach herbeiströmte, gerann ebenfalls, bis das ganze Leck einigermaßen dicht war und eine Gefahr darstellte, mit der mein Anzug gerade noch umgehen konnte.

Der Anzug leistete eine bewundernswerte Arbeit. Er spürte den Druckabfall und lieferte zum Ausgleich ständig Stickstoff aus der Druckflasche nach. Sobald das Loch weit genug verschlossen war, musste er nur noch kleine Mengen einspeisen, um den Verlust auszugleichen.

Nach einer Weile waren allerdings die CO2-Tauscher im Anzug erschöpft. Dies ist der Faktor, der die Lebenserhaltung am stärksten einschränkt....