Neues Organon

von: Francis Bacon

e-artnow, 2014

ISBN: 9788026811190 , 286 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Neues Organon


 

Franz von Verulam's Grosse Erneuerung der Wissenschaften.


Vorrede.



Ueber die ungünstige, nicht fortschreitende Lage der Wissenschaften; es muss ein durchaus anderer, bisher nicht gekannter Weg dem menschlichen Verstande eröffnet, und andere Hülfsmittel müssen beschafft werden, damit der Geist von seinem Rechte gegen die Natur Gebrauch machen kann.

Die Menschen scheinen weder ihre Mittel noch ihre Kräfte richtig zu kennen; von jenen halten sie mehr, von diesen weniger, als recht ist. So kommt es, dass sie entweder die vorhandenen Künste sinnlos überschätzen und nichts über sie hinaus verlangen, oder dass sie sich selbst mehr als billig verachten, ihre Kräfte auf unbedeutende Dinge verwenden und in den wichtigsten nicht versuchen. So sind ihren Wissenschaften gleichsam Säulen vom Schicksal gesetzt, über die hinauszukommen man weder das Verlangen noch die Hoffnung hat.  Aber eingebildeter Reichthum ist eine Hauptursache der Armuth, und die Zuversicht auf das Gegenwärtige lässt die wahre Hülfe für die Zukunft vernachlässigen. Deshalb ist es zweckmässig, ja nothwendig, dass hier an der Schwelle meines Werkes ohne Umschweife und im Ernste alles Uebermaass von Ehrfurcht und Bewunderung vor den bisherigen Entdeckungen aufhöre, und dass die nützliche Ermahnung ergehe, man möge dessen Menge und Nützlichkeit nicht übertreiben noch übertrieben rühmen. Denn schaut man genauer in jene bunte Reihe der Bücher, von denen Künste und Wissenschaften  strotzen, so wird man finden, dass darin überall dasselbe ohne Ende wiederholt wird, wobei nur die Art der Behandlung wechselt, aber an Erfindung nichts Neues hervorkommt. So meint man bei dem ersten Blick Vieles zu besitzen, aber bei der Prüfung schmilzt es zu Wenigem zusammen. Und im Punkt der Nützlichkeit muss man offen gestehen, dass jene Weisheit, die wir hauptsächlich von den Griechen empfangen haben, eine kindische Wissenschaft ist und mit den Kindern das Eigenthümliche theilt, dass sie geschickt zum Schwätzen macht, aber unfähig und unreif zum Erzeugen ist. Sie ist fruchtbar an Streitfragen, aber unfruchtbar an Werken, so dass die Fabel von der Scylla genau auf den jetzigen Zustand der Wissenschaften passt, die das Gesicht und den Mund einer Jungfrau zeigte, aber deren Leib bellende Ungeheuer umgürteten und behingen. So haben auch Wissenschaften, an die wir uns gewöhnt, einige schmeichelnde und zierliche Allgemeinheiten; kommt man aber zu dem Besonderen, gleichsam zu den Zeugungstheilen, aus denen die Frucht und das Werk hervortreten soll, dann beginnt der Streit und der bellende Zank, in dem sie verlaufen, und welche die Stelle der Geburt vertreten. Wären diese Wissenschaften nicht eine völlig abgestorbene Sache, so durfte es wenigstens nicht dazu kommen, dass sie Jahrhunderte hindurch nicht von der Stelle rückten und keinen des Menschengeschlechts würdigen Zuwachs erhielten, wie dies geschehen ist. Dies geht so weit, dass nicht blos Behauptungen oft nur Behauptungen bleiben, sondern Fragen nur Fragen, und dass alle Erörterungen sie nicht lösen, sondern befestigen und unterhalten; ja dass die ganze Ueberlieferung und Folge der Wissenschaften nur Lehrer und Schüler zeigt, aber keinen Erfinder und Keinen, der den vorhandenen Erfindungen etwas hinzugefügt hätte.

In den mechanischen Künsten sehen wir dagegen das Entgegengesetzte geschehen; gleich als wären sie eines Lebensodems theilhaftig, vermehren und vervollkommnen sie sich täglich. Bei dem ersten Erfinder erscheinen sie meist roh, ziemlich schwerfällig und unförmlich; aber später gewinnen sie immer neue Vortheile und werden bequemer, und es möchten eher die Wünsche und Neigungen der Menschen erlöschen oder sich ändern, als dass jene zum Gipfel ihrer Vollkommenheit gelangten. Die Philosophie dagegen und die höheren Wissenschaften werden den Götterbildern gleich zwar verehrt und gefeiert, aber nicht vorwärts gebracht. Wenn sie auch mitunter bei ihrem ersten Begründer sich kräftig zeigen, so arten sie doch später aus. Denn nachdem die Menschen sich in fremde Gewalt gegeben haben und auf die Worte eines Mannes gleich den Senatoren ohne Stimmrecht schwören, geben sie den Wissenschaften keine Erweiterung mehr, sondern mühen sich nur, gewisse Autoren zu preisen und in niedrigem Dienst zu umstehen. Man wende mir nicht ein, dass die Wissenschaften allmählich gewachsen und zuletzt eine gewisse Selbstständigkeit gewonnen haben, so dass endlich in den Werken weniger Männer ihnen feste Sitze hätten bereitet werden können (gleichsam als hätten sie den gesetzlichen Zeitraum vollendet). Man sage nicht, dass, weil etwas Besseres sich nicht mehr erfinden lasse, so bleibe nur übrig, das bereits Gefundene auszuschmücken und zu pflegen.

Man möchte freilich wünschen, dass es sich so verhalten hätte. Aber das Richtigere und Wahre ist, dass diese Entlassung der Wissenschaften zur Selbstständigkeit nichts weiter ist als ein Zustand, der aus dem Selbstvertrauen Einiger und aus der Sorglosigkeit und Trägheit aller Uebrigen hervorgegangen ist. Nachdem die Wissenschaften vielleicht in einzelnen Schulen mit Fleiss angebaut und behandelt worden waren, hat sich ein verwegener Geist erhoben, dessen verständlicher Vortrag gefiel und gefeiert wurde, und der nur dem Scheine nach eine Kunst schuf, in Wahrheit aber die Arbeit der Früheren verdarb. Allein den Späteren war das ganz recht; es erleichterte ihre Arbeit, und Ekel und Ungeduld hielten sie von neuen Untersuchungen zurück. Beugt sich Jemand dieser eingewurzelten Einstimmigkeit als dem Urtheile des Zeitalters, so stützt er sich auf einen sehr trügerischen und schwachen Grund. Denn es ist zum grossen Theil uns unbekannt, was in den Wissenschaften und Künsten in verschiedenen Jahrhunderten und Ländern erreicht und dem Publikum mitgetheilt worden, und noch weniger wissen wir, was die Einzelnen versucht und im Stillen betrieben haben. Weder die richtigen, noch die Fehl-Geburten der Zeit sind in den Jahrbüchern verzeichnet. Auch die Einstimmigkeit und ihre lange Dauer ist von keiner grossen Bedeutung; denn so vielerlei Staatsverfassungen es auch geben mag, so gilt in den Wissenschaften doch nur eine, und diese ist immer der Freistaat gewesen und wird es bleiben. Bei der Menge galten freilich am meisten die streitsüchtigen und kampflustigen oder die schön gefassten aber inhaltslosen Lehren, welche die Zustimmung entweder mit dem Streit sich erzwingen oder mit Süssigkeiten sich erschmeicheln. Daher haben die grössten Geister zu allen Zeiten Gewalt erlitten, während Männer von selbst guter Fassungsgabe und Einsicht sich um ihres Rufes willen dem Urtheile der Menge und der Zeit beugten. Kamen irgendwo tiefere Betrachtungen zufällig zum Vorschein, so wurden sie von dem Sturme der öffentlichen Meinung vertrieben und verlöscht. Die Zeit hat, wie der Strom, nur das Leichte und Aufgeblasene uns zugeführt, das Schwere und Feste aber versinken lassen.

Selbst jene Autoren, die eine Art Diktatur in den Wissenschaften sich angemasst haben und mit so viel Zuversicht über die Dinge absprechen, gehen doch von Zeit zu Zeit in sich und beklagen sich über die Feinheit der Natur, über die Schlupfwinkel der Wahrheit, über die Dunkelheit der Gegenstände, über die Verwickelung der Ursachen und über die Schwäche des menschlichen Geistes. Aber deshalb werden sie nicht bescheidener; denn sie beschuldigen lieber die allgemeine Natur der Menschen und Dinge, als dass sie sich selbst für schuldig bekennen. Vielmehr gilt es bei ihnen als ein feierlicher Grundsatz, dass das, was eine Kunst nicht erreicht hat, für diese auch unmöglich sei. Aber die Kunst kann nicht verurtheilt werden, wo sie selbst streitet und das Urtheil spricht; man will damit nur die Unwissenheit noch von der Schande befreien.

Mit dem, was bisher gelehrt worden und gegolten hat, verhält es sich ungefähr so, dass die Leistungen unfruchtbar, die Streitfragen aber zahllos sind; die Fortschritte geschehen langsam und schwach; dem Ganzen giebt man den Schein der Vollkommenheit, aber im Einzelnen kann man nicht Wort halten; man sucht nach beliebten Sätzen; aber sie bleiben den Urhebern verdächtig und werden deshalb durch mancherlei Kunststücke vertheidigt und prahlerisch hervorgehoben. Selbst Die, welche es selbstständig versuchten, den Wissenschaften sich zu ergeben, und ihre Grenzen zu erweitern sich entschlossen, haben es nicht gewagt, von dem Hergebrachten ganz abzuweichen und die Quellen der Dinge aufzusuchen; vielmehr meinten sie schon Grosses geleistet zu haben, wenn sie nur Etwas von sich selbst einschoben und hinzufügten. Vorsichtig überlegten sie, wie im Zustimmen die Bescheidenheit und in dem Vermehren die Freiheit bewahrt werden könne.

Aber indem so den Vorurtheilen und Gewohnheiten Rechnung getragen wird, schlägt solche gerühmte Mittelmässigkeit zum grossen Schaden der Wissenschaften aus. Denn wer die Autoren bewundert, der pflegt sie selten zu übertreffen, und man steigt gleich dem Wasser nicht höher hinauf, als man vorher herabgestiegen ist. Solche Leute verbessern deshalb wohl Einzelnes, aber kommen wenig vorwärts; sie verbessern, aber sie vermehren nicht.

Einzelne haben allerdings mit kühnem Muthe Alles von vorn angefangen; mit gewaltigem Anlauf haben sie gesucht, das Frühere niederzuwerfen und durch Zerstörung sich und ihrer Meinung Platz zu machen. Allein mit solchem Tumult ist wenig gewonnen worden; es lag ihnen nicht daran, die Philosophie und die Künste sachlich und durch Arbeit zu erweitern, sondern nur das Belieben zu wechseln und die Herrschaft über die Gemüther für sich selbst zu erobern. Dies hatte indess geringen Erfolg, da für...