Ein Vampir für alle Lebenslagen

von: Lynsay Sands

LYX, 2015

ISBN: 9783802597008 , 340 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Ein Vampir für alle Lebenslagen


 

1


»Letzter Tag.«

Jake nickte stumm, sah aber nicht zu Dan Shephard, dem blonden Mann gleich neben ihm, der bei diesem Auftrag als sein Partner fungierte. Vielmehr blieb Jakes Blick auf die Menge gerichtet, die sich vor dem Hoteleingang eingefunden hatte, wo ihr Klient stand und geduldig Fragen beantwortete. Es sollte so aussehen, als würde ihr Klient ganz spontan auf einige der zahllosen Fragen antworten, die die unablässig an seine Fersen gehefteten Medien ihm stellten. Diese Aktion sollte ihn umgänglich erscheinen lassen und weniger als der gefährliche Diktator, der er in Wirklichkeit war. Aber nichts an der ganzen Aktion war spontan. Jake, Dan und der Rest der Security waren angewiesen worden, nicht auf ihn zuzulaufen und ihn in den Wagen zu drängen, um dann mit Vollgas davonzurasen, was für sie der Normalfall war. Stattdessen sollten sie ihn ›sein Ding machen lassen‹ und nur die Augen offen halten, ob von irgendeiner Seite Gefahr drohte. Genau das machte Jake gerade. Er hielt die Augen offen und achtete auf potenzielle Bedrohungen.

»Schon verdammt gut, dass es bald vorbei ist«, fuhr Dan mürrisch fort. »Wenn wir diesen arroganten Sack auch nur noch einen Tag länger bewachen müssten, könnte es sein, dass ich ihn höchstpersönlich um die Ecke bringe.«

Diese Bemerkung entlockte Jake ein amüsiertes Grinsen. Ihr Klient war zweifellos arrogant, er war mit nichts zufrieden und brachte jeden zur Raserei. Aber was wollte man von einem Diktator aus einem fernen Land auch anderes erwarten? Außerdem brachte es die Arbeit als professioneller Personenschützer in Ottawa nun mal mit sich, dass etliche Leute, auf die sie aufpassen mussten, arrogant und mit nichts zufrieden waren und jeden zur Raserei brachten. Zumindest wenn es nach dem äußeren Eindruck ging. Manche von ihnen waren in Wahrheit ganz anders und verhielten sich nur so – entweder aus Angst oder weil sie mit dem Stress nicht zurechtkamen. Aber das galt eben nicht für alle, und dieser Klient gab sich nach außen hin genau so, wie er in Wirklichkeit war. Allerdings wurden sie dafür bezahlt, dass sie ihre Arbeit ordentlich machten, und man konnte einfach nicht ausnahmslos jeden Klienten sympathisch finden.

»Sein Flieger geht heute Abend um acht, richtig? Dann sind wir ihn los?«, fragte Dan.

Wieder nickte Jake, doch sein Blick war inzwischen auf einen bestimmten Mann in der Menge konzentriert. Der Kerl trug eine Baseballkappe, und er ließ ihren Klienten nicht aus den Augen. Natürlich unterschied ihn das in keinster Weise von allen anderen Umstehenden, dennoch hatte er irgendetwas an sich, das in Jakes Kopf einen schrillen Alarm auslöste.

»Nur noch vier Stunden«, murmelte Dan und sah auf seine Armbanduhr. »Vier Stunden und keine Minute länger. Sollen wir anschließend was trinken gehen? Also ich brauche auf jeden Fall einen Drink nach einer Woche mit diesem Mistk… Hey, wo willst du hin?«

Jake hatte die Frage vernommen, aber er nahm sich nicht mehr die Zeit, sie zu beantworten. Stattdessen bahnte er sich einen Weg durch die Menge, um zu dem Mann mit der Baseballkappe zu gelangen. Er verlangte seinen Muskeln das Äußerste ab, um noch einschreiten zu können, während der Mann nach hinten griff und eine Pistole aus dem Hosenbund zog, die er auf ihren Klienten richtete.

»Das war ja vielleicht eine Aktion«, meinte Dan und klatschte Jake die Hand auf den Rücken, während sie das schicke Büro von Protection One verließen und zu den Aufzügen gingen. Aus den eigentlich noch verbleibenden vier Arbeitsstunden waren sechs geworden, was sie der Tatsache verdankten, dass Jake den Attentäter von seinem Plan abgehalten und überwältigt hatte. Zuerst hatten sie viel Zeit verloren, weil die Polizei den gesamten Ablauf des Geschehens aufnehmen musste, und bei der Rückkehr ins Büro war es ihnen nicht erspart geblieben, auch noch ihrem Boss Hank Latham von dem Beinaheattentat zu berichten.

Jetzt – zwei Stunden später als geplant – waren sie endlich auf dem Weg in den Feierabend.

»Ich weiß noch immer nicht, wie du das hingekriegt hast«, redete Dan kopfschüttelnd weiter. Die Lifttüren glitten zur Seite, und sie betraten die Kabine. »Teufel auch! Ich hab den Kerl gar nicht als Problem erkannt, aber selbst wenn, hätte ich nicht so schnell rennen können wie du. Du bist ja regelrecht durch die Menge geflogen.«

»Adrenalin«, gab Jake leise zurück und schaute auf seine Uhr.

»Tja, es geht halt nichts über das gute, alte Adrenalin«, meinte Dan lachend und klopfte Jake auf die Schulter, gerade als der die Taste fürs Erdgeschoss drückte. »Na ja, wenigstens haben wir jetzt vor dem nächsten Auftrag ein paar Tage frei. Willst du zur Feier des Tages irgendwo was trinken gehen?«

»Geht nicht. Ich bin zum Abendessen verabredet und eigentlich schon spät dran«, sagte Jake, lehnte sich gegen die Kabinenwand und verschränkte die Arme vor der Brust. Es tat ihm nicht wirklich leid, das Angebot auszuschlagen. Er mochte Dan, weil der wirklich ein netter Kerl war. Aber er selbst hatte es nicht so mit dem Trinken, denn Alkohol war nichts für ihn.

»Mit wem denn? Mit einer Lady?«, fragte Dan grinsend.

»Nein, mit Verwandtschaft. Sozusagen«, wich Jake aus.

»Sozusagen Verwandtschaft?«, hakte Dan nach.

Nach kurzem Zögern sagte Jake: »Ja, du weißt schon. So eine alte Dame, mit der du eigentlich gar nicht verwandt bist, die du aber trotzdem mit ›Tante‹ anredest, weil deine Eltern immer darauf bestanden haben.«

»Aha.« Dan verzog den Mund. »Ja, das kenn ich. So was hab ich auch. Seit ewigen Zeiten die beste Freundin meiner Mom. Sie und ihr Mann hängen ständig bei meinen Eltern rum, und sie war immer nur ›Tante Betty‹ für mich. Mittlerweile ein bisschen wacklig auf den Beinen, aber ganz lieb.«

»Ja, so ist das bei mir auch«, erwiderte Jake und ignorierte das schlechte Gewissen, das sich bei jedem Wort etwas stärker regte. Die besagte alte Lady war steinalt, allerdings war sie alles andere als wacklig auf den Beinen.

»Tja …« Dan betrachtete ihn einen Moment lang, grinste dann und sagte: »Irgendwie bin ich froh, dass du mir von dieser Tante erzählst, die keine Tante ist. Du redest nie von deiner Familie, und ich hab mich manchmal schon gefragt, ob du vielleicht aus einem Ei geschlüpft bist oder so.«

»Na ja, es gibt halt nicht viel zu erzählen«, entgegnete Jake gelassen. »Der größte Teil meiner Familie lebt an der Westküste oder im Ausland. In den letzten Jahren haben wir uns so gut wie gar nicht gesehen.«

»Ah«, machte Dan und nickte verstehend. »Und? Leben deine Eltern noch? Hast du Geschwister? Irgendwelche Cousins oder Cousinen?«

Zu Jakes großer Erleichterung konnte er sich vor Antworten auf diese allzu interessierten Fragen drücken, da sie mittlerweile im Erdgeschoss angekommen waren und die Türen aufgingen. Er verließ die Kabine und sagte über die Schulter: »Bis in ein paar Tagen dann.«

»Okay«, sagte Dan, der ihm aus dem Aufzug folgte.

Jake beeilte sich, zum Ausgang zu kommen. Er schaute mürrisch drein, weil er nur zu gut wusste, dass die Fragen damit kein Ende hatten. Dan würde sie ihm bei passender Gelegenheit noch einmal stellen und dann gleich noch ein Dutzend Mal mehr.

Er verdrängte diese Sorge fürs Erste, drückte die Tür auf und bog nach rechts ab. Er hätte schon vor zehn Minuten im Restaurant erscheinen sollen, aber zum Glück befand sich das Büro von Protection One in Downtown und damit lag sein Ziel fast um die Ecke. Wenn er sehr zügig ging, würde er nur drei oder vier Minuten benötigen.

Es konnte aber auch gut sein, dass er sich völlig umsonst abhetzte, denn seine ›Tante‹ konnte längst schon wieder aufgebrochen sein. Besonders leidtun würde ihm das jedoch nicht, denn er freute sich keineswegs auf dieses Treffen. Zweifellos versuchte diese ›Tante‹, ein Familientreffen zu organisieren. Auch wenn es inzwischen sechs oder sieben Jahre her war, seit er sich von seiner Familie abgenabelt hatte, war er für eine Rückkehr in deren Schoß nicht bereit. Noch nicht jedenfalls.

Angestrengt überlegte er, wie er ihr das so höflich wie möglich begreiflich machen konnte. Dann war er auch schon an seinem Ziel angelangt. Er betrat das Lokal und sah von Tisch zu Tisch.

»Hallo, möchten Sie einen Tisch, oder werden Sie von jemandem erwartet?«

Jake sah die junge, blonde Frau an, die ihn angesprochen hatte. Sie war komplett in Schwarz gekleidet und hatte etwas verdammt Forsches an sich. Mit großen Augen sah sie ihn an, während sie auf seine Antwort wartete.

»Ich werde erwartet«, antwortete er und ließ seinen Blick weiterschweifen, um im nächsten Moment die kastanienbraune Schönheit zu entdecken, die an einem Tisch ganz hinten saß und ihm zuwinkte. Sie war also noch nicht gegangen. Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf, als er sich ihrem Tisch näherte. Als er bei ihr ankam, war sie bereits aufgestanden und umarmte ihn.

»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, entschuldigte er sich, während er etwas ungelenk die Umarmung erwiderte. »Aber ich habe bis gerade eben gearbeitet.«

»Du musst dich nicht entschuldigen, Stephano. Ich freue mich einfach nur, dass du einverstanden warst, dich mit mir zu treffen.« Marguerite Argeneau lehnte sich nach hinten und lächelte ihn an. »Schön, dich zu sehen.«

»Ganz meinerseits«, erwiderte er etwas verlegen und löste seine Arme von ihr. Etwas sanfter fügte er hinzu: »Ich nenne mich übrigens nicht mehr Stephano.«

»Oh, stimmt ja....