Durchs Meer der Sonnen - Contact-Zyklus Band 2 - Roman

von: Gregory Benford

Heyne, 2014

ISBN: 9783641126612

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 6,99 EUR

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Durchs Meer der Sonnen - Contact-Zyklus Band 2 - Roman


 

1. Kapitel


 

Die lodernden Feuer am Heck jagten das Raumschiff bis hart an die Grenze der Lichtgeschwindigkeit. Sein magnetischer Atem kräuselte das spiegelglatte Dipolfeld.

– Ein Pfeil schoss durch die Finsternis –

– blauweiße Wolken zischenden Wasserstoffs entwichen –

– ein granitgrauer Asteroid ritt auf einem röhrenden Feuerstrahl –

Das Schiff atmete den interstellaren Staub ein, mixte einen Hexenkessel voll Isotopen, spie sie hinten wieder aus. Eine ultraviolette Fackel stürzte in den finsteren Abgrund, der alles verschlang.

Drinnen aber saß Nigel Walmsley beim Austernessen.

Der letzte Wein, dachte er gut gelaunt, während er sich den letzten Rest einschenkte. Und so war es denn auch. Wie auf dem Schiff verlautete, hatte keiner mehr als eine Flasche Wein mitgebracht, und der Vorrat ging nach nunmehr zwei Jahren allmählich zur Neige.

Nigel schwenkte sein Glas und genoss den letzten Schluck. Der Pinot Chardonnay verdrängte den metallischen Geschmack der Austern und ließ nur den würzigen Duft der See und den Schmelz des saftigen Fleisches übrig, eine ferne Erinnerung an die Erde. Er schlürfte genüsslich den Rest der kalten Flüssigkeit aus den Muschelschalen und genoss den Geschmack. Acht Lichtjahre von der Erde entfernt war das Echo des Goldstroms bereits verklungen.

»Das war's«, murmelte Nigel.

»Wie bitte?«

Erst jetzt merkte er, dass er seinen Gast vernachlässigt hatte. Immerhin war Ted unangemeldet gekommen, und das zur Stunde der Abendmahlzeit.

»Ich glaube nicht, dass ich diesen guten kalifornischen Wein je wieder auftreiben kann, von den Austern ganz zu schweigen.«

»Nein, wahrscheinlich nicht. Glaubst du, dass die Austern noch genießbar sind?«, fragte Ted Landon, während er verlegen auf seinem Sitz herumrutschte.

»Nur weil sie jahrelang vakuumverpackt waren?«, fragte Nigel mit einem Achselzucken.

Er machte es sich auf der Tatamimatte bequem, wobei er mit dem Ellbogen um ein Haar eine Lacklampe umgeworfen hätte. Ted war es offensichtlich peinlich, dass sein Gastgeber mehr als spärlich bekleidet vor ihm saß. Ted verschränkte die Beine im Lotossitz, freilich weil Nigel noch keine Zeit gefunden hatte, ein paar Stühle zu besorgen.

Dann holte er seinen Tabaksbeutel aus der Tasche.

»Darf ich rauchen?«

Nigel nickte zustimmend. Beim Essen hatte er zwar etwas dagegen, aber Ted wusste sowieso Bescheid. Überhaupt, Ted wusste einfach alles. Es gab eine lange Latte über das Personalprofil von Nigel, selbst im Ferritspeicher. Ted hatte es mit eigenen Augen gesehen.

Jetzt tat er einen tiefen Zug aus seiner Pfeife.

»Als ich hörte, dass du ein Apartment in der Low Amenity gemietet hast, dachte ich mir, die Behausung sei recht karg. Aber hier sieht es großartig aus.«

Nigel nickte und versuchte, sein Wohnzimmer mit Teds Augen zu betrachten.

– eine Karmesinvase, blassgelbe Blütenknospen, eine Schale mit duftendem Weihrauch, eine Teakholztruhe, hauchdünne, schleierartige Papierwände, goldene, schräge Lichtstrahlen, in denen Stäubchenwolken durch den fächelnden Luftstrom nach oben wirbeln – aber warte nur, bis Ted mal musste und das Örtchen entdeckte: eine Öffnung, mit koreanischem Porzellan ausgekleidet, mit einem Holzdeckel verschlossen, mit Trittsteinen in Fußform für den Anfänger. Es hieß, sich einfach hinzuhocken und sein Geschäft zu erledigen. Warum sollte man auch einen wertvollen Augenblick des Tages verschämt bemänteln?

»Was gibt's?«, fragte Nigel, wobei er in den transatlantischen Telegrammstil fiel.

Ted riskierte einen verschleierten, aber scharfen Blick.

»Ich bin eben dran, die Belegschaft neu zu organisieren.«

Aha. »Bist also der neue Manager.«

»Das stimmt nicht ganz, aber – schau, Nigel, ich habe ein paar wichtige Entscheidungen zu treffen.«

»In der Tat.«

Ted versuchte zu lächeln, doch dieses Lächeln verschwand ebenso schnell, wie es gekommen war.

»Du warst bisher im Außendienst.«

»Sicher. Eingekastelt, sozusagen.«

Nigel war zu alt, um seine Arbeit direkt durch Muskelkraft zu verrichten. So wurde er in einer Art Käfig in einen Servoroboter gesetzt, der außerhalb des Raumschiffes eingesetzt wurde.

»Wie ich sehe, gibt es eine lange Liste für diese Jobklasse. Und was dich betrifft, du bist …«

»Zu alt«, ergänzte Nigel düster.

»Nun ja, es gibt eine ganze Menge Leute, die so denken. Als die Abstimmungsergebnisse bekannt wurden – nämlich darüber, wer was im Raum um Isis zu tun hätte –, stellte ich fest, dass du viele Stimmen verloren hattest.«

»Das überrascht mich nicht.«

»Also bin ich gekommen, um dir den Rücktritt anzutragen. Du solltest auf eine Beschäftigung im Außendienst verzichten.«

»Ich denke nicht daran.«

»Wie bitte?«

Nun war es freilich nicht schwer, dieses entschiedene »Nein« zu interpretieren.

»Aber die allgemeinen Wahlen und ihre Ergebnisse sind ziemlich bindend.«

»O nein, sie sind eher indikativ. Mein Kollege kann mir nicht einfach den Laufpass geben, einfach so. Du bist derjenige welcher, Ted, du hast das letzte Wort. Und du weißt genau, dass du jede Wahl überstimmen kannst, sofern es sich nicht um eine absolute Mehrheit handelt.«

»Nun ja …«

»Und bei 1266 Stimmen kann ich mir kaum vorstellen, dass es eine Mehrheit geben soll, die meinen Kopf fordert.«

Ted aber hatte eine Gewohnheit, die allgemein bekannt war. Er spannte die Kiefer und biss den Mund zusammen, so dass Nigel deutlich sehen konnte, wie die aufeinandergepressten Lippen weiß wurden. Dann biss er die Vorderzähne zusammen und bewegte sie vorsichtig hin und her, als wollte er sie schleifen, während er die Kiefermuskeln spannte.

»Technisch gesehen hast du eigentlich recht, Nigel.«

»Na großartig.«

»Aber dein Gemeinschaftssinn müsste dir verraten, dass eine aktive Opposition einer bedeutenden Minderheit zu den langfristigen Interessen unserer Mission gegenläufig ist, dass also …«

»Verdammter Mist!«

Ted schliff wieder seine Zähne, seine Kiefermuskeln spannten sich. »Ich glaube, der alternative Job dürfte auch attraktiv sein.«

»Und das wäre?«

»Schwergießerei.«

Also Asteroidfelsen abschmelzen und Streben vorspannen, Laserschneider und Elektronenstrahlschmelzer bedienen. »Eingekastelt?«

»Nun ja, freilich.«

Da wird man in diesen schweren Maschinen verankert, an Hüften, Knien, Ellbogen und Handgelenken festgeschnallt, während das feine elektronische Interface direkt an die Nerven angeschlossen wird. Dabei fühlte und spürte man die Maschine, bediente und steuerte sie, man war die Maschine selbst.

»Nein, danke.«

»Ich glaube, Nigel, du hast dieses Wort in letzter Zeit ziemlich oft gebraucht.«

»Weil es so ungeheuer sparsam ist.«

Ted seufzte – spontan oder aus Berechnung? Schwer zu sagen – und legte seine großen Hände auf die Knie. Der Lotossitz war unbequem, obwohl er die Schuhe abgestreift hatte. Die meisten Gäste pflegten aus unerfindlichen Gründen diese Position einzunehmen, selbst wenn sich Nigel auf seinen Kissen räkelte. Vielleicht, weil sie die Ausstrahlung und die Schlichtheit dieses orientalischen Raumes spürten, die seinen Bewohnern eine aufrechte Haltung suggerierte. Bei Nigel bewirkte diese Atmosphäre eher das Gegenteil.

»Nigel, ich weiß genau, dass du ungern auf den Außendienst verzichtest, aber wenn du dich erst einmal umgestellt und eingearbeitet hast, wirst du dir vorkommen …«

»… wie eine Briefmarke, die man aus dem Verkehr gezogen hat.«

Teds Gesicht lief plötzlich puterrot an.

»Verdammt noch mal, ich erwarte von jedem an Bord, dass er Opfer bringt! Wenn ich dich auffordere, deine Stelle zu wechseln, dann musst du im Prinzip …«

Nigel aber schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. Er hatte längst festgestellt, dass eine besonders abrupte Geste und ein vorschnellender Zeigefinger geeignet waren, Teds Überraschungsangriffe und Wortattacken zu stoppen. Ein wertvoller Trick.

»Und wenn ich trotzdem nein sage? Die Slowslots{1}

Das Wort verfehlte seine Wirkung nicht. Dieses Wort aus dem Ärmel zu zaubern und wie ein As auf den Tisch zu knallen war ein Trumpf, der alle Karten stach. Dabei wirkte sich ein solcher Trick auch nachteilig auf jene kontrollierten Methoden aus, nach denen die Administratoren nur zu gern verhandelten. Gleichzeitig wurde Ted daran erinnert, dass sich Nigel bei der Entwicklung der Slowslots freiwillig als Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt und dadurch mehr als nur ein Scherflein beigetragen hatte.

»Schau, Nigel«, meinte Ted gelassen, indem er sich absichtlich Zeit ließ, »ich bin ehrlich überrascht, dass du so denkst. Kein Mensch in der Lancer-Gemeinschaft will dich aufs Nebengleis abschieben. Deine Freunde wollten dir nur schonend beibringen, dass es endlich an der Zeit ist, sich von solchen Aufgaben zu distanzieren, die gewisse Reflexe, eine bestimmte Eignung und Ausdauer erfordern, Eigenschaften – seien wir mal ehrlich –, die du nicht mehr ganz bringen kannst. Wir alle …«

»Richtig. Mit anderen Worten: Meine Verwendung im Außendienst wurde stets als eine rein politische Angelegenheit betrachtet.«

»Harsche Worte, Nigel. Und natürlich vollkommen aus der Luft gegriffen.«

Nigel lächelte, verschränkte die Hände unter seinem Nacken und lehnte sich mit hochgezogenen Ellbogen zurück, um die Spannung im unteren Bereich seiner Rückenmuskeln zu lockern. »Gar nicht...