Himmelsfluss - Contact-Zyklus Band 3 - Roman

von: Gregory Benford

Heyne, 2014

ISBN: 9783641126636

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

Windows PC,Mac OSX für alle DRM-fähigen eReader Apple iPad, Android Tablet PC's Apple iPod touch, iPhone und Android Smartphones

Preis: 6,99 EUR

Mehr zum Inhalt

Himmelsfluss - Contact-Zyklus Band 3 - Roman


 

Killeen ging durch die weitläufigen Ruinen.

Trotz Erschöpfung bewegte er sich weiter durch einen Verhau aus zertrümmertem Stahl, eingestürzten Decken, Mauerwerk, Steinen und demolierten Einrichtungsgegenständen.

Sein Atem rasselte, als er nach seinem Vater rief: »Abraham!«

Ein kalter, brummender Wind riss den Namen fort. Rauch quoll aus knisternden Feuern und strömte an ihm vorbei. Die Luft schien zitternd dahinzuströmen.

Von hier aus breitete sich die Zitadelle den breiten, buckligen Hügel hinab aus. Komplizierte Straßenzüge waren jetzt zu Haufen aus Steinen und Schlacke zusammengestürzt. Mit vor Erschöpfung steifen Beinen und vor Rauch und Kummer brennenden Augen machte er eine Pause oberhalb einer Fläche voll Schutt aus weißem Marmor – den Skulpturtrümmern einer Kuppel, die vormals einen Kilometer über das Arboretum der Zitadelle aufgeragt hatte. Stätten, an denen er gelaufen war und gespielt hatte, geliebt und gelacht …

»Abraham!« Er hatte den Namen seines Vaters nur selten ausgesprochen; und jetzt erschien er ihm merkwürdig fremd. Er keuchte und hustete. Der scharfe Rauch biss ihn in die Kehle.

Die unteren Bollwerke der Zitadelle brannten heftig. Die Mechanos waren dort zuerst eingedrungen. Schwarzer Qualm hing über den größeren Stadtteilen – dem Breiten Rasen, dem Grünen Markt und der Rast der Drei Damen. Ruß bedeckte die ausgezackten Mauerreste.

Weiter entfernt waren von hohen Türmen die Spitzen wegrasiert. Ihre Stümpfe streckten Medusenhäupter aus Stahlträgern in die Luft. Die wechselnde Brise trug das Krachen zusammenbrechender Mauern heran.

Aber der Wind trug kein Stöhnen und keine Schreie herbei. Die Zitadelle lag schweigend da. Die Mechanos hatten alles getötet oder verschleppt und nur Leichen hinterlassen.

Killeen wandte sich der Flanke des Hügels zu. Das war seine alte Nachbarschaft. Heruntergefallene Steinblöcke und verkrümmte Stahlkonstruktionen konnten die Wege und Korridore nicht ganz unkenntlich machen, die ihm als Knaben vertraut gewesen waren.

Da lag ein Mann, dessen hervorgequollene Augen zum gequälten Himmel aufblickten.

Dort lag eine Frau, durch einen heruntergefallenen Balken in zwei Teile gespalten.

Killeen hatte sie beide gekannt. Freunde, entfernte Verwandte der Bishop-Sippe. Er berührte ihr kaltes Fleisch und ging weiter.

Er war mit den Überlebenden der Bishop-Sippe geflohen. Sie hatten rasch die entfernte Bergkette erreicht; und erst dann hatte er gesehen, dass sein Vater nicht dabei war. So war er zur Zitadelle zurückgekehrt, mit motorisierten Beinlingen, damit es schneller ging. Wie schlanke Maschinenkolben trugen ihn seine Beine zu den zerstörten Verteidigungsmauern, ehe überhaupt jemand in der Sippe seine Abwesenheit bemerkte.

Abraham hatte auf den äußeren Schanzen gekämpft. Als die Mechanos diese durchstoßen hatten, waren die Krieger dort wild davongeeilt. Die Mechanos strömten herein. Killeen war sich sicher, dass er über den Kommunikationssprechfunk die Stimme seines Vaters gehört hätte. Aber dann hatte die Schlacht alle in einem hitzigen Wirbel von Tod und Panik überschwemmt.

– Killeen! –

Er hielt an. Cermo der Langsame rief über Komm. Killeen antwortete: »Lass mich in Ruhe!«

– Beeile dich! Keine Zeit mehr! Da sind schon einige Mechanos im Anrücken. –

»Ich hole euch ein.«

– Lauf! Es eilt. –

Killeen schüttelte den Kopf und antwortete nicht. Mit einem Fingerschnippen schaltete er das Kommunikationsnetz aus.

Er kletterte über Steintrümmer nach oben. Selbst mit seiner motorisierten Ausrüstung war es mühsam, die steilen Wände der Ruinen zu erklimmen. Obwohl die Mechanos klaffende Breschen geschlagen hatten, hatten die massiven Bollwerke noch einige Zeit gehalten. Aber unter den unablässigen heftigen Stößen hatten schließlich sogar die schweren Fundamente nachgegeben.

Er schritt unter einem Bogen durch, der erstaunlicherweise überlebt hatte. Er wusste, was vor ihm lag, konnte sich aber nicht zurückhalten.

Sie war in der gleichen Position. Der Hitzestrahl hatte seine Frau erwischt, als er sie trug. Ihre linke Seite war schaurig verbrannt.

»Veronica.«

Er bückte sich und schaute in ihre offenen grauen Augen. Diese starrten in eine für immer entschwundene Welt.

Er versuchte, sie sanft zu schließen; aber die steifen Lider wollten sich nicht bewegen, als ob die Frau den letzten Blick auf die einst geliebte Zitadelle nicht lassen könnte. Ihre blassen Lippen waren leicht geöffnet in dem halben Lächeln, das sie immer zeigte, ehe sie redete. Aber ihre Haut war kalt und hart, als ob sie jetzt die unnachgiebige Festigkeit des Bodens angenommen hätte.

Killeen erhob sich wieder. Er fühlte ihre Augen im Rücken, als er sich zwang weiterzugehen.

Er kletterte über Schutthaufen, die früher Wohnungen, Werkstätten und elegante Arkaden gewesen waren. In der Zentralbibliothek züngelten Flammen.

Die öffentlichen Parks waren sein Lieblingsplatz gewesen, eine üppige Fülle frischen Grüns in der dürren Zitadelle. Jetzt waren sie versengt und qualmten.

Als er an dem zerstörten Senatsgebäude vorbeikam, ächzten dessen Alabastergalerien, erzitterten und stürzten langsam ein.

Erschöpft ging er weiter, aber es gab keine Spur von Mechanos. »Abraham!«

Rings um ihn lagen die explodierten Reste seiner Kindheit. Hier in der Werkstatt seines Vaters hatte er gelernt, die Unterstützung der Maschinen bei Schwerarbeit zu nutzen. Dort, unter einem gewölbten Vordach, hatte er eine spröde und scheue Veronica kennengelernt.

»Abraham!«

Nichts. Niemand. Wahrscheinlich lag sein Leichnam unter zusammengefallenen Festungsmauern.

Aber er hatte noch nicht den ganzen weitläufigen Komplex durchstreift, den die Menschen im Laufe von Generationen erbaut hatten. Es bestand immer noch eine Chance.

– Killeen! –

Diesmal war es nicht Cermo. Fannys Stimme drang scharf und sicher zu ihm durch, obwohl er das Kommgerät ausgeschaltet hatte.

– Zieh dich zurück! Es gibt nichts, was wir jetzt hier tun könnten. –

»Aber … die Zitadelle …«

– Die ist weg. Vergiss sie! –

»Mein Vater …«

– Wir müssen uns beeilen. –

»Andere. Es könnte sein …«

– Nein. Wir sind uns sicher. Niemand ist hier am Leben geblieben. –

»Aber …«

– Los jetzt! Ich habe fünf Frauen, die das Krishna-Tor im Schussfeld haben. Komm dort heraus; und dann werden wir uns in Richtung auf Rolos Pass aufmachen. –

»Abraham …«

– Hörst du mich? Beeile dich! –

Killeen wandte sich zu einem letzten Blick um. Dies war für ihn die ganze Welt gewesen, als er ein Knabe war. Die Zitadelle hatte die warme Umarmung der Menschheit real und ermutigend gemacht. Sie hatte entschlossen einem feindlichen Universum draußen widerstanden, stark, aber auch geschickt. Ihre schlanken Türme hatten wie Kandiszucker geschimmert. Wenn er nach kurzen Beutezügen in die Zitadelle zurückkehrte, hatte sein Herz immer frohlockt, wenn er die stolzen Türme aufragen sah. Viele Stunden lang war er durch die labyrinthischen Korridore der Zitadelle gewandert und hatte die eleganten Maßwerke bewundert, die die hohen Deckengewölbe schmückten. Die Zitadelle war immer riesig weit gewesen und doch warm. Jede sorgfältig gestaltete Nische atmete den Geist der gemeinsamen menschlichen Vergangenheit.

Er blickte scharf zurück dahin, wo Veronicas Leichnam lag. Es war keine Zeit, sie zu bestatten. Die Welt gehörte jetzt den Lebenden – fieberhafter Flucht und matter Trauer.

Killeen zwang sich, ein paar Schritte von ihr fort zu tun in Richtung auf das Krishna-Tor. Noch einen Schritt …

Die zertrümmerten Mauern wichen zurück. Es war schwer, den Weg zu finden. Vor ihm wirbelten Dunst und Rauch. »Abraham!«, rief er noch einmal in die leere Stille.

Die hohen Spinnengewebe der Fußwege der Zitadelle lagen jetzt zerstückelt im Staub, verstreut über die Innenhöfe. In dumpfer Benommenheit überquerte er den alten, vertrauten Boden. Krater gähnten, wo er einst herumgerannt war und gelacht hatte.

Am Rande der rauchenden Ruinen schaute er zurück. »Abraham!« Er lauschte und hörte nichts. Dann kam aus der Ferne ein schnelles Summen von Mechanosendungen. Der raue Klang ließ ihn zusammenzucken. Er machte kehrt und lief los. Lief ohne Hoffnung. Ließ seine Beine den Weg finden. Beißender Staub trübte seine Augen.

 

Ein Ruck.

Scharfes, blendendes Licht.

»He, komm schon! Wach auf!«

Killeen hustete. Er blinzelte in das grelle Licht gelber Lampen. »Oh! Was …?«

»Los, du musst aufstehen! Fanny sagt das.«

»Ach … sachte …«

Cermo runzelte die Stirn. »Hast du wieder geträumt?«

»Ich … die Zitadelle …«

Cermo nickte. »Das hatte ich gefürchtet.«

»Veronica … habe sie gefunden.«

»Na schön. Schau, du solltest nicht mehr daran denken. Sie war eine gute Frau und eine wundervolle Gattin. Aber du musst dich jetzt von ihr lösen.«

»Ich …« Killeens Stimme war von dem Rufen nach seinem Vater heiser. Oder war es von dem Alkohol, den er am vorigen Abend hinuntergeschluckt hatte?

Jetzt war es früher Morgen. Er fühlte sich noch steif vom nächtlichen Schlaf. Wenn er hochblickte, konnte er den breiten Schatten von Mechanomaschinen erkennen. Sie hatten ihn für die Nacht in einen Trog gebettet, wie er sich erinnerte. Um ihn herum erwachte die Bishop-Sippe.

»Los!«, drängte Cermo. »Es tut mir leid, dass ich den Stecker so schnell herausgezogen habe. Aber jetzt musst du...