Alaaf für eine Leiche - Ein Peter Merzenich-Krimi

von: Gereon A. Thelen

Edition Lempertz, 2014

ISBN: 9783943883763 , 171 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 5,99 EUR

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Alaaf für eine Leiche - Ein Peter Merzenich-Krimi


 

Prolog


Wie vor jedem Auftritt hatte ich ziemliches Lampenfieber. Zwar waren wir eine eingespielte Truppe, aber gegen die Nervosität half das nichts. So standen wir im Foyer des Kristallsaals im Messekongresszentrum und nippten an unserem Kölsch. Ich schaute auf die Uhr: schon zehn. Noch gut fünfzehn Minuten, dann würde unsere zwanzig Mann starke Truppe der „KG Löstije Kuletschhöt vun 1982 e.V.“ unter der Leitung unseres Kommandanten Erich Koslowski den Einmarsch des Elferrates in den Festsaal begleiten und einige kölsche Lieder zum Besten geben.

Ich stand mit meinen Vereinskameraden Marcel und Dario etwas abseits vom Rest der Truppe an der überfüllten Theke. Unter den anwesenden Gästen schien keine allzu große Karnevalsstimmung zu herrschen. Wie für die Prunksitzungen der großen Karnevalsgesellschaften üblich, zeigten sich hier die Wichtigen und Prominenten aus Köln und Umgebung. Ums Feiern ging’s bei solchen Veranstaltungen nur am Rande. Man zeigte sich, seine neueste Rolex, die junge Geliebte und den maßgeschneiderten Smoking. Ein reines Schaulaufen.

Ich schaute mich um. Und tatsächlich, meine zugegebenermaßen voreingenommene Meinung wurde vollends bestätigt. Die wirklich kostümierten Gäste konnte man an zehn Fingern abzählen. Von den smokingtragenden und havannarauchenden Wirtschaftsbossen wurden die Cowboys und Clowns angestarrt, als wären sie von einem anderen Stern. Ich hasste solche „Events“. Wenn sie unserem Verein keine schöne Stange Geld eingetragen hätten, wäre ich der Letzte gewesen, der solche Möchtegern-Shows besuchte. Ein Gespräch wollte bei der herrschenden Lautstärke nicht so recht aufkommen. Dario und Marcel wirkten auch nicht gerade sonderlich motiviert, sie lehnten gelangweilt an der Theke. Ich winkte den gestressten Kellner heran und bestellte ein weiteres Kölsch. Aus den Lautsprechern ertönte „Superjeile Zick“, der karnevalistische Durchbruch für Brings. Neben mir unterhielt sich ein Yuppie mit seiner Gefährtin über „Personalmanagement“ und die „Einsparung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze“. Ein Thema, das seine Herzensdame sichtlich langweilte und gar nicht zu einer Karnevalssitzung passte. Erich kam auf uns zu. Langsam wurde mir in meinem bunten Lappenkostüm warm, ich nahm das schwarze Lack-Tschako – auf Kölsch „Kuletschhot“ –, das unserem Verein seinen Namen gab, zusammen mit der feuerroten Clownsperücke vom Kopf und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Erich, der mit Hartmut Groß, unserem 2. Vorsitzenden, zu uns herüberkam, umarmte Marcel und mich freundschaftlich.

„Und Jungs, alles klar? In fünf Minuten ist die Pause vorbei, dann marschieren wir mit dem Elferrat ein. Denkt dran: Immer lächeln. Wir wollen doch schließlich Spaß und Freude vermitteln, oder?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand Erich wieder. Sein langjähriger Freund Hartmut, Marcels und mein ehemaliger Dienstgruppenleiter, der mit seinem rotblond-weißen Bart und dem freundlichen Dackelblick Herzlichkeit nur so ausstrahlte, zwinkerte uns zu und folgte ihm in Richtung der Stehtische in der Mitte des Foyers, an denen noch einige weitere Mitglieder unseres Vereins standen. Meine beiden väterlichen Freunde, zwei sonst sehr zurückhaltende Menschen, waren an Karneval doch jedes Jahr wieder aufs Neue in ihrem Element. Ich konnte ihre Begeisterung an diesem Abend nicht teilen. Irgendwann fragte ich Marcel schließlich, ob meine Clownschminke nicht verwischt war, um wenigstens ein bisschen zu reden. Es half aber nicht viel. Nach einem gemurmelten „Nä!“ ebbte das kaum begonnene Gespräch wieder ab. Also widmete ich mich meinem inzwischen vierten Kölsch. Es beruhigte meine angespannten Nerven ein wenig.

Dann waren wir endlich an der Reihe. Die Jungs vom Elferrat in ihren Fräcken und den Narrenkappen auf den Köpfen stürmten zu der Tür, die den Weg in den spiegelverkleideten Kristallsaal freigab. Erich klatschte ein paar Mal in die Hände und wir bezogen unsere Einmarschpositionen. Dario hatte sich mit unserer Vereinsstandarte als Erster aufgestellt, danach kam der Rest der Truppe. Unter dem Beifall der Menge zogen wir zu dem Bläck-Fööss-Klassiker „Schötzefess“ in den durch etliche Scheinwerfer erhellten Saal. Eine enorme Hitze schoss mir entgegen; ich fühlte, wie das Clownskostüm an meinem Körper klebte. Jetzt hieß es nur, freundlich zu lächeln und die nächsten zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten durchzuhalten. Der Gedanke an meine bevorstehende freie Woche, in der ich den „richtigen“ Karneval in vollen Zügen genießen würde, hielt mich aufrecht.

Der übertrieben freundliche und gespielt witzige Sitzungspräsident begrüßte in schlechtem Kölsch die langsam wieder in den Saal eintrudelnden „leev Fastelovendsfründe“ und sagte alsdann ein „Highlight des kölschen Fasteleers“ an. Damit war unser mit bunten Lappenkostümen, roten Perücken, Pappnase und nachgebildetem Polizei-Tschako bekleideter Männerchor gemeint. Die Kapelle setzte auf ein Zeichen Erichs hin ein und begann mit dem ersten Lied. Ich hakte Marcel und Eugen, die links und rechts neben mir standen, unter, und begann zu schunkeln. Aus voller Brust schmetterten wir der nicht besonders begeistert wirkenden Menge den Willi-Ostermann-Hit „Heimweh nach Köln“ entgegen, das, als sehr melancholisches Lied, eher als Abschlussnummer gepasst hätte. Nach drei weiteren Liedern des größten Kölner Komponisten wurden wir mit „Drei Mol Kölle Alaaf“ verabschiedet. Den Geschmack des Publikums hatten wir offensichtlich nicht getroffen. Dafür waren die Gäste zu borniert und unser Bühnenprogramm zu konservativ.

Es war inzwischen Viertel vor elf, der einzige Auftritt an diesem Tag lag hinter uns. Ich beschloss, gemeinsam mit Marcel und Dario noch ein bisschen im Foyer zu bleiben und ein paar Kölsch zu trinken. Der Rest der Truppe wollte nach Hause, schließlich stand uns eine anstrengende Woche bevor. Wir hatten ja gerade mal Dienstag, den 25. Februar. Mit Weiberfastnacht und Rosenmontag lagen die Sessionshöhepunkte noch vor uns. Erst in einer Woche würde die „fünfte Jahreszeit“ vorbei sein. Nur gut, dass ich mir – dank genügend Überstunden – freigenommen hatte. Nach ein paar Gläsern Kölsch tauten Marcel und Dario langsam auf. Wir erzählten Witze und alberten herum. Mit zunehmendem Alkoholpegel gewann auch die langweilige Party an Attraktivität. Wir nickten dem Wachmann an der Saaltür freundlich zu, betraten den Sitzungsraum und bewunderten das Bühnenprogramm von Bernd Stelter, der eher den Geschmack des Publikums zu treffen schien als wir. Ich zog die rote Pappnase aus, das Tschako und die Perücke hatte ich schon im Umkleideraum abgelegt.

„Der Bernd hat dieses Jahr wieder ein super Programm, was?“, meinte Marcel.

„Auf jeden Fall. Sollen wir noch ein Kölsch trinken?“ Ich blickte Marcel und Dario fragend an.

„Na klar. Wir haben doch morgen alle frei“, sagte Dario.

„Ihr faulen Beamten vielleicht. Ich hab morgen ein wichtiges Meeting mit einem meiner Kunden. Muss um halb elf in Münster sein.“

„Jetzt stell dich mal nicht so an, Marcel. Kommt, ich geb noch einen aus!“ Ich trieb Marcel und Dario vor mir her ins Foyer. Der Kellner schaute mich genervt an. „Noch drei Kölsch, die Herren?“

„Was für ’ne Frage. Na klar!“ Aus dem Saal ertönte Bernd Stelters Version des Smokie-Hits „Alice“, „Ober Zack ’n Helles“. Die Leute tobten.

Ich ließ meinen Blick durch das relativ leere Foyer streifen. Ein paar Meter vor uns bereitete sich eine Tanzgruppe auf ihren bevorstehenden Auftritt vor. Eines der Mariechen machte einen Spagat, ein paar junge Männer machten Dehnübungen. Sie alle trugen weiße Matrosenuniformen. Ich hatte die Truppe schon öfter gesehen, sie zählte zu den besten ihrer Zunft. Die „Fidelen Rheinschiffer“ waren eine traditionsreiche Tanzgruppe, über die die Presse während der Session fast täglich Lobeshymnen veröffentlichte. Ein kleiner, durchtrainierter Mann in weißer Kapitänsuniform kam aus dem Umkleideraum, in dem auch wir uns gut anderthalb Stunden zuvor eingefunden hatten. Er war etwa Anfang vierzig, hatte die Haare gelb-orange gefärbt und war so braungebrannt, als ob er sich gerade sechs Wochen auf Mallorca gesonnt hätte. Ich kannte diesen Mann, um den sich die gesamte Tanzgruppe scharte, als er kaum den Raum betreten hatte: Klaus-Dieter Döring, einer der erfolgreichsten kölschen Tanztrainer, der zur fünften Jahreszeit in den lokalen Medien allgegenwärtig war. Döring brauchte nicht viele Worte, um die kreischenden und herumalbernden Teenager zu disziplinieren. Die sechzehn jungen Karnevalisten formierten sich zu einem großen Kreis, fassten sich an den Schultern und beugten sich nach vorn. Eine Geste, die ich bisher nur von den Footballspielern der Cologne Crocodiles kannte....