Hedwig Courths-Mahler - Folge 017 - Sanna Rutlands Ehe

von: Hedwig Courths-Mahler

Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2014

ISBN: 9783838752549 , 80 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 1,99 EUR

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Hedwig Courths-Mahler - Folge 017 - Sanna Rutlands Ehe


 

Seit dem Tod seiner Eltern wuchs Werner Rutland im Haus seines Onkels Johann Rutland auf. Das große Patrizierhaus der Rutlands war wohl das vornehmste der alten Stadt Danzig, deren Bürger ihren Wohlstand den berühmten Reedereien und Schiffswerften verdankten, und Johann Rutland galt als der reichste Mann in Danzig.

Ein herrlicher Garten, der sich hinter dem Haus fast bis zu den Schiffswerften hinzog, war das Paradies von Werner Rutlands Knabenzeit. Mit seinem Freund Rudolf Rauen und dessen Schwester Käthe verbrachte er hier all seine Freistunden. Manchmal waren auch noch andere Kinder dabei, aber das geschah selten, denn Fräulein Seraphine Münzer, eine entfernte Verwandte des Hausherrn, die seit Jahren dem Haushalt vorstand, liebte Kinder nicht.

Tante Phine – so wurde sie von Werner genannt – hätte auch am liebsten Rudolf und Käthe Raven aus diesem Kindheitsparadies verwiesen, aber das litt der alte Herr Rutland nicht, denn die Geschwister waren die Kinder seines besten Freundes. Und so sehr Tante Phine ihn im Lauf der Jahre sonst unter den Pantoffel gekriegt hatte: In diesem Punkt blieb er der Herr.

So waren die Geschwister Raven Werner Rutlands unzertrennliche Spielgefährten. Werner und Rudolf waren in einem Alter, Käthe vier Jahre jünger. Sie war eine schönes, lustiges und lebenssprühendes Geschöpf, dabei herzensgut und von erfrischender Offenheit. Mit allen Menschen war sie gut Freund, nur mit Tante Phine nicht.

Als die beiden Knaben herangewachsen waren und auch ihre Schlussprüfung bestanden hatten, verließen sie Danzig, um sich ihrem Studium zu widmen. Und als sie nach Beendigung ihrer Studien wieder in der Heimat zusammentrafen – Werner als Dr. phil. und Rudolf als Baumeister –, da war Käthe Raven zu einer reizenden jungen Dame herangewachsen, deren Lebensfreude allen Menschen wohl tat – mit Ausnahme Tante Phines, die fröhliche Menschen im Allgemeinen und Käthe im Besonderen nicht leiden mochte. In Werner Rutland aber, der das Bild seiner früheren Spielgefährtin schon immer im geheimsten Herzensschrein aufbewahrt hatte, erwachte ein heißes Verlangen nach ihrem Besitz.

Er vertraute sich Rudolf an und verriet ihm seinen Entschluss, um Käthe zu werben. Da aber musste Rudolf dem Freund eine herbe Enttäuschung bereiten: Käthe hatte ihr Herz bereits an den Sohn des Geschäftsteilhabers ihres Vaters, Fritz Verhagen, verschenkt, in den nächsten Tagen schon sollte die Verlobung stattfinden.

Werner versuchte sich zu beherrschen, so gut es ging; doch trieb es ihn nun fort aus der Heimat, wo er Käthe nicht täglich begegnen musste. Er bat seinen Onkel, auf einige Jahre eine Forschungsreise nach Afrika unternehmen zu dürfen, und Johann Rutland gab ihm die Erlaubnis.

So verließ Werner Rutland wenige Tage nach Käthe Ravens Verlobung die Heimat.

***

Südöstlich von Windhuk, etwa zwei Tagesreisen entfernt, lag an der Nordgrenze des Namalandes die Farm Klaus Folkhards. Er war in Deutschland Offizier gewesen, hatte dann aber vor langen Jahren seinen Abschied nehmen müssen, weil er ein armes Mädchen heiratete, das ebenso wenig wie er selbst die notwendige Bürgschaftssumme hatte aufbringen können. Beide verwaist und ohne Anhang, verließen sie das deutsche Vaterland, um in den Kolonien eine neue Heimat zu suchen.

Sie erwarben eine kleine Farm, und Klaus Folkhard verlegte sich auf die Viehzucht. Am Anfang war der Betrieb äußerst beschwerlich, da man mit schwierigen Verkehrsverhältnissen und in der regenlosen Zeit mit großem Wassermangel zu rechnen hatte. Und so war es ein schweres, mühevolles Ringen, und Klaus und seine Frau Maria hatten allen Lebensmut nötig, um über die erste Zeit hinwegzukommen.

Ein Jahr, nachdem sie sich in Südwestafrika niedergelassen hatten, wurde ihnen ein Töchterchen geboren. Sie tauften es auf den Namen Susanna. Ein Missionar vollzog die heilige Handlung, als ihn sein Weg just über die Farm führte. Die eingeborene Dienerin aber rief die Kleine von Anfang an nur Sanna, und da die Eltern die Abkürzung gleichfalls bequem fanden, behielt das Kind diesen Namen.

Als Sanna zehn Jahre alt war, erkrankte ihre Mutter sehr heftig. Und ehe Folkhard bei den schwierigen Verhältnissen und weiten Entfernungen einen Arzt hatte herbeischaffen lassen können, starb die tapfere Frau.

Klaus Folkhard war der Verzweiflung nahe, und nur der Gedanke an sein Kind hielt ihn immer wieder ab, seinem geliebten Weib in die andere Welt zu folgen. Nur langsam kamen ihm Mut und Entschlossenheit zurück, dann aber schloss er sich mit inniger Liebe seinem Kind an: Sanna war nun sein einziges Kleinod.

Das Kind wuchs in Luft und Sonne empor wie eine schöne wilde Blume. Der Vater selbst unterrichtete Sanna gewissenhaft, nicht nur in allen Fächern der Schulweisheit, sondern auch in den praktischen Dingen des Lebens. Und eigentlich nur die Musik blieb ihr ein fremdes Gebiet. Sie sang zwar sehr hübsch mit ihrer warmen, kräftigen Stimme, wenn sie über die Steppe streifte oder mit dem Vater abends vor dem Blockhaus saß, aber ein Klavier oder sonstige Musikinstrumente waren ihr so fremd wie die dazugehörigen Noten.

Weltfremd wuchs das Kind freilich auf. Nur selten war sie, seit sie vierzehn Jahre alt war, mit dem Vater nach Windhuk gefahren – auf ihrem geliebten Fahrrad, das ihr der Vater zu ihrem vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte, damit sie ihn zuweilen begleiten konnte. Und was hatte Sanna für erstaunte Augen gemacht, als sie die Stadt zum ersten Mal gesehen hatte! Scheu hatte sie sich an den Vater geschmiegt, wenn er mit diesem oder jenem Bekannten sprach.

Auf dem Heimweg hatte ihr der Vater dann von den Städten seiner alten Heimat erzählt, von dem Leben und Treiben dort. Wie ein fremdes Wunderland erschien Deutschland dem Kind. Sie sprachen nun fast täglich davon, wie schön es sein würde, wenn sie erst heimkehren könnten. Des Vaters Sehnsucht nach der Heimat weckte gleiche Gefühle in Sannas Herzen. „Wenn wir erst in die Heimat zurückkehren…“, so begannen fast alle Gespräche zwischen ihnen.

Langsam hatte in den letzten Jahren die Zivilisation ihre Arme auch nach dieser weltfernen Farm ausgestreckt. Missionare und Reisende aller Art kamen zuweilen in Klaus Folkhards Blockhaus, auch deutsche Offiziere und Soldaten rasteten hier auf ihren Erkundungsritten und Märschen. Dann war Klaus Folkhard tagelang in gehobener Stimmung. Sanna aber behielt eine gewisse Scheu vor fremden Menschen. Die wilde Anmut ihrer durch keine strenge Form beengten Bewegungen, ihre erblühende, unberührte Schönheit machten auf die Gäste ihres Vaters großen Eindruck; in manchen Männeraugen spiegelte sich das Wohlgefallen an dieser seltsamen Wunderblume wider. Man vergaß zuweilen über dem Liebreiz des seltenen Geschöpfs, dass es noch ein Kind war. Aber wer dann in die unschuldsvollen Augen blickte, der erkannte bald genug, dass die Seele dieses Kindes noch ein völlig unbeschriebenes Blatt war.

Immer ungeduldiger sehnte sich Klaus Folkhard von Jahr zu Jahr nach der Heimat, nicht zuletzt Sannas wegen. Er rechnete wieder und wieder, wann es so weit sein würde, dass er seine Farm um einen Preis verkaufen könnte, der es ihm ermöglichen würde, sich in Deutschland eine Existenz zu gründen. Aber immer musste er sich sagen, dass seine Zeit noch nicht gekommen sei. Dann wurde er oft so ungeduldig, dass Sanna, wie früher ihre Mutter, ihm gut zureden musste. Wurde ihm in solchen Zeiten von den noch immer umherstreifenden räuberischen Stämmen ein Stück Vieh geraubt, dann war er imstande, diese Wilden bis tief in die Felsschluchten zu verfolgen, um ihnen ihre Beute wieder abzujagen, so gefährlich das auch war.

Als Sanna eben fünfzehn Jahre alt geworden war, fehlten eines Tages wieder zwei der besten Kühe. Folkhard wusste, wo sie hingekommen waren, warf sich auf sein Pferd und jagte den Räubern nach.

Er kannte Steg und Weg in der unwirtlichen Wildnis, und auf sein Pferd konnte er sich verlassen. Nachdem er jedoch stundenlang die Spur der Räuber verfolgt hatte, sah er ein, dass es vergeblich sein würde, weiter vorzudringen. Im Bestreben, den Rückweg zu verkürzen, stieg er schließlich ab und führte sein Pferd über einen Felsgrat in eine Nebenschlucht, die mit wildem Gestrüpp bewachsen war.

Da drang plötzlich der Schall verworrener Stimmen an sein Ohr. Sollte er hier unvermutet den Viehräubern nahe gekommen sein?

Er band sein Pferd an dem knorrigen Gestrüpp fest und schlich sich vorwärts. Noch sah er niemand, aber er hörte deutlich Ausrufe in der Sprache der wilden Stämme. Und dann plötzlich stockte sein Fuß: Ganz deutlich vernahm er zwischen diesen Lauten den Ausruf eines Mannes in deutscher Sprache: „So schieß doch endlich, schwarze Bestie!“

Wildes Geschrei antwortete auf diesen Ausruf. In Klaus Folkhards Gesicht aber spannte sich jeder Muskel. Erst vor zwei Jahren hatte man hier in der Nähe einen französischen Forschungsreisenden ermordet und ausgeplündert gefunden. Sollte er hier, statt seiner geraubten Kühe, einen deutschen Landsmann in Gefahr finden?

Mit dem Gewehr im Anschlag schlich er weiter vorwärts. Da sah er, ungefähr zwanzig Schritte vor sich, einen schlanken, hoch gewachsenen jungen Mann gefesselt an einem Baumstamm stehen. Im Reisegepäck des Mannes wühlten johlend vier oder fünf Schwarze. Dicht vor dem Deutschen jedoch stand ebenfalls ein Schwarzer und hielt ihm eine Pistole vor. Klaus konnte so viel verstehen, dass sie sich nicht einig waren, ob sie den Fremden niederschießen oder einfach hier in der Wildnis allein zurücklassen und dem Hungertod preisgeben wollten.

In Klaus Folkhards Augen trat ein stählerner Glanz. Nur einen Blick warf er auf das...