Spuren der Hoffnung - O'Dwyer 1 - Roman

von: Nora Roberts

Heyne, 2014

ISBN: 9783641133177 , 448 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Spuren der Hoffnung - O'Dwyer 1 - Roman


 

 

1

Winter 1263

Nahe beim Schatten des Schlosses, tief im grünen Wald, führte Sorcha ihre Kinder durch die Dunkelheit nach Hause. Die beiden jüngsten ritten auf dem stämmigen Pony, wobei sich der Kopf der knapp dreijährigen Teagan bei jedem Schritt des Pferdes hob und senkte. Sie ist müde, dachte Sorcha, nach der auf­regenden Imbolgfeier, den Freudenfeuern und dem Festmahl. »Pass auf deine Schwester auf, Eamon.«

Für den fünfjährigen Eamon bestand das Aufpassen darin, dass er die kleine Schwester mal kurz knuffte, bevor er weiter an den Bannocks knabberte, die seine Mutter am Morgen gebacken hatte.

»Gleich bist du daheim im Bettchen«, beschwichtigte Sorcha, als Teagan quengelte. »Wir sind bald da.« Sie war zu lange auf der Lichtung geblieben, dachte sie jetzt. Und auch wenn an Imbolg die ersten Regungen im Bauch von Mutter Erde gefeiert wurden, brach die Winternacht zu rasch und abrupt herein. Es war bislang ein schlimmer Winter gewesen, mit klirrend kaltem Wind, Schneetreiben und Eisregen. Der Nebel hielt sich seit Monaten, wabernd und wallend zog er Schleier vor Sonne und Mond. Zu oft hatte sie in diesem Wind, diesem Nebel ihren Namen vernommen – ein Lockruf, dem Folge zu leisten sie sich weigerte. Zu oft hatte sie in dieser Welt aus Weiß und Grau das Dunkel gesehen. Sie wollte damit nichts zu schaffen haben. Ihr Mann hatte sie angefleht, die Kinder zu nehmen und bei seiner Fine, der Sippe, zu bleiben, während er seine Kämpfe führte. Als Frau des Cennfine, des Clanchefs, öffneten sich ihr alle Türen. Doch sie brauchte ihren Wald, ihre Hütte, ihr Heim. Sie brauchte ihren Freiraum wie die Luft zum Atmen. Stets kümmerte sie sich um die Ihren, um Heim und Herd, um ihre Hexenkunst und ihre Pflichten. Und vor allem um die wundervollen Kinder, die sie und Daithi bekommen hatten. Sie fürchtete sich nicht vor der Nacht. Sie war als die »Dunkle Hexe« bekannt, und ihre Macht war groß. Doch gerade jetzt war sie nur eine Frau, die ihren Mann vermisste, sich nach seiner Wärme sehnte, nach dem schönen, straffen Körper, der sich im kalten, einsamen Dunkel an den ihren drängte. Was kümmerte sie der Krieg? Was die Gier und die ehrgeizigen Ziele all der Klein­könige? Sie wollte ihren Mann heil und gesund zurückhaben. Wenn er heimkam, würden sie noch ein Baby machen, und sie würde wieder ein Leben in sich spüren. Immer noch betrauerte sie jenes Leben, das sie in einer furchtbar schwarzen Nacht verloren hatte, in der die ersten Winterwinde wie ein Weinen durch ihren Wald gefahren waren. Wie viele hatte sie geheilt? Wie viele hatte sie gerettet? Und doch, als das Blut aus ihr geflossen, als dieses zarte Leben zerronnen war, hatte keine Magie, kein Opfer, kein Handel mit den Göttern es retten können. Natürlich wusste sie, dass es leichter war, andere zu heilen als sich selbst. Und die Götter waren launisch wie ein flatterhaftes junges Ding im Mai.

»Schau mal!« Brannaugh, mit sieben Jahren ihre Älteste, sprang vom Weg, den großen Hund der Familie dicht auf den Fersen. »Der Schwarzdorn blüht! Das ist ein Zeichen.«

Jetzt erkannte sie es auch, den Hauch cremeweißer Blüten zwischen dem Gewirr aus schwarzen Zweigen. Ihr erster, bitterer Gedanke war, dass ihr Schoß leer blieb, während Brighid, die Göttin der Fruchtbarkeit, die Erde segnete. Dann sah sie zu, wie ihre Tochter, ihr erster Stolz, mit scharfem Blick und rosigen Wangen durch den Schnee wirbelte. Sie war gesegnet, ermahnte sich Sorcha, dreifach gesegnet.

»Das ist ein Zeichen, Ma.« Brannaughs dunkles Haar flog bei jeder Drehung, während sie das Gesicht dem schwindenden Licht entgegenhob. »Dass der Frühling kommt.«

»Ja, das ist es. Ein gutes Zeichen.« Genau wie der trübe Tag, an dem die alte Hexe Cailleach ohne helles Sonnenlicht kein Feuerholz fand. Der Frühling würde zeitig kommen, so sagte es die Legende. Der Schwarzdorn blühte üppig und lockte die Blumen, es ihm gleichzutun. Sorcha sah die Hoffnung in den Augen ihres Kindes, so wie sie sie beim Freudenfeuer in anderen Augen gesehen und in den Stimmen gehört hatte. Und sie suchte in ihrem Inneren nach einem Fünkchen Hoffnung – doch sie fand nichts als Furcht. Heute Abend würde er wiederkommen – sie konnte ihn schon spüren. Lauernd, abwartend, Ränke schmiedend. Hinein, dachte sie, schnell hinein in die Hütte hinter die verriegelte Tür, wo sie ihre Amulette ausgelegt hatte, um ihre Kinder zu beschützen. Um sich selbst zu beschützen. Sie schnalzte mit der Zunge, um das Pony anzutreiben, und pfiff nach dem Hund. »Komm jetzt, Brannaugh, deine Schwester schläft schon fast.«

»Im Frühling kommt Da nach Hause.«

Obwohl ihr das Herz immer noch schwer war, lächelte Sorcha und nahm Brannaughs Hand. »So ist es, zu Bealtaine kommt euer Vater nach Hause, und dann feiern wir ein großes Fest.«

»Kann ich ihn heute Abend sehen, mit dir? Im Feuer?«

»Es gibt noch viel zu tun. Vor dem Schlafengehen müssen die Tiere versorgt werden.«

»Nur ganz kurz?« Brannaugh hob das Gesicht zu Sorcha, ihre rauchgrauen Augen bettelten. »Ich will ihn nur ganz kurz sehen, dann kann ich träumen, er wäre wieder zu Hause.«

Genau wie sie selbst, dachte Sorcha, und nun kam ihr Lächeln von Herzen. »Ganz kurz, m’inion, meine Tochter, wenn die ­Arbeit getan ist.«

»Und du nimmst deine Medizin.«

Sorcha runzelte die Stirn. »Ja? Sehe ich so aus, als ob ich sie bräuchte?«

»Du bist immer noch blass, Ma.« Brannaughs Stimme übertönte den Wind.

»Nur ein klein wenig müde, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Nun halt deine Schwester fest, Eamon! Alastar riecht, dass es nach Hause geht, und Teagan fällt gleich runter.«

»Sie reitet besser als Eamon«, beruhigte sie Brannaugh, »und auch besser als ich.«

»Ja, das Pferd ist ihr Talisman, aber sie schläft gleich ein auf seinem Rücken.«

Der Weg machte eine Biegung; die Hufe des Ponys klangen laut auf dem gefrorenen Boden, während es auf den Stall neben der Hütte zu trottete.

»Eamon, kümmere dich um Alastar, gib ihm heute Abend eine extra Schaufel Körner. Du hast dich auch satt gegessen, oder?«, sagte sie, als ihr Sohn zu maulen begann. Er grinste ihr zu, hinreißend wie ein Sommermorgen, und obwohl er flink wie ein Wiesel absitzen konnte, streckte er die Arme aus. Er war schon immer verschmust gewesen, dachte Sorcha und drückte ihn an sich, als sie ihn herunterhob. Brannaugh brauchte sie nicht aufzufordern, ihre Arbeit zu erledigen. Das Mädchen führte den Haushalt schon fast so gut wie die Mutter selbst.

Sorcha nahm Teagan auf den Arm und murmelte beruhigend auf sie ein, während sie die Kleine in die Hütte trug. »Zeit für süße Träume, Liebes.«

»Ich bin ein Pony, und ich galoppiere den ganzen Tag.«

»O ja, das allerschönste Pony und das allerschnellste.«

Aufgrund ihrer langen Abwesenheit glomm das Feuer nur noch und vermochte kaum, die Kälte zu vertreiben. Als sie ihre Jüngste zum Bett trug, streckte Sorcha eine Hand zur Feuer­stelle aus.

Die Flammen loderten auf, züngelten über die Asche. Sorcha legte Teagan in die Nische, strich ihr das Haar glatt – sonnenblond wie das ihres Vaters – und wartete, bis ihr die Augen – tief und dunkel wie die ihrer Mutter – zufielen.

»Hab nur süße Träume«, murmelte sie und berührte das Amulett, das sie über den Betten ihrer Kinder aufgehängt hatte. »Wohlbehalten durch die Nacht. Das, was du bist und was du siehst, werde durch das Dunkel zum Licht gebracht.«

Sie küsste die zarte Wange. Als sie sich aufrichtete, ließ ein Ziehen in ihrem Bauch sie aufstöhnen. Der Schmerz kam und ging, wurde jedoch stärker, je länger der Winter anhielt. Also würde sie den Rat ihrer Tochter befolgen und sich einen Heiltrank brauen. »Brighid, an diesem deinem Tag hilf mir, gesund zu werden. Ich habe drei Kinder, die mich brauchen. Ich kann sie nicht alleinlassen.«

Sie verließ die schlafende Teagan und ging, um den älteren Kindern bei der Hausarbeit zu helfen. Als die Nacht hereinbrach, zu rasch, zu früh, verschloss sie die Tür, bevor sie ihr abendliches Ritual mit Eamon wiederholte.

»Ich bin...