Grappa sieht rosa - Maria Grappas 24. Fall

von: Gabriella Wollenhaupt

Grafit Verlag, 2014

ISBN: 9783894251550 , 191 Seiten

Format: ePUB

Kopierschutz: DRM

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Preis: 9,99 EUR

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Grappa sieht rosa - Maria Grappas 24. Fall


 

Gemeinnützige Hetze

Am Morgen beseitigte ich die Spuren des Abendessens, frühstückte lange, frischte die Farbe meiner Haare auf und nahm ein Schönheitsbad. Mich herzurichten dauerte mit den Jahren immer länger. Früher brauchte ich fünf Minuten fürs Gesichts-Make-up, heute waren es schon zehn.

Aber wirkliche Sorgen machte ich mir deswegen nicht, wusste ich doch aus sicherer Quelle, dass die halbwüchsigen Töchter meiner Bekannten drei Stunden vor dem Spiegel verbrachten, bevor sie sich aus dem Haus trauten.

Ich rief nacheinander Wayne und Simon an. Beide waren einverstanden, mich abends zu begleiten. Wir machten das Verlagshaus als Treffpunkt aus, um dort ein Taxi zu nehmen.

Ich äußerte mich nicht zum abendlichen Programm. »Eine Überraschung.«

»Hoffentlich keine Klassik«, meinte Harras.

Das konnte ich mit gutem Gewissen verneinen.

Die Stunden bis zu dem Konzert nutzte ich, mir ein Bild von der Gesellschaft für Lebensfragen zu machen. Dass ein homophober Verein gemeinnützig sein sollte, wollte nicht in meinen Kopf. Die Gesellschaft beschrieb ihre Ziele so:

 

Zweck des Vereins ist es, im umfassenden Sinn Lebensorientierung und Unterstützung aus christlicher Verantwortung in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zu fördern. Ziel ist die Stabilisierung orientierungs- und hilfesuchender Bürger zur aktiven Bewältigung ihrer persönlichen Lebenskrisen – insbesondere die Überwindung von Identitäts- und Beziehungsstörungen.

Geschickt umschrieben, dachte ich, Schwulsein als Identitätsstörung.

Der Verein bot auch Seminare zur Heilung Homosexueller an mit dem Titel: Schritte zur Freiheit aus zwanghaften Gefühlen. »Homosexualität ist Krankheit aus Selbstmitleid. Homosexualität führt zu Depressionen, Angststörungen und Drogensucht« – so die Thesen des Seminarleiters, eines katholischen Pfarrers.

Die Gesellschaft für Lebensfragen wurde von hochrangigen CDU-Politikern unterstützt, unter ihnen ein Exministerpräsident.

Wenigstens das: Seitdem ein Politmagazin über den Verein berichtet hatte, gab es Bestrebungen, der Gesellschaft die Gemeinnützigkeit zu entziehen.

Großer Auftritt für eine Königin

Im Taxi erzählte mir Simon Harras, dass Schnack ihn ultimativ aufgefordert hatte, seine gehässigen Bemerkungen über Schwule zu unterlassen, andernfalls drohte ihm eine Abmahnung.

»Und ich dachte, wir leben in einer Demokratie, in der freie Meinungsäußerung zu den unveräußerlichen Grundrechten gehört«, motzte er.

»Verdammt, Simon, nun jammer nicht rum«, reagierte ich ärgerlich. »Es gibt Grenzen. Was folgt denn bei dir als Nächstes? Judenwitze?«

»Ich mag Schwuchteln nun mal nicht«, brauste er auf.

»Die können dir doch egal sein«, meinte Wayne. »Jeder kann sein Ding reinstecken, wo er will. Mach dich doch mal locker, Alda.«

Das Taxi hielt. Wir bezahlten und stiegen aus. Junge Männer standen vor dem Klub, rauchten und unterhielten sich. Ich warf einen schrägen Blick auf Harras. Noch hatte er nichts gerafft. Pöppelbaum allerdings sah mich grinsend an.

»Netter Laden und netter Name«, kommentierte er. »Ich war hier schon mal. Beruflich. Ist aber Jahre her. Bisschen plüschig für meinen Geschmack, aber es lässt sich aushalten.«

»Plüschig?«, wachte Harras auf.

»Haben die noch diesen Darkroom?«, machte Wayne weiter.

»Darkroom?«, wunderte sich Harras.

»Nee, seit Aids sind die auch vorsichtig«, erklärte ich. »Der Stammhalter ist jetzt ein seriöser Klub. Die Inhaber zahlen ihre Gewerbesteuer an die Stadt und verbotene Prostitution findet nicht mehr statt.«

Harras schaute mich verdattert an und wollte etwas sagen.

Doch genau in diesem Augenblick hörten wir Reifenquietschen und mehrfaches Hupen. Eine schwere pinkfarbene Limousine stoppte neben uns. Die jungen Männer hörten auf zu schwätzen und sahen zum Auto.

Ein unzureichend bekleideter Bodybuildertyp im Leopardentanga und mit Nietenhalsband entstieg dem Beifahrersitz, sprintete zur hinteren Tür und riss sie auf.

»Da ist sie«, rief jemand. »Kati Komba, die Königin des schmutzigen Chansons!«

Applaus und Jubelrufe.

Sehr lange schlanke Beine in Netzstrümpfen, für die jede Frau ihre Seele dem Teufel verpfändet hätte, schoben sich auf die Straße. Den Beinen folgte ein Unterleib in knappstem Schottenröckchen und eine eingeschnürte Taille. Der Oberkörper war in eine weiße Schulmädchenbluse eingehüllt, die für den drallen Busen einige Nummern zu klein war. Endlich folgte der Kopf: ein Gesicht mit blonder Lockenperücke, stark geschminkt und eindeutig männlich. Zur Abrundung des Auftritts trug Königin Komba einen Schulranzen auf dem Rücken.

Harras machte ein Gesicht, als habe er einen Alien erblickt. Das Publikum auf der Straße johlte, lachte und applaudierte. Das übergroße Schulmädchen nickte lächelnd und winkte gnädig. Der Türsteher schob den schweren Vorhang zur Seite und verbeugte sich tief. Kati Komba verschwand im Inneren des Klubs. Eine filmreife Szene!

»Wollt ihr mich verarschen?«, fragte Harras. An seiner Schläfe pochte eine Ader.

»Nun kühl dich mal wieder ab«, riet ich. »Kati Komba ist wirklich gut in dem, was sie macht. Und am Montag kannst du Schnack erzählen, dass du aus therapeutischen Gründen in einem Schwulenklub warst und dass du es wider Erwarten überlebt hast.«

»Ich hasse deine arrogante Art, Grappa«, sagte mein Kollege mit bebenden Lippen.

»Grappa meint es nur gut mit dir«, sprang Wayne mir zur Seite. »Stell dich nicht so an. Keiner tut dir was, alle wollen nur spielen. Und wenn dich so ’ne hübsche Braut anmacht, retten wir dich und passen auf, dass du sauber bleibst.«

Ich packte Harras am Arm und zog ihn hinter mir her zum Ende der Warteschlange. Wayne folgte uns – kopfschüttelnd und in sich hineingrinsend.

Am Eingang des Klubs kontrollierten Türsteher die Besucher. Als die Reihe an uns kam, stutzten die Jungs. Wir entsprachen nicht dem Typ des restlichen Publikums.

»Was wollen Sie hier?«, fragte mich ein Lederboy.

»Musik hören«, flötete ich. »Ich bin totaler Fan von All inclusive. Da stört es mich auch nicht, dass ihr alle schwul seid. Ich bin ja tolerant. Ihr auch?«

Der Lederboy grinste und winkte uns durch.

»Wir hätten doch besser undercover gehen sollen, Grappa«, raunte mir Pöppelbaum zu.

»Ja, ich hätte mich als bulgarischer Stricher verkleiden können«, nickte ich, »und du als mein Zuhälter. Das hätte bestimmt gut ausgesehen.«

Eine Witwe hat sich verändert

Im Inneren des Klubs gab es Nischen mit Vorhängen, die noch geöffnet waren. Alle erlaubten einen freien Blick zur sanft erleuchteten Bühne.

»Hier«, bestimmte ich und deutete auf ein Viererséparée. Ich setzte mich und klopfte rechts und links von mir auf die gepolsterten Stühle. »Kommt zu Mama!«

Harras musterte das Polster – vermutlich suchte er Spermaflecken. Doch da war nichts zu finden, alles war sauber und adrett.

Ein junger dunkelbraun eingefärbter Kellner im Tanga erkundigte sich nach unseren Wünschen.

»Was trinkt man hier denn so?«, fragte ich.

»Champagner? Drinks? Wein?«, näselte der Süße und zückte den Block. In den Brustwarzen trug er silberne Ringe.

Harras verdrehte die Augen und wandte sich ab.

»Champagner für alle«, bestellte ich. »Aber gut gekühlt, Schnuggi!«

Der Kellner lächelte. Vielleicht hatte meine Ansprache seinen Geschmack getroffen. Er trippelte davon.

Ich schnalzte mit der Zunge. »Guck mal, Simon. Er hat wirklich einen schönen Arsch. Daran habe auch ich als Frau Spaß.«

Harras machte ein versteinertes Gesicht.

»Ich weiß gar nicht, was du hast«, klopfte ich ihm auf die Schulter. »Der Laden ist doch okay. Und schau mal: Da gibt es auch Mädels.«

»Dann guck dir die mal genauer an, du blindes Huhn!«, schnauzte er mich an.

Er hatte recht. Die Damen trugen knallenge Röcke und unter dem Nabel wölbte sich etwas Längliches.

»Nimm die Brille ab und du fühlst dich wie in einer schäbigen Nordstadtkneipe. Bei den Miezen in den Schuppen, die du gewöhnlich besuchst, ist auch nicht alles echt. Silikon-Valley«, riet ich ihm. »Und jetzt genieß den Abend.«

Der Kellner brachte den Edel-Suff: eine gute Marke und nicht überteuert, wie ich der Getränkekarte entnommen hatte. Die Flasche war bereits geöffnet. Der Kellner schenkte ein.

»Hoffentlich hat er vorher nicht reingepinkelt«, sagte Simon laut.

»Nur auf besonderen Wunsch«, entgegnete der Kellner lächelnd. »Stehst du denn auf so was, Süßer?«

Jetzt blieb Harras die Spucke weg.

»Prima Replik«, grinste ich. »Der Abend beginnt, mir zu gefallen. Und jetzt zum Wohl!«

Simon leerte das Glas in einer halben Sekunde. Wayne und ich sahen uns an und verstanden uns: Wir würden auf ihn aufpassen müssen.

»Guck mal, das da ist aber eine echte Frau«, stellte ich fest.

Ich hätte sie fast nicht erkannt. Aus dem mageren, farblosen Mauerblümchen war ein echter Hingucker geworden. Ihre Gesichtsfarbe war nicht mehr so weiß wie bei unserer ersten Begegnung, sie wirkte fülliger und ihre Haare waren keine strohigen Strähnen mehr. Auch an ihrer Kleidung hatte sie gearbeitet. Kein Schlabberlook, sondern ein schickes schwarzes Etuikleid mit goldenen Stickereien, das ihre Schwangerschaft auf attraktive Weise betonte.

Ich drückte mich an Wayne vorbei und ging zu ihr.

»Hallo,...